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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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lich eine Feder nieder und sinke rückwärts in eine Oeffnung, die kaum
groß genug war, um für eine Thür zu gelten. Sie führte auf einen
schmalen Gang, an dessen Ende eine Lampe brannte. Ich trat schüch¬
tern hinein, lauschend und horchend. Eine Stimme rief oben, eine
zweite antwortete ebenfalls im Stock über mir. Ich legte mein Ohr
an die dünne Bretterwand, ich horte Italienisch, ich hörte meinen
Namen. Er hat getrunken, er ist der Unsrige. Rasch fülle den Po¬
kal von Neuem, Rosette. Der Prinz ist reif, der Prinz muß trin¬
ken! --

-- Eben so stark? fragte eine weibliche Stimme. --

-- Nicht nöchig; denn ist er schon ein Deutscher, so scheint er
doch matt und schwach!

-- Bei All' dem, Filippo, ist er ein schöner Mann! Ein schwär¬
merisch loderndes Auge!

-- Pah, mit blassen, fahlen Wangen! Ein fieberhafter Mensch
und doch kalt! Ein kaltes Fieber! -- Rosette, ich fürchte um Deinen
guten Geschmack, bist Du länger aus Wälschland sort! -- Aber
sahst Du schon die Merkwürdigkeit in der Gesellschaft? Weißt Du
schon, daß ein Weib unter uns ist?

-- Du meinst mich, Filippo.

-- Nicht doch, wir sind mit Donner und Blitz die Götter im
Olymp, bei uns ist Alles möglich. Aber unten im Gewühl dieser
Sterblichen, ein Rosenkreuzer im Unterrock, ein Dragoneroffizier in
der Schürze!

Ein lautes Gelächter unterbrach die weitern Mittheilungen.
-- Still! rief noch die männliche Stimme, die deutschen Bären sind
hinten im langen Speisesaal versammelt. Sie debattiren über ihre
reine Lehre sehr hitzig und dunkel. Vielleicht entscheidet endlich noch
die Faust, wenn der Verstand nicht ausreicht. Gleichviel! Ist der
Prinz nur unser! Diese Nacht muß über unser Schicksal entscheiden,
Rosette! -- Die Redenden entfernten sich, ich folgte ihnen athemlos
den Gang hinunter. Die Schuhe hatt' ich abgezogen, um meinen
Tritt zu verdecken. Eine kleine hölzerne Treppe brachte mich in den
obern Söller. Ich konnte der Lockung nicht widerstehen, merkte mir
die Windungen, um den Rückweg wiederzufinden, und tappte auch
hier von Lampe zu Lampe in dem Gewirr von Gängen und Schluch¬
ten weiter. Ich befand mich in einem ganz andern Theil des Hau-


lich eine Feder nieder und sinke rückwärts in eine Oeffnung, die kaum
groß genug war, um für eine Thür zu gelten. Sie führte auf einen
schmalen Gang, an dessen Ende eine Lampe brannte. Ich trat schüch¬
tern hinein, lauschend und horchend. Eine Stimme rief oben, eine
zweite antwortete ebenfalls im Stock über mir. Ich legte mein Ohr
an die dünne Bretterwand, ich horte Italienisch, ich hörte meinen
Namen. Er hat getrunken, er ist der Unsrige. Rasch fülle den Po¬
kal von Neuem, Rosette. Der Prinz ist reif, der Prinz muß trin¬
ken! —

— Eben so stark? fragte eine weibliche Stimme. —

— Nicht nöchig; denn ist er schon ein Deutscher, so scheint er
doch matt und schwach!

— Bei All' dem, Filippo, ist er ein schöner Mann! Ein schwär¬
merisch loderndes Auge!

— Pah, mit blassen, fahlen Wangen! Ein fieberhafter Mensch
und doch kalt! Ein kaltes Fieber! — Rosette, ich fürchte um Deinen
guten Geschmack, bist Du länger aus Wälschland sort! — Aber
sahst Du schon die Merkwürdigkeit in der Gesellschaft? Weißt Du
schon, daß ein Weib unter uns ist?

— Du meinst mich, Filippo.

— Nicht doch, wir sind mit Donner und Blitz die Götter im
Olymp, bei uns ist Alles möglich. Aber unten im Gewühl dieser
Sterblichen, ein Rosenkreuzer im Unterrock, ein Dragoneroffizier in
der Schürze!

Ein lautes Gelächter unterbrach die weitern Mittheilungen.
— Still! rief noch die männliche Stimme, die deutschen Bären sind
hinten im langen Speisesaal versammelt. Sie debattiren über ihre
reine Lehre sehr hitzig und dunkel. Vielleicht entscheidet endlich noch
die Faust, wenn der Verstand nicht ausreicht. Gleichviel! Ist der
Prinz nur unser! Diese Nacht muß über unser Schicksal entscheiden,
Rosette! — Die Redenden entfernten sich, ich folgte ihnen athemlos
den Gang hinunter. Die Schuhe hatt' ich abgezogen, um meinen
Tritt zu verdecken. Eine kleine hölzerne Treppe brachte mich in den
obern Söller. Ich konnte der Lockung nicht widerstehen, merkte mir
die Windungen, um den Rückweg wiederzufinden, und tappte auch
hier von Lampe zu Lampe in dem Gewirr von Gängen und Schluch¬
ten weiter. Ich befand mich in einem ganz andern Theil des Hau-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/375>, abgerufen am 23.07.2024.