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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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so leicht nicht geschlossen worden. Ohne Festung gehört Tyrol im¬
mer Oesterreich, so lange in den Herzen der Einwohner die alte
Anhänglichkeit in glühenden Buchstaben geschrieben steht; mit einer
Beste, mit einem "Zwing-Tyrol" kann es durch einen Federstrich
auf ewig verloren gehen! --

Aber auch angenommen, daß die Befestigung von Brircn zweck¬
mäßig, ja nothwendig und die dazu erforderlichen Kosten disponibel
seien, scheint es uns doch ausgemacht, daß dieselbe in dem Defensiv-
System der Monarchie auf keinen Fall die nothwendigste und dringendste
im Vergleich mit andern gefährlichen Punkten ist. Gesetzt auch, ein
Krieg mit Frankreich bräche aus, so wird der Feind, im Falle er am
Mincio und an der Etsch siegt, gewiß lieber auf der Straße von
Vicenza nach Udine, gegen Laibach und in das Herz der Monarchie
dringen, als sich an dem felsigen Tyrol den Kops anrennen, beson¬
ders wenn man im Gegensatz mit den früheren Kriegen annehmen
darf, daß die würtembergischen und bairischen Heere sein Debou-
chiren 'gegen Bregenz, Augsburg und an den Jnn verwehren.

Wie ganz anders aber stellt sich für Oesterreich die Gefahr im
Falle eines Krieges mit Rußland heraus. Das Glacis von Un¬
garn, Gallizien, ohne einen festen Punkt mit zwei unvertheidigten
Faven; -- die Kehle, die Karpathen, ohne eine Vorbereitung zur
Vertheidigung! Man denke sich zwei russische Armeen, eine von War¬
schau, die andere von Brody kommend, immer concentrisch wirkend, bei
jedem Succes sich vereinigend, im schlimmsten Falle aber sich auf die
Weichsel oder den Bug zurückziehend und das verfolgende Heer zu
einer ercentrischen Bewegung zwingend, wodurch es seine Basis, die
San oder die Karpathen freigibt! Lassen wir noch, und diese An¬
nahme ist im Falle eines russischen Krieges die wahrscheinliche, eine
dritte Heeresabtheilung in der Wallachei und Moldau, am linken
Ufer der jetzt schon de facto, wenn auch nicht de jure unter dem
Flügel des russischen Adlers rauschenden Donau, gegen Siebenbür¬
gen vorrücken, so können sich diese feindlichen Streitkräfte im Herzen
von Ungarn die Hand reichen, auf ihrem Wege nur das kleine
Carlsburg und das unbedeutende Leopoldstadt bis zu dem noch
unvollendeten Komorn finden. -- oder gegen Wien vorrücken, wo
Ollmütz die erste und letzte Schranke ist, die sich ihrem Vordringen
entgegenstellt!


so leicht nicht geschlossen worden. Ohne Festung gehört Tyrol im¬
mer Oesterreich, so lange in den Herzen der Einwohner die alte
Anhänglichkeit in glühenden Buchstaben geschrieben steht; mit einer
Beste, mit einem „Zwing-Tyrol" kann es durch einen Federstrich
auf ewig verloren gehen! —

Aber auch angenommen, daß die Befestigung von Brircn zweck¬
mäßig, ja nothwendig und die dazu erforderlichen Kosten disponibel
seien, scheint es uns doch ausgemacht, daß dieselbe in dem Defensiv-
System der Monarchie auf keinen Fall die nothwendigste und dringendste
im Vergleich mit andern gefährlichen Punkten ist. Gesetzt auch, ein
Krieg mit Frankreich bräche aus, so wird der Feind, im Falle er am
Mincio und an der Etsch siegt, gewiß lieber auf der Straße von
Vicenza nach Udine, gegen Laibach und in das Herz der Monarchie
dringen, als sich an dem felsigen Tyrol den Kops anrennen, beson¬
ders wenn man im Gegensatz mit den früheren Kriegen annehmen
darf, daß die würtembergischen und bairischen Heere sein Debou-
chiren 'gegen Bregenz, Augsburg und an den Jnn verwehren.

Wie ganz anders aber stellt sich für Oesterreich die Gefahr im
Falle eines Krieges mit Rußland heraus. Das Glacis von Un¬
garn, Gallizien, ohne einen festen Punkt mit zwei unvertheidigten
Faven; — die Kehle, die Karpathen, ohne eine Vorbereitung zur
Vertheidigung! Man denke sich zwei russische Armeen, eine von War¬
schau, die andere von Brody kommend, immer concentrisch wirkend, bei
jedem Succes sich vereinigend, im schlimmsten Falle aber sich auf die
Weichsel oder den Bug zurückziehend und das verfolgende Heer zu
einer ercentrischen Bewegung zwingend, wodurch es seine Basis, die
San oder die Karpathen freigibt! Lassen wir noch, und diese An¬
nahme ist im Falle eines russischen Krieges die wahrscheinliche, eine
dritte Heeresabtheilung in der Wallachei und Moldau, am linken
Ufer der jetzt schon de facto, wenn auch nicht de jure unter dem
Flügel des russischen Adlers rauschenden Donau, gegen Siebenbür¬
gen vorrücken, so können sich diese feindlichen Streitkräfte im Herzen
von Ungarn die Hand reichen, auf ihrem Wege nur das kleine
Carlsburg und das unbedeutende Leopoldstadt bis zu dem noch
unvollendeten Komorn finden. — oder gegen Wien vorrücken, wo
Ollmütz die erste und letzte Schranke ist, die sich ihrem Vordringen
entgegenstellt!


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[0279] so leicht nicht geschlossen worden. Ohne Festung gehört Tyrol im¬ mer Oesterreich, so lange in den Herzen der Einwohner die alte Anhänglichkeit in glühenden Buchstaben geschrieben steht; mit einer Beste, mit einem „Zwing-Tyrol" kann es durch einen Federstrich auf ewig verloren gehen! — Aber auch angenommen, daß die Befestigung von Brircn zweck¬ mäßig, ja nothwendig und die dazu erforderlichen Kosten disponibel seien, scheint es uns doch ausgemacht, daß dieselbe in dem Defensiv- System der Monarchie auf keinen Fall die nothwendigste und dringendste im Vergleich mit andern gefährlichen Punkten ist. Gesetzt auch, ein Krieg mit Frankreich bräche aus, so wird der Feind, im Falle er am Mincio und an der Etsch siegt, gewiß lieber auf der Straße von Vicenza nach Udine, gegen Laibach und in das Herz der Monarchie dringen, als sich an dem felsigen Tyrol den Kops anrennen, beson¬ ders wenn man im Gegensatz mit den früheren Kriegen annehmen darf, daß die würtembergischen und bairischen Heere sein Debou- chiren 'gegen Bregenz, Augsburg und an den Jnn verwehren. Wie ganz anders aber stellt sich für Oesterreich die Gefahr im Falle eines Krieges mit Rußland heraus. Das Glacis von Un¬ garn, Gallizien, ohne einen festen Punkt mit zwei unvertheidigten Faven; — die Kehle, die Karpathen, ohne eine Vorbereitung zur Vertheidigung! Man denke sich zwei russische Armeen, eine von War¬ schau, die andere von Brody kommend, immer concentrisch wirkend, bei jedem Succes sich vereinigend, im schlimmsten Falle aber sich auf die Weichsel oder den Bug zurückziehend und das verfolgende Heer zu einer ercentrischen Bewegung zwingend, wodurch es seine Basis, die San oder die Karpathen freigibt! Lassen wir noch, und diese An¬ nahme ist im Falle eines russischen Krieges die wahrscheinliche, eine dritte Heeresabtheilung in der Wallachei und Moldau, am linken Ufer der jetzt schon de facto, wenn auch nicht de jure unter dem Flügel des russischen Adlers rauschenden Donau, gegen Siebenbür¬ gen vorrücken, so können sich diese feindlichen Streitkräfte im Herzen von Ungarn die Hand reichen, auf ihrem Wege nur das kleine Carlsburg und das unbedeutende Leopoldstadt bis zu dem noch unvollendeten Komorn finden. — oder gegen Wien vorrücken, wo Ollmütz die erste und letzte Schranke ist, die sich ihrem Vordringen entgegenstellt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/279>, abgerufen am 22.07.2024.