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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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-- Ihr sprecht in lauter Räthseln vor mir, begann ich aus mei¬
ner Verwunderung aufzutauchen.

-- Ihr haltet mich, ehrwürdiger Herr, für einen Eingeweihten und
ich muß zu meiner Beschämung gestehen, daß mein Führer, der mich
in den deutschen Landen herumschleppt, so redselig er sonst ist, mich
wenig vorbereitet hat zu Eueren Geheimnissen. Ich begleite ihn auf
seinen Zügen, weil eS mich reizt, unter deutschen Christen die soge¬
nannte reine Lehre kennen zu lernen.

-- Nun, und das befähigt Euch hinlänglich, sagte Dreykorn, in
unsern Bund zu treten. Wir nennen uns die Gesellschaft zur Ver¬
breitung der reinen Lehre. Nur finden wir diese nicht ausschließlich
in den Bekenntnissen der vereinzelten Reformer, sondern in dem pa¬
triarchalischen Urchristenthum, dessen apostolische Einfachheit wir wie¬
derherstellen wollen. Dies ist das Feld, auf dein sich die gespaltene
Christenheit wieder zusammenfindet, dies der reine Quell der Gnade,
der Brunnen, der uns den Trank des unsterblichen Lebens spendet.
Wir erstreben eine heilige allgemeine Kirche und halten die wahre
ücclesi-" 8:uictit "Aetolien für älter und heiliger als das Bisthum
zu Rom.

Er sah mich forschend an mit Blicken, die aus dem Abgrund
einer tiefen, wenn auch dunkeln Seele leuchteten. Er hatte einen
Ton angeschlagen, der in meinem Innern seinen Widerklang fand.

-- Man hat mir, sagt' ich, von der Verbrüderung der Freimau¬
rer gesagt. Gehören sie zu Euerem Bunde?

- Einzelne Logen, sagte Dreykorn, haben sich uns angeschlossen;
wie das ganze System Misraim, und erst kürzlich in Frankfurt die
Loge Melchisedek.

-- Dieselbe, die auch Juden aufnimmt?

-- Dieselbe. Wir lassen sie zu, ob uns schon Symbole bezeichne",
die für ausschließlich christlich gellen. Das Kreuz vereinigt uns und
die Rose ist als Symbol deö Geheimnisses uns gemeinsam. Aber
auch der Jude soll sich der Wahrheit nähern dürfen, wenn der Mensch
in ihm nach Wahrheit dürstet. Bekenne er sich nicht wie wir zu
Einem Gott? Und unsere Arbeit besteht in dem Ausbau des Tem¬
pels Salomonis. Daß dieser Bau sich zu einem Himmelstöne


— Ihr sprecht in lauter Räthseln vor mir, begann ich aus mei¬
ner Verwunderung aufzutauchen.

— Ihr haltet mich, ehrwürdiger Herr, für einen Eingeweihten und
ich muß zu meiner Beschämung gestehen, daß mein Führer, der mich
in den deutschen Landen herumschleppt, so redselig er sonst ist, mich
wenig vorbereitet hat zu Eueren Geheimnissen. Ich begleite ihn auf
seinen Zügen, weil eS mich reizt, unter deutschen Christen die soge¬
nannte reine Lehre kennen zu lernen.

— Nun, und das befähigt Euch hinlänglich, sagte Dreykorn, in
unsern Bund zu treten. Wir nennen uns die Gesellschaft zur Ver¬
breitung der reinen Lehre. Nur finden wir diese nicht ausschließlich
in den Bekenntnissen der vereinzelten Reformer, sondern in dem pa¬
triarchalischen Urchristenthum, dessen apostolische Einfachheit wir wie¬
derherstellen wollen. Dies ist das Feld, auf dein sich die gespaltene
Christenheit wieder zusammenfindet, dies der reine Quell der Gnade,
der Brunnen, der uns den Trank des unsterblichen Lebens spendet.
Wir erstreben eine heilige allgemeine Kirche und halten die wahre
ücclesi-» 8:uictit «Aetolien für älter und heiliger als das Bisthum
zu Rom.

Er sah mich forschend an mit Blicken, die aus dem Abgrund
einer tiefen, wenn auch dunkeln Seele leuchteten. Er hatte einen
Ton angeschlagen, der in meinem Innern seinen Widerklang fand.

— Man hat mir, sagt' ich, von der Verbrüderung der Freimau¬
rer gesagt. Gehören sie zu Euerem Bunde?

- Einzelne Logen, sagte Dreykorn, haben sich uns angeschlossen;
wie das ganze System Misraim, und erst kürzlich in Frankfurt die
Loge Melchisedek.

— Dieselbe, die auch Juden aufnimmt?

— Dieselbe. Wir lassen sie zu, ob uns schon Symbole bezeichne»,
die für ausschließlich christlich gellen. Das Kreuz vereinigt uns und
die Rose ist als Symbol deö Geheimnisses uns gemeinsam. Aber
auch der Jude soll sich der Wahrheit nähern dürfen, wenn der Mensch
in ihm nach Wahrheit dürstet. Bekenne er sich nicht wie wir zu
Einem Gott? Und unsere Arbeit besteht in dem Ausbau des Tem¬
pels Salomonis. Daß dieser Bau sich zu einem Himmelstöne


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[0320] — Ihr sprecht in lauter Räthseln vor mir, begann ich aus mei¬ ner Verwunderung aufzutauchen. — Ihr haltet mich, ehrwürdiger Herr, für einen Eingeweihten und ich muß zu meiner Beschämung gestehen, daß mein Führer, der mich in den deutschen Landen herumschleppt, so redselig er sonst ist, mich wenig vorbereitet hat zu Eueren Geheimnissen. Ich begleite ihn auf seinen Zügen, weil eS mich reizt, unter deutschen Christen die soge¬ nannte reine Lehre kennen zu lernen. — Nun, und das befähigt Euch hinlänglich, sagte Dreykorn, in unsern Bund zu treten. Wir nennen uns die Gesellschaft zur Ver¬ breitung der reinen Lehre. Nur finden wir diese nicht ausschließlich in den Bekenntnissen der vereinzelten Reformer, sondern in dem pa¬ triarchalischen Urchristenthum, dessen apostolische Einfachheit wir wie¬ derherstellen wollen. Dies ist das Feld, auf dein sich die gespaltene Christenheit wieder zusammenfindet, dies der reine Quell der Gnade, der Brunnen, der uns den Trank des unsterblichen Lebens spendet. Wir erstreben eine heilige allgemeine Kirche und halten die wahre ücclesi-» 8:uictit «Aetolien für älter und heiliger als das Bisthum zu Rom. Er sah mich forschend an mit Blicken, die aus dem Abgrund einer tiefen, wenn auch dunkeln Seele leuchteten. Er hatte einen Ton angeschlagen, der in meinem Innern seinen Widerklang fand. — Man hat mir, sagt' ich, von der Verbrüderung der Freimau¬ rer gesagt. Gehören sie zu Euerem Bunde? - Einzelne Logen, sagte Dreykorn, haben sich uns angeschlossen; wie das ganze System Misraim, und erst kürzlich in Frankfurt die Loge Melchisedek. — Dieselbe, die auch Juden aufnimmt? — Dieselbe. Wir lassen sie zu, ob uns schon Symbole bezeichne», die für ausschließlich christlich gellen. Das Kreuz vereinigt uns und die Rose ist als Symbol deö Geheimnisses uns gemeinsam. Aber auch der Jude soll sich der Wahrheit nähern dürfen, wenn der Mensch in ihm nach Wahrheit dürstet. Bekenne er sich nicht wie wir zu Einem Gott? Und unsere Arbeit besteht in dem Ausbau des Tem¬ pels Salomonis. Daß dieser Bau sich zu einem Himmelstöne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/320>, abgerufen am 23.07.2024.