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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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überflüssige Honig von den Lippen eines naschhaften Kindes, Gewiß
jedoch ist, daß man die inhaltlose Kritik wie die gewöhnliche fade
GesellschaftScvnversation am liebsten mit absprechender Bemerkungen
und gehässigen Persönlichkeiten würzt, um dem flauen und strohernen
Zeuge doch einigen pikanten Beigeschmack zu geben.

Wenn ich die Kunstrichtung in München schon an sich gelten
lasse, so komme ich zuvörderst mit den Männern der reinen Praris
in Zwiespalt, welche das ganze Weltgebäude in ein Nechenerempel
und ein Zahlensielctt verwandelt haben und überall das Plus und
Minus genau abwägen, Ihnen gegenüber werde ich selbst dann
nicht mit Ehren bestehen können, wenn es mir auch gelingen sollte,
nachzuweisen, welch einen vervollkommnende" Einfluß die hiesige Kunst-
thätigkeit auf eine Menge Gewerbszweige gehabt hat und wie viele
Vortheile der Stadt München, die sonst ziemlich todt erscheinen würde,
durch die Kanäle dieser Kunstthätigkeit zugeführt werden. Freilich,
was kümmert dieser Vortheil irgend einen Ledcrhändler in Magde¬
burg oder Berlin, da er ihn nicht mitgenießen kann? Ein solcher
Lederhändler tritt Euch vor die medicäische Venus und fragt: warum,
liebreizende Venus, von kostspieligem Marmor, warum nicht lieber
von Rindsleber? Ueberhaupt wären rindsledcrne Bildsäulen für un¬
sere Zeit kein übler Gedanke und ein charakteristisches Symbol. Die
Landwirthe haben in diesem Jahre ihre Versammlung in München
gehalten. Manche von ihnen mögen freilich weniger Poesie in dem
berühmten barberinischen Faun entdeckt haben, welcher eine Haupt¬
zierde der Glyptothek bildet, als in einem jener blumenbekränzten
schlampigen Bullen, welche während des Oktoberfestes auf der There-
sienwiese ausgestellt waren. Ich ahne auch eine Fülle von Poesie
in einer solchen Frischmasse, welche halb schwärmerisch, halb in höch¬
stem Grade dumm aus kleinen, mit Fett überwachsenen Augen blickt;
aber ich bin so gut Egoist wie ein Landwirth, und während dieser
vor den barberinischen Faun tritt und fragt: "was habe ich von
dieser Statue? Kann ich etwa mit diesem Faun die Viehzucht auf
meinen Gütern veredeln?" so trete ich mit gleichem Recht vor einen
solchen Musterbullen und frage: "was habe ich von diesem Vieh?
Kann ich durch einen solchen an sich gewiß sehenswerthen Anblick
meinen Geschmack und mein Gefühlsleben veredeln? ' Dem Landwirth
ist jene und mir diese Frage nicht zu verdenken, und es wäre schlimm,


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überflüssige Honig von den Lippen eines naschhaften Kindes, Gewiß
jedoch ist, daß man die inhaltlose Kritik wie die gewöhnliche fade
GesellschaftScvnversation am liebsten mit absprechender Bemerkungen
und gehässigen Persönlichkeiten würzt, um dem flauen und strohernen
Zeuge doch einigen pikanten Beigeschmack zu geben.

Wenn ich die Kunstrichtung in München schon an sich gelten
lasse, so komme ich zuvörderst mit den Männern der reinen Praris
in Zwiespalt, welche das ganze Weltgebäude in ein Nechenerempel
und ein Zahlensielctt verwandelt haben und überall das Plus und
Minus genau abwägen, Ihnen gegenüber werde ich selbst dann
nicht mit Ehren bestehen können, wenn es mir auch gelingen sollte,
nachzuweisen, welch einen vervollkommnende» Einfluß die hiesige Kunst-
thätigkeit auf eine Menge Gewerbszweige gehabt hat und wie viele
Vortheile der Stadt München, die sonst ziemlich todt erscheinen würde,
durch die Kanäle dieser Kunstthätigkeit zugeführt werden. Freilich,
was kümmert dieser Vortheil irgend einen Ledcrhändler in Magde¬
burg oder Berlin, da er ihn nicht mitgenießen kann? Ein solcher
Lederhändler tritt Euch vor die medicäische Venus und fragt: warum,
liebreizende Venus, von kostspieligem Marmor, warum nicht lieber
von Rindsleber? Ueberhaupt wären rindsledcrne Bildsäulen für un¬
sere Zeit kein übler Gedanke und ein charakteristisches Symbol. Die
Landwirthe haben in diesem Jahre ihre Versammlung in München
gehalten. Manche von ihnen mögen freilich weniger Poesie in dem
berühmten barberinischen Faun entdeckt haben, welcher eine Haupt¬
zierde der Glyptothek bildet, als in einem jener blumenbekränzten
schlampigen Bullen, welche während des Oktoberfestes auf der There-
sienwiese ausgestellt waren. Ich ahne auch eine Fülle von Poesie
in einer solchen Frischmasse, welche halb schwärmerisch, halb in höch¬
stem Grade dumm aus kleinen, mit Fett überwachsenen Augen blickt;
aber ich bin so gut Egoist wie ein Landwirth, und während dieser
vor den barberinischen Faun tritt und fragt: „was habe ich von
dieser Statue? Kann ich etwa mit diesem Faun die Viehzucht auf
meinen Gütern veredeln?" so trete ich mit gleichem Recht vor einen
solchen Musterbullen und frage: „was habe ich von diesem Vieh?
Kann ich durch einen solchen an sich gewiß sehenswerthen Anblick
meinen Geschmack und mein Gefühlsleben veredeln? ' Dem Landwirth
ist jene und mir diese Frage nicht zu verdenken, und es wäre schlimm,


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[0269] überflüssige Honig von den Lippen eines naschhaften Kindes, Gewiß jedoch ist, daß man die inhaltlose Kritik wie die gewöhnliche fade GesellschaftScvnversation am liebsten mit absprechender Bemerkungen und gehässigen Persönlichkeiten würzt, um dem flauen und strohernen Zeuge doch einigen pikanten Beigeschmack zu geben. Wenn ich die Kunstrichtung in München schon an sich gelten lasse, so komme ich zuvörderst mit den Männern der reinen Praris in Zwiespalt, welche das ganze Weltgebäude in ein Nechenerempel und ein Zahlensielctt verwandelt haben und überall das Plus und Minus genau abwägen, Ihnen gegenüber werde ich selbst dann nicht mit Ehren bestehen können, wenn es mir auch gelingen sollte, nachzuweisen, welch einen vervollkommnende» Einfluß die hiesige Kunst- thätigkeit auf eine Menge Gewerbszweige gehabt hat und wie viele Vortheile der Stadt München, die sonst ziemlich todt erscheinen würde, durch die Kanäle dieser Kunstthätigkeit zugeführt werden. Freilich, was kümmert dieser Vortheil irgend einen Ledcrhändler in Magde¬ burg oder Berlin, da er ihn nicht mitgenießen kann? Ein solcher Lederhändler tritt Euch vor die medicäische Venus und fragt: warum, liebreizende Venus, von kostspieligem Marmor, warum nicht lieber von Rindsleber? Ueberhaupt wären rindsledcrne Bildsäulen für un¬ sere Zeit kein übler Gedanke und ein charakteristisches Symbol. Die Landwirthe haben in diesem Jahre ihre Versammlung in München gehalten. Manche von ihnen mögen freilich weniger Poesie in dem berühmten barberinischen Faun entdeckt haben, welcher eine Haupt¬ zierde der Glyptothek bildet, als in einem jener blumenbekränzten schlampigen Bullen, welche während des Oktoberfestes auf der There- sienwiese ausgestellt waren. Ich ahne auch eine Fülle von Poesie in einer solchen Frischmasse, welche halb schwärmerisch, halb in höch¬ stem Grade dumm aus kleinen, mit Fett überwachsenen Augen blickt; aber ich bin so gut Egoist wie ein Landwirth, und während dieser vor den barberinischen Faun tritt und fragt: „was habe ich von dieser Statue? Kann ich etwa mit diesem Faun die Viehzucht auf meinen Gütern veredeln?" so trete ich mit gleichem Recht vor einen solchen Musterbullen und frage: „was habe ich von diesem Vieh? Kann ich durch einen solchen an sich gewiß sehenswerthen Anblick meinen Geschmack und mein Gefühlsleben veredeln? ' Dem Landwirth ist jene und mir diese Frage nicht zu verdenken, und es wäre schlimm, 34»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/269>, abgerufen am 26.06.2024.