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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Bruder, bei Allem, was dem Menschen und Christen heilig ist, hier
gibt es noch Geheimnisse!

Der Redner schwieg und sah den Gegner fest und sicher an;
er schien seines Sieges über ihn gewiß zu sein. Aller Augen, ge¬
spannt und erwartungsvoll, waren aus den Vertreter von Nopal
York gerichtet; von ihm schien jetzt die Entscheidung der Sache abzu¬
hängen. Dieser fühlte mit Unwillen, daß er der Gegenstand der
gesammten Aufmerksamkeit geworden war, warf sich verlegen in seinem
Sessel hin und her und suchte sich ungeschickt in die Falten seines
Mantels zu verkriechen. -- Geheimnisse! warf er barsch hin, gewohnt
mit sich selbst zu sprechen. Wunder, Aberglauben, Alles läuft am
Ende auf,die tolle Wirthschaft hinaus, wo der Mensch, der sonst
aufrecht gehende Mensch, auf allen Vieren kriecht und im feuchten
Kothe nach seiner verlorenen Vernunft sucht. Ich habe auch meinen
Aberglauben, aber ich behandle ihn als Privatsache, suche ihn nicht
einzuschmuggeln, wo er nicht hingehört. Wenn das so fortgeht, daß
jeder unruhige Kopf seine Scrupel zum Allgemeingut der Menschheit
machen will, dann wird noch jeder Barbier mit chemischen Versuchen,
jedes alte Weib mit Hokuspokus in die Maurerei hineinpfuschen wol¬
len. Ich hab' erst neulich einen sogenannten Wundermann, der mir
im Topfe das rothe Pulver mischte, die Treppe hinuntergeworfen.
Er verwechselte mir bei der Firirung des Quecksilbers die Tiegel und
ich hätte den Betrüger gern geohrfeigt. Jeder Apothekerjunge, der
den Mörser stößt und dem das Gewürz in's Gehirn steigt, wird noch
kommen und sagen, er habe ein Rosenkreuzergeheimniß! Meine
Herren, wenn Einer durchaus Gold machen will, so setze er sich zu
Hause still in den Winkel, verrichte seine Nothdurft und thue, was
er nicht lassen kann. Aber vor das allgemeine Forum gehört das
nicht! Damit basta! Royal York empfiehlt sich. Ich meinestheils,
meine Herren, wünsche zu Nacht eine gesegnete Mahlzeit!-- Er nahm
den Mantel um, schob seine Allongenperücke zurecht, stülpte den
Dreimaster auf, grüßte mit einer Handbewegung den Prinzen, die
Gesellschaft, und verließ mit stürmischem Gepolter den Saal. Ein
großer Theil seiner nächsten Umgebung, ich weiß nicht, waren eS
Mitglieder seiner Loge oder sein Gefolge, drängte sich ihm nach.
Erst nach seiner Entfernung machte sich der Eindruck, den er hinter,
lassen, in der Versammlung laut. Es war nicht sowohl die Be-


Bruder, bei Allem, was dem Menschen und Christen heilig ist, hier
gibt es noch Geheimnisse!

Der Redner schwieg und sah den Gegner fest und sicher an;
er schien seines Sieges über ihn gewiß zu sein. Aller Augen, ge¬
spannt und erwartungsvoll, waren aus den Vertreter von Nopal
York gerichtet; von ihm schien jetzt die Entscheidung der Sache abzu¬
hängen. Dieser fühlte mit Unwillen, daß er der Gegenstand der
gesammten Aufmerksamkeit geworden war, warf sich verlegen in seinem
Sessel hin und her und suchte sich ungeschickt in die Falten seines
Mantels zu verkriechen. — Geheimnisse! warf er barsch hin, gewohnt
mit sich selbst zu sprechen. Wunder, Aberglauben, Alles läuft am
Ende auf,die tolle Wirthschaft hinaus, wo der Mensch, der sonst
aufrecht gehende Mensch, auf allen Vieren kriecht und im feuchten
Kothe nach seiner verlorenen Vernunft sucht. Ich habe auch meinen
Aberglauben, aber ich behandle ihn als Privatsache, suche ihn nicht
einzuschmuggeln, wo er nicht hingehört. Wenn das so fortgeht, daß
jeder unruhige Kopf seine Scrupel zum Allgemeingut der Menschheit
machen will, dann wird noch jeder Barbier mit chemischen Versuchen,
jedes alte Weib mit Hokuspokus in die Maurerei hineinpfuschen wol¬
len. Ich hab' erst neulich einen sogenannten Wundermann, der mir
im Topfe das rothe Pulver mischte, die Treppe hinuntergeworfen.
Er verwechselte mir bei der Firirung des Quecksilbers die Tiegel und
ich hätte den Betrüger gern geohrfeigt. Jeder Apothekerjunge, der
den Mörser stößt und dem das Gewürz in's Gehirn steigt, wird noch
kommen und sagen, er habe ein Rosenkreuzergeheimniß! Meine
Herren, wenn Einer durchaus Gold machen will, so setze er sich zu
Hause still in den Winkel, verrichte seine Nothdurft und thue, was
er nicht lassen kann. Aber vor das allgemeine Forum gehört das
nicht! Damit basta! Royal York empfiehlt sich. Ich meinestheils,
meine Herren, wünsche zu Nacht eine gesegnete Mahlzeit!— Er nahm
den Mantel um, schob seine Allongenperücke zurecht, stülpte den
Dreimaster auf, grüßte mit einer Handbewegung den Prinzen, die
Gesellschaft, und verließ mit stürmischem Gepolter den Saal. Ein
großer Theil seiner nächsten Umgebung, ich weiß nicht, waren eS
Mitglieder seiner Loge oder sein Gefolge, drängte sich ihm nach.
Erst nach seiner Entfernung machte sich der Eindruck, den er hinter,
lassen, in der Versammlung laut. Es war nicht sowohl die Be-


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[0380] Bruder, bei Allem, was dem Menschen und Christen heilig ist, hier gibt es noch Geheimnisse! Der Redner schwieg und sah den Gegner fest und sicher an; er schien seines Sieges über ihn gewiß zu sein. Aller Augen, ge¬ spannt und erwartungsvoll, waren aus den Vertreter von Nopal York gerichtet; von ihm schien jetzt die Entscheidung der Sache abzu¬ hängen. Dieser fühlte mit Unwillen, daß er der Gegenstand der gesammten Aufmerksamkeit geworden war, warf sich verlegen in seinem Sessel hin und her und suchte sich ungeschickt in die Falten seines Mantels zu verkriechen. — Geheimnisse! warf er barsch hin, gewohnt mit sich selbst zu sprechen. Wunder, Aberglauben, Alles läuft am Ende auf,die tolle Wirthschaft hinaus, wo der Mensch, der sonst aufrecht gehende Mensch, auf allen Vieren kriecht und im feuchten Kothe nach seiner verlorenen Vernunft sucht. Ich habe auch meinen Aberglauben, aber ich behandle ihn als Privatsache, suche ihn nicht einzuschmuggeln, wo er nicht hingehört. Wenn das so fortgeht, daß jeder unruhige Kopf seine Scrupel zum Allgemeingut der Menschheit machen will, dann wird noch jeder Barbier mit chemischen Versuchen, jedes alte Weib mit Hokuspokus in die Maurerei hineinpfuschen wol¬ len. Ich hab' erst neulich einen sogenannten Wundermann, der mir im Topfe das rothe Pulver mischte, die Treppe hinuntergeworfen. Er verwechselte mir bei der Firirung des Quecksilbers die Tiegel und ich hätte den Betrüger gern geohrfeigt. Jeder Apothekerjunge, der den Mörser stößt und dem das Gewürz in's Gehirn steigt, wird noch kommen und sagen, er habe ein Rosenkreuzergeheimniß! Meine Herren, wenn Einer durchaus Gold machen will, so setze er sich zu Hause still in den Winkel, verrichte seine Nothdurft und thue, was er nicht lassen kann. Aber vor das allgemeine Forum gehört das nicht! Damit basta! Royal York empfiehlt sich. Ich meinestheils, meine Herren, wünsche zu Nacht eine gesegnete Mahlzeit!— Er nahm den Mantel um, schob seine Allongenperücke zurecht, stülpte den Dreimaster auf, grüßte mit einer Handbewegung den Prinzen, die Gesellschaft, und verließ mit stürmischem Gepolter den Saal. Ein großer Theil seiner nächsten Umgebung, ich weiß nicht, waren eS Mitglieder seiner Loge oder sein Gefolge, drängte sich ihm nach. Erst nach seiner Entfernung machte sich der Eindruck, den er hinter, lassen, in der Versammlung laut. Es war nicht sowohl die Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/380>, abgerufen am 22.07.2024.