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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Aus Paris.

Eugene Sue und Graf Duchatel. -- Prostitution in Paris und in deutschen
Hauptstädten. -- Ein Abenteuer der Grafen Thun und Salm und die
vntsnt" vorili-U" zwischen den englischen und französische" Gaunern. -- Rüge,
Marx, Börnstein, Bernays und die Gerüchte von ihrer Ausweisung. --

Der "ewige Jude" obgleich viel matter als die "Mystvres de Paris"
hat doch einige socialistische Fragen wieder aufgeregt. Graf Duchatel
hat seine Ministerphantasie von diesem Roman entzünden lassen, er
hat eine strengere Beaufsichtigung der Irrenhäuser angeordnet, damit
so liebenswürdige und geistvolle Rothköpfchen wie Mademoiselle de Car-
doville in Zukunft nicht mehr von ihren Verwandten in den Narren¬
thurm gesteckt werden können. Komische Zeit! wo Romanscenen
Ministerdecrete hervorrufen -- oder besser noch: ernste Zeit! wo selbst
Romane zu Staatsschristen werden und die Lämmer Stoßhörner be¬
kommen. Noch eine zweite Frage hat der Sue'sche Roman aufs
Tapet gebracht. Man will eine Revision der Gesetze über die Prosti¬
tution. Es ist dies ein etwas gefährliches Thema, um in einem deut¬
schen Blatte davon zu sprechen; die deutsche Prüderie (die heimlich
der französischen Efronterie Nichts nachgibt und nur zartere Ohren,
aber kein besseres Gewissen hat), sträubt sich verschämt, wenn man
derlei Erbübel zur öffentlichen Sprache bringt. Aber da bekanntlich
in Berlin eine eben so tugendhafte als unüberlegte Maßregel ihrer Aus¬
führung entgegen geht, so sollte doch ein öffentliches Wort darüber
gesprochen werden, ehe es zu spat ist und die aus bestimmten
Hausern verjagte Sünde sich durch die Thüren eines jeden Hauses
schleicht. Das wichtige Buch, welches ein berühmter Pariser Arzt vor
zehn Jahren über diesen traurigen Gegenstand geschrieben, ist in
Deutschland wohl bekannt (es ist bei Vrockhcms eine Uebersetzung davon


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Aus Paris.

Eugene Sue und Graf Duchatel. — Prostitution in Paris und in deutschen
Hauptstädten. — Ein Abenteuer der Grafen Thun und Salm und die
vntsnt« vorili-U« zwischen den englischen und französische» Gaunern. — Rüge,
Marx, Börnstein, Bernays und die Gerüchte von ihrer Ausweisung. —

Der „ewige Jude" obgleich viel matter als die „Mystvres de Paris"
hat doch einige socialistische Fragen wieder aufgeregt. Graf Duchatel
hat seine Ministerphantasie von diesem Roman entzünden lassen, er
hat eine strengere Beaufsichtigung der Irrenhäuser angeordnet, damit
so liebenswürdige und geistvolle Rothköpfchen wie Mademoiselle de Car-
doville in Zukunft nicht mehr von ihren Verwandten in den Narren¬
thurm gesteckt werden können. Komische Zeit! wo Romanscenen
Ministerdecrete hervorrufen — oder besser noch: ernste Zeit! wo selbst
Romane zu Staatsschristen werden und die Lämmer Stoßhörner be¬
kommen. Noch eine zweite Frage hat der Sue'sche Roman aufs
Tapet gebracht. Man will eine Revision der Gesetze über die Prosti¬
tution. Es ist dies ein etwas gefährliches Thema, um in einem deut¬
schen Blatte davon zu sprechen; die deutsche Prüderie (die heimlich
der französischen Efronterie Nichts nachgibt und nur zartere Ohren,
aber kein besseres Gewissen hat), sträubt sich verschämt, wenn man
derlei Erbübel zur öffentlichen Sprache bringt. Aber da bekanntlich
in Berlin eine eben so tugendhafte als unüberlegte Maßregel ihrer Aus¬
führung entgegen geht, so sollte doch ein öffentliches Wort darüber
gesprochen werden, ehe es zu spat ist und die aus bestimmten
Hausern verjagte Sünde sich durch die Thüren eines jeden Hauses
schleicht. Das wichtige Buch, welches ein berühmter Pariser Arzt vor
zehn Jahren über diesen traurigen Gegenstand geschrieben, ist in
Deutschland wohl bekannt (es ist bei Vrockhcms eine Uebersetzung davon


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[0389] T a g e b u eh. i Aus Paris. Eugene Sue und Graf Duchatel. — Prostitution in Paris und in deutschen Hauptstädten. — Ein Abenteuer der Grafen Thun und Salm und die vntsnt« vorili-U« zwischen den englischen und französische» Gaunern. — Rüge, Marx, Börnstein, Bernays und die Gerüchte von ihrer Ausweisung. — Der „ewige Jude" obgleich viel matter als die „Mystvres de Paris" hat doch einige socialistische Fragen wieder aufgeregt. Graf Duchatel hat seine Ministerphantasie von diesem Roman entzünden lassen, er hat eine strengere Beaufsichtigung der Irrenhäuser angeordnet, damit so liebenswürdige und geistvolle Rothköpfchen wie Mademoiselle de Car- doville in Zukunft nicht mehr von ihren Verwandten in den Narren¬ thurm gesteckt werden können. Komische Zeit! wo Romanscenen Ministerdecrete hervorrufen — oder besser noch: ernste Zeit! wo selbst Romane zu Staatsschristen werden und die Lämmer Stoßhörner be¬ kommen. Noch eine zweite Frage hat der Sue'sche Roman aufs Tapet gebracht. Man will eine Revision der Gesetze über die Prosti¬ tution. Es ist dies ein etwas gefährliches Thema, um in einem deut¬ schen Blatte davon zu sprechen; die deutsche Prüderie (die heimlich der französischen Efronterie Nichts nachgibt und nur zartere Ohren, aber kein besseres Gewissen hat), sträubt sich verschämt, wenn man derlei Erbübel zur öffentlichen Sprache bringt. Aber da bekanntlich in Berlin eine eben so tugendhafte als unüberlegte Maßregel ihrer Aus¬ führung entgegen geht, so sollte doch ein öffentliches Wort darüber gesprochen werden, ehe es zu spat ist und die aus bestimmten Hausern verjagte Sünde sich durch die Thüren eines jeden Hauses schleicht. Das wichtige Buch, welches ein berühmter Pariser Arzt vor zehn Jahren über diesen traurigen Gegenstand geschrieben, ist in Deutschland wohl bekannt (es ist bei Vrockhcms eine Uebersetzung davon 49»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/389>, abgerufen am 22.07.2024.