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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ganz wo anders hin. Der Bürger und Bauer kann sich eben so
wenig mit Frankreich befreunden, dessen Name ihm eine lange Reihe
erduldeter Uebel in die Erinnerung ruft. Von Geschlecht zu Ge¬
schlechte ziehen die Traditionen von eingeäscherten Dörfern, zerstörten
Wohlstande, Mord und Plünderung aus Ludwig's XIV-Zeit; dann
fraßen wieder die Kriege der Republik und Napoleons so viel an
Söhnen und Steuern, die Intendanten, Generale und Armcccom-
missäre hausten so schändlich: das vergessen die, über deren Gegenden
und Familien der Sturm ging, so leicht nicht. Schon die Kriegsschul¬
den, die noch heute sich in dem Steuervolumcn fühlbar machen, sor¬
gen für bleibende Erinnerung. Daß die französische Revolution un¬
ter den Winkeltyranneien aufgeräumt, die Feudallasten verringert, den
Verkehr und die Consumtion verstärkt, die bürgerlichen Rechte da und
dort erweitert, dem Beamtendruck merklich abgeholfen hat, diesem
Causalzusammenhange nachzuspüren, hat der Mann hinterm Pfluge
und in der Werkstätte weder Zeit noch Mittel. Dabei geschieht
so Manches, um ja das Vorurtheil zu verewigen. /Was soll man
z. B. dazu sagen, wenn in Würtemberg als eine der beliebtesten
Scheiben für die Schießübungen des Militärs ein rothhvsigcr Fran¬
zose auftreten muß, der Erbfeind, das Türkensurrogat, auf den die
Leute dann auch fanatisch loöfeuern! Beiläufig gesagt, wäre ich der
französische Gesandte, so würde ich gegen eine solche, die gewöhn¬
lichste Courtoisie in'ö Gesicht schlagende und höchsten Orts sicher un¬
bekannte Gehässigkeit reclamiren, statt dawider, daß in Lindpaintner's
Oper: die sizilianische Vesper, das Fest der h. Rosalie auf die Bret¬
ter gebracht wird, worin Herr v. Fontenay, der Vertreter des Juli¬
königthums, eine unstatthafte Entwürdigung der katholischen Kirche
und Veranlassung zu diplomatischem Einschreiten zu finden sich be¬
müßigt sah.

Um wieder auf die würtenbergische Opposition zu kommen, so
hindert die Hinneigung zu Frankreich nicht, daß auch (ja vorzugsweise)
bei dep Opposition -- ein schönes Zeichen der Zukunft! -- jene tiefe
Abneigung gegen alles norddeutsche und namentlich gegen Preußen,
die noch vor zehn Jahren die öffentliche Meinung hier zu Land be¬
herrschte, von einem aufrichtigen und warmen Interesse für die Ent¬
wicklung der norddeutschen Zustände überwunden wurde. Es ist eben
kein Vorurtheil so steil, die Nothwendigkeit ersteigt es, keine Abnei-


ganz wo anders hin. Der Bürger und Bauer kann sich eben so
wenig mit Frankreich befreunden, dessen Name ihm eine lange Reihe
erduldeter Uebel in die Erinnerung ruft. Von Geschlecht zu Ge¬
schlechte ziehen die Traditionen von eingeäscherten Dörfern, zerstörten
Wohlstande, Mord und Plünderung aus Ludwig's XIV-Zeit; dann
fraßen wieder die Kriege der Republik und Napoleons so viel an
Söhnen und Steuern, die Intendanten, Generale und Armcccom-
missäre hausten so schändlich: das vergessen die, über deren Gegenden
und Familien der Sturm ging, so leicht nicht. Schon die Kriegsschul¬
den, die noch heute sich in dem Steuervolumcn fühlbar machen, sor¬
gen für bleibende Erinnerung. Daß die französische Revolution un¬
ter den Winkeltyranneien aufgeräumt, die Feudallasten verringert, den
Verkehr und die Consumtion verstärkt, die bürgerlichen Rechte da und
dort erweitert, dem Beamtendruck merklich abgeholfen hat, diesem
Causalzusammenhange nachzuspüren, hat der Mann hinterm Pfluge
und in der Werkstätte weder Zeit noch Mittel. Dabei geschieht
so Manches, um ja das Vorurtheil zu verewigen. /Was soll man
z. B. dazu sagen, wenn in Würtemberg als eine der beliebtesten
Scheiben für die Schießübungen des Militärs ein rothhvsigcr Fran¬
zose auftreten muß, der Erbfeind, das Türkensurrogat, auf den die
Leute dann auch fanatisch loöfeuern! Beiläufig gesagt, wäre ich der
französische Gesandte, so würde ich gegen eine solche, die gewöhn¬
lichste Courtoisie in'ö Gesicht schlagende und höchsten Orts sicher un¬
bekannte Gehässigkeit reclamiren, statt dawider, daß in Lindpaintner's
Oper: die sizilianische Vesper, das Fest der h. Rosalie auf die Bret¬
ter gebracht wird, worin Herr v. Fontenay, der Vertreter des Juli¬
königthums, eine unstatthafte Entwürdigung der katholischen Kirche
und Veranlassung zu diplomatischem Einschreiten zu finden sich be¬
müßigt sah.

Um wieder auf die würtenbergische Opposition zu kommen, so
hindert die Hinneigung zu Frankreich nicht, daß auch (ja vorzugsweise)
bei dep Opposition — ein schönes Zeichen der Zukunft! — jene tiefe
Abneigung gegen alles norddeutsche und namentlich gegen Preußen,
die noch vor zehn Jahren die öffentliche Meinung hier zu Land be¬
herrschte, von einem aufrichtigen und warmen Interesse für die Ent¬
wicklung der norddeutschen Zustände überwunden wurde. Es ist eben
kein Vorurtheil so steil, die Nothwendigkeit ersteigt es, keine Abnei-


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[0327] ganz wo anders hin. Der Bürger und Bauer kann sich eben so wenig mit Frankreich befreunden, dessen Name ihm eine lange Reihe erduldeter Uebel in die Erinnerung ruft. Von Geschlecht zu Ge¬ schlechte ziehen die Traditionen von eingeäscherten Dörfern, zerstörten Wohlstande, Mord und Plünderung aus Ludwig's XIV-Zeit; dann fraßen wieder die Kriege der Republik und Napoleons so viel an Söhnen und Steuern, die Intendanten, Generale und Armcccom- missäre hausten so schändlich: das vergessen die, über deren Gegenden und Familien der Sturm ging, so leicht nicht. Schon die Kriegsschul¬ den, die noch heute sich in dem Steuervolumcn fühlbar machen, sor¬ gen für bleibende Erinnerung. Daß die französische Revolution un¬ ter den Winkeltyranneien aufgeräumt, die Feudallasten verringert, den Verkehr und die Consumtion verstärkt, die bürgerlichen Rechte da und dort erweitert, dem Beamtendruck merklich abgeholfen hat, diesem Causalzusammenhange nachzuspüren, hat der Mann hinterm Pfluge und in der Werkstätte weder Zeit noch Mittel. Dabei geschieht so Manches, um ja das Vorurtheil zu verewigen. /Was soll man z. B. dazu sagen, wenn in Würtemberg als eine der beliebtesten Scheiben für die Schießübungen des Militärs ein rothhvsigcr Fran¬ zose auftreten muß, der Erbfeind, das Türkensurrogat, auf den die Leute dann auch fanatisch loöfeuern! Beiläufig gesagt, wäre ich der französische Gesandte, so würde ich gegen eine solche, die gewöhn¬ lichste Courtoisie in'ö Gesicht schlagende und höchsten Orts sicher un¬ bekannte Gehässigkeit reclamiren, statt dawider, daß in Lindpaintner's Oper: die sizilianische Vesper, das Fest der h. Rosalie auf die Bret¬ ter gebracht wird, worin Herr v. Fontenay, der Vertreter des Juli¬ königthums, eine unstatthafte Entwürdigung der katholischen Kirche und Veranlassung zu diplomatischem Einschreiten zu finden sich be¬ müßigt sah. Um wieder auf die würtenbergische Opposition zu kommen, so hindert die Hinneigung zu Frankreich nicht, daß auch (ja vorzugsweise) bei dep Opposition — ein schönes Zeichen der Zukunft! — jene tiefe Abneigung gegen alles norddeutsche und namentlich gegen Preußen, die noch vor zehn Jahren die öffentliche Meinung hier zu Land be¬ herrschte, von einem aufrichtigen und warmen Interesse für die Ent¬ wicklung der norddeutschen Zustände überwunden wurde. Es ist eben kein Vorurtheil so steil, die Nothwendigkeit ersteigt es, keine Abnei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/327>, abgerufen am 22.07.2024.