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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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begleitung. Ob man aus dieser Eigenthümlichkeit auch auf ein rein
dramatisches oder episches Talent schließen darf, wird hoffentlich die
nächste Zukunft lehren.

Ein schönes Wiedersehen bereitete Karl Beck seinen Freunden,
als er, die Auferstehung aus dein Papier und im Herzen, ein Mann
und Dichter geworden, der die Muse wie eine angetraute geliebte
Frau mit freier Anmuth zu führen weiß, in den deutschen Norden
zurückkehrte. Die "Auferstehung" ist die Krone der neuen Gedicht¬
sammlung. Nicht der hohe Schwung der Gedanken, nicht der tref¬
fende, oft Shakspeare'sche Bildemefsinn allein ist es, was für eine
wirkliche Auferstehung des Dichters spricht; denn Ähnliche Blüthen
trieb sein Geist wohl auch früher, wenn schon nicht in diesem Maße.
Aber wohlthuend ist die glückliche Einheit, die reine, durchsichtig klare
Form der Komposition im Ganzen. Ich möchte das Gedicht, wenn
Vergleiche der Art statthaft wären, mit einer Beethoven'schen Sym¬
phonie vergleichen. Offener und rührender, als der Dichter selbst in
der Einteilung auf wenigen Seiten thut, wird selten Jemand seine
Beichte schreiben. Wir solgen ihm auf der einsamen Lcnzwanderung
in das waldige Gebirge, da tritt der Engel der Auferstehung zu ihm
und mahnt ihn mit wahrhaft engelhafter Innigkeit, sein persönliches
Leid zu vergessen und nur dem großen Ganzen, dem Wohl der Mensch¬
heit, zu leben. Er kündet ihm, wie er zu Fürsten, Vasallen und Prie¬
stern sprechen werde; und indem er gleichsam nur gute Vorsätze saßt,
führt er sie zugleich aus. Und als der Engel schwindet, fühlt man
mit dein Dichter die erquickende Erhebung, die im Bewußtsein liegt,
den Ruf des Schicksals verstanden zu haben; und in der Kraft, von
den Schlacken irdischer Leiden und Wirren sich in den Flammen der
Freiheit, der Liebe zur Menschheit, zu reinigen.


I. Kaufmann.


begleitung. Ob man aus dieser Eigenthümlichkeit auch auf ein rein
dramatisches oder episches Talent schließen darf, wird hoffentlich die
nächste Zukunft lehren.

Ein schönes Wiedersehen bereitete Karl Beck seinen Freunden,
als er, die Auferstehung aus dein Papier und im Herzen, ein Mann
und Dichter geworden, der die Muse wie eine angetraute geliebte
Frau mit freier Anmuth zu führen weiß, in den deutschen Norden
zurückkehrte. Die „Auferstehung" ist die Krone der neuen Gedicht¬
sammlung. Nicht der hohe Schwung der Gedanken, nicht der tref¬
fende, oft Shakspeare'sche Bildemefsinn allein ist es, was für eine
wirkliche Auferstehung des Dichters spricht; denn Ähnliche Blüthen
trieb sein Geist wohl auch früher, wenn schon nicht in diesem Maße.
Aber wohlthuend ist die glückliche Einheit, die reine, durchsichtig klare
Form der Komposition im Ganzen. Ich möchte das Gedicht, wenn
Vergleiche der Art statthaft wären, mit einer Beethoven'schen Sym¬
phonie vergleichen. Offener und rührender, als der Dichter selbst in
der Einteilung auf wenigen Seiten thut, wird selten Jemand seine
Beichte schreiben. Wir solgen ihm auf der einsamen Lcnzwanderung
in das waldige Gebirge, da tritt der Engel der Auferstehung zu ihm
und mahnt ihn mit wahrhaft engelhafter Innigkeit, sein persönliches
Leid zu vergessen und nur dem großen Ganzen, dem Wohl der Mensch¬
heit, zu leben. Er kündet ihm, wie er zu Fürsten, Vasallen und Prie¬
stern sprechen werde; und indem er gleichsam nur gute Vorsätze saßt,
führt er sie zugleich aus. Und als der Engel schwindet, fühlt man
mit dein Dichter die erquickende Erhebung, die im Bewußtsein liegt,
den Ruf des Schicksals verstanden zu haben; und in der Kraft, von
den Schlacken irdischer Leiden und Wirren sich in den Flammen der
Freiheit, der Liebe zur Menschheit, zu reinigen.


I. Kaufmann.


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[0043] begleitung. Ob man aus dieser Eigenthümlichkeit auch auf ein rein dramatisches oder episches Talent schließen darf, wird hoffentlich die nächste Zukunft lehren. Ein schönes Wiedersehen bereitete Karl Beck seinen Freunden, als er, die Auferstehung aus dein Papier und im Herzen, ein Mann und Dichter geworden, der die Muse wie eine angetraute geliebte Frau mit freier Anmuth zu führen weiß, in den deutschen Norden zurückkehrte. Die „Auferstehung" ist die Krone der neuen Gedicht¬ sammlung. Nicht der hohe Schwung der Gedanken, nicht der tref¬ fende, oft Shakspeare'sche Bildemefsinn allein ist es, was für eine wirkliche Auferstehung des Dichters spricht; denn Ähnliche Blüthen trieb sein Geist wohl auch früher, wenn schon nicht in diesem Maße. Aber wohlthuend ist die glückliche Einheit, die reine, durchsichtig klare Form der Komposition im Ganzen. Ich möchte das Gedicht, wenn Vergleiche der Art statthaft wären, mit einer Beethoven'schen Sym¬ phonie vergleichen. Offener und rührender, als der Dichter selbst in der Einteilung auf wenigen Seiten thut, wird selten Jemand seine Beichte schreiben. Wir solgen ihm auf der einsamen Lcnzwanderung in das waldige Gebirge, da tritt der Engel der Auferstehung zu ihm und mahnt ihn mit wahrhaft engelhafter Innigkeit, sein persönliches Leid zu vergessen und nur dem großen Ganzen, dem Wohl der Mensch¬ heit, zu leben. Er kündet ihm, wie er zu Fürsten, Vasallen und Prie¬ stern sprechen werde; und indem er gleichsam nur gute Vorsätze saßt, führt er sie zugleich aus. Und als der Engel schwindet, fühlt man mit dein Dichter die erquickende Erhebung, die im Bewußtsein liegt, den Ruf des Schicksals verstanden zu haben; und in der Kraft, von den Schlacken irdischer Leiden und Wirren sich in den Flammen der Freiheit, der Liebe zur Menschheit, zu reinigen. I. Kaufmann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/43>, abgerufen am 22.07.2024.