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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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sten Kaffeehauses Wiens in unterirdischen kellerartigen Gewölben mit
bedeutendem Aufwand und vollkommenster Kenntniß des hiesigen Volks-
geschmackcs gegründet hat. Und in der That, wer den Charakter des
Volkes studiren will, der versäume ja nicht, dieses originelle Etablisse¬
ment zu besuchen, in dem ihm der echte Typus des Wicnerthums ent¬
gegentreten wird. Sechs tausend Menschen strömen da in jeder Nacht
ein und aus und die Hitze steigt oft über vierzig Grad Neaumur,
was indeß der strahlenden Heiterkeit in dieser heißen Zone nicht den
mindesten Eintrag macht. Vier Säle, drei Stockwerke tief, sind mit
grellen Malereien übertüncht und die lauteste Musik übertäubt hier das
bacchantische Gelächter; man tanzt, macht Theater, führt Faschingszüge
auf, improvisirt, singt und ißt, die Mehrzahl indeß versammelt sich ge¬
wöhnlich in jener Abcheilung, in der sich der Harem befindet. Dieser
Harem besteht in einer Schaar junger, orientalisch gekleideter Mädchen,
die einem stämmigen Sultan oder Pascha dienen und deren Schau¬
platz, vom Zuschauerraume getrennt, auf einer Bühne ist, die ein tür¬
kisches Gemach vorstellt. Vordem war der Anblick dieses Serailschau¬
spiels ganz unmittelbar, jetzt aber ist die Veranstaltung getroffen, daß
ein leichter durchsichtiger Gazeflor über das Tableau gespannt wird und
die Vestalinnen nicht mehr so ungehindert sich mit der profanen Außen¬
welt in Rapport setzen können, was dem in seinem Hausmonopol
verletzten Muselmann nicht gleichgiltig sein dürfte.

Jedem Fremden muß es auffallen, wie die sonst so übergroße
Zärtlichkeit der Behörden für das leibliche und geistige Heil des Volkes
ein Etablissement gestatten könne, dessen sanitätswidrige Eigenthüm¬
lichkeit nur den Zweck haben kann, den Säckel eines Einzelnen zu
füllen und die Spitäler mit Lungen- und Nervenkranken zu versorgen.
Im Schweiß gebadet, stürzt der in Wein, Tanz und Ausschweifungen
berauschte Haufe aus der glühenden Atmosphäre dieser unterirdischen
Raume plötzlich in die schneidende Kälte der eisigen Dccembcrluft hin¬
aus und Tausende betteten blos Daums Elysium, um das wirkliche
zu schauen. Kann es da noch befremden, wenn wir in den officiellen
Ausweisen der Populationsbewegung in der Hauptstadt lesen, daß un¬
ter I5Mg Gestorbenen 4Wi) Lungenkranke sich befinden und Tau¬
send, die dem Nervenfieber als Beute gefallen sind ? Ein Drittheil
aller Todesfälle kommt also auf Rechnung von Verkühlungen, und
jedenfalls stellt das Elysium ein beträchtliches Contingent zu diesem
Ausmarsch in die elysäischen Felder. Dabei ist noch gar nicht die
Fcuergefährlichkeit dieses Velustigungsortes in Anschlag gebracht, die
jedem besonnenen Besucher am Eingange schon wie ein anrennendes
Schreckgespenst entgegentritt; wahrend in jedem ncugebautcn Hause
das liez-ne-cnimssvv eingewölbt werden muß, damit das Feuer bei
einem etwa entstehenden Brand nicht bis auf den Grund hinabdringe
und jedem Gebäude eine Art sicherer Citadelle bewahrt bleibe, laßt


sten Kaffeehauses Wiens in unterirdischen kellerartigen Gewölben mit
bedeutendem Aufwand und vollkommenster Kenntniß des hiesigen Volks-
geschmackcs gegründet hat. Und in der That, wer den Charakter des
Volkes studiren will, der versäume ja nicht, dieses originelle Etablisse¬
ment zu besuchen, in dem ihm der echte Typus des Wicnerthums ent¬
gegentreten wird. Sechs tausend Menschen strömen da in jeder Nacht
ein und aus und die Hitze steigt oft über vierzig Grad Neaumur,
was indeß der strahlenden Heiterkeit in dieser heißen Zone nicht den
mindesten Eintrag macht. Vier Säle, drei Stockwerke tief, sind mit
grellen Malereien übertüncht und die lauteste Musik übertäubt hier das
bacchantische Gelächter; man tanzt, macht Theater, führt Faschingszüge
auf, improvisirt, singt und ißt, die Mehrzahl indeß versammelt sich ge¬
wöhnlich in jener Abcheilung, in der sich der Harem befindet. Dieser
Harem besteht in einer Schaar junger, orientalisch gekleideter Mädchen,
die einem stämmigen Sultan oder Pascha dienen und deren Schau¬
platz, vom Zuschauerraume getrennt, auf einer Bühne ist, die ein tür¬
kisches Gemach vorstellt. Vordem war der Anblick dieses Serailschau¬
spiels ganz unmittelbar, jetzt aber ist die Veranstaltung getroffen, daß
ein leichter durchsichtiger Gazeflor über das Tableau gespannt wird und
die Vestalinnen nicht mehr so ungehindert sich mit der profanen Außen¬
welt in Rapport setzen können, was dem in seinem Hausmonopol
verletzten Muselmann nicht gleichgiltig sein dürfte.

Jedem Fremden muß es auffallen, wie die sonst so übergroße
Zärtlichkeit der Behörden für das leibliche und geistige Heil des Volkes
ein Etablissement gestatten könne, dessen sanitätswidrige Eigenthüm¬
lichkeit nur den Zweck haben kann, den Säckel eines Einzelnen zu
füllen und die Spitäler mit Lungen- und Nervenkranken zu versorgen.
Im Schweiß gebadet, stürzt der in Wein, Tanz und Ausschweifungen
berauschte Haufe aus der glühenden Atmosphäre dieser unterirdischen
Raume plötzlich in die schneidende Kälte der eisigen Dccembcrluft hin¬
aus und Tausende betteten blos Daums Elysium, um das wirkliche
zu schauen. Kann es da noch befremden, wenn wir in den officiellen
Ausweisen der Populationsbewegung in der Hauptstadt lesen, daß un¬
ter I5Mg Gestorbenen 4Wi) Lungenkranke sich befinden und Tau¬
send, die dem Nervenfieber als Beute gefallen sind ? Ein Drittheil
aller Todesfälle kommt also auf Rechnung von Verkühlungen, und
jedenfalls stellt das Elysium ein beträchtliches Contingent zu diesem
Ausmarsch in die elysäischen Felder. Dabei ist noch gar nicht die
Fcuergefährlichkeit dieses Velustigungsortes in Anschlag gebracht, die
jedem besonnenen Besucher am Eingange schon wie ein anrennendes
Schreckgespenst entgegentritt; wahrend in jedem ncugebautcn Hause
das liez-ne-cnimssvv eingewölbt werden muß, damit das Feuer bei
einem etwa entstehenden Brand nicht bis auf den Grund hinabdringe
und jedem Gebäude eine Art sicherer Citadelle bewahrt bleibe, laßt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/441>, abgerufen am 26.06.2024.