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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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politische Spott-, Zweck- lind Zweckessendichtung charakterisiren und
den erhabenen Jesaias mit Robert Prutz und einen patriotischen
Psalm Davids mit den jungfräulich zarten deutschen National¬
psalmen des rheinweinbegcistcrten und hochbelobten Niklas Becker
vergleichen gewollt hätte.

Es ist jammerschade, daß ich mich nicht wie andre vernünftige
und wohlerzogene Menschen ruhig auf der geradlinigen Chaussee des
eonseauenten logischen Denkens halten kann, da es eigentlich gar nicht
in meiner Absicht lag, in meinen Münchner Skizzen vom Propheten
Jesaias und vom Daniel in der Löwengrube zu sprechen, obgleich es
in München allerdings eine Löwengrube (so heißt eine alte Gasse),
aber weder drinnen noch draußen einen Daniel gibt, von dem das
berühmte "Mene, neue, kekek upharsin" herrührte. Eigentlich wollte
ich nur von der geographischen Genauigkeit, womit die Handbücher
über München zu Werke gehn, eine kleine Probe liefern; diese trockene
Genauigkeit beleidigt wenigstens Niemand, und es mag für den
Fremden immerhin von großem Interesse sein, aus einem dieser Frem¬
denführer zu erfahren, daß der längste Tag in München 15 Stunden
54 Minuten währt. Ist er gerade zufällig an diesem Tage hier
anwesend, wie prächtig kann er da seine Zeit eintheilen! Gleich dar¬
auf heißt rS: "die Regenmenge, welche in der Gegend um München
fällt, beträgt nach Prof. Siber 2, 44 Zoll." Dies ist offenbar schief
ausgedrückt und könnte den Fremden leicht zu dem Glauben verlei¬
ten, daß es nur in der Gegend um München, aber nicht in Mün¬
chen selbst regne, während wir um Regen hier in der Stadt nicht
im Geringsten verlegen sind. In demselben Fremdenführer finde ich
bemerkt: "die mittlere Barometerhöhe beträgt 26 Zoll 4 Linien." Un¬
glaublich interessante Belehrungen für einen Fremden, der nicht der
mittleren Barometerhöhe, sondern der vielen herrlichen Kunstschätze
wegen nach München gekommen ist!

Jetzt erst fällt mir ein, daß ich früher einmal ^versprochenhabe,
in meiner vierten Skizze über die Münchner Kunst und ihre histori¬
sche Entwickelung zu schreiben. Wohlan denn, ganz trocken und
streng, wie es die hiesigen Ortsbeschreibungen lieben, um daS Blut
der Leser nicht allzusehr in Wallung zu bringen. Vielleicht so: "der



*) Siehe vorigen Jahrgang, U. Semester.
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politische Spott-, Zweck- lind Zweckessendichtung charakterisiren und
den erhabenen Jesaias mit Robert Prutz und einen patriotischen
Psalm Davids mit den jungfräulich zarten deutschen National¬
psalmen des rheinweinbegcistcrten und hochbelobten Niklas Becker
vergleichen gewollt hätte.

Es ist jammerschade, daß ich mich nicht wie andre vernünftige
und wohlerzogene Menschen ruhig auf der geradlinigen Chaussee des
eonseauenten logischen Denkens halten kann, da es eigentlich gar nicht
in meiner Absicht lag, in meinen Münchner Skizzen vom Propheten
Jesaias und vom Daniel in der Löwengrube zu sprechen, obgleich es
in München allerdings eine Löwengrube (so heißt eine alte Gasse),
aber weder drinnen noch draußen einen Daniel gibt, von dem das
berühmte „Mene, neue, kekek upharsin" herrührte. Eigentlich wollte
ich nur von der geographischen Genauigkeit, womit die Handbücher
über München zu Werke gehn, eine kleine Probe liefern; diese trockene
Genauigkeit beleidigt wenigstens Niemand, und es mag für den
Fremden immerhin von großem Interesse sein, aus einem dieser Frem¬
denführer zu erfahren, daß der längste Tag in München 15 Stunden
54 Minuten währt. Ist er gerade zufällig an diesem Tage hier
anwesend, wie prächtig kann er da seine Zeit eintheilen! Gleich dar¬
auf heißt rS: „die Regenmenge, welche in der Gegend um München
fällt, beträgt nach Prof. Siber 2, 44 Zoll." Dies ist offenbar schief
ausgedrückt und könnte den Fremden leicht zu dem Glauben verlei¬
ten, daß es nur in der Gegend um München, aber nicht in Mün¬
chen selbst regne, während wir um Regen hier in der Stadt nicht
im Geringsten verlegen sind. In demselben Fremdenführer finde ich
bemerkt: „die mittlere Barometerhöhe beträgt 26 Zoll 4 Linien." Un¬
glaublich interessante Belehrungen für einen Fremden, der nicht der
mittleren Barometerhöhe, sondern der vielen herrlichen Kunstschätze
wegen nach München gekommen ist!

Jetzt erst fällt mir ein, daß ich früher einmal ^versprochenhabe,
in meiner vierten Skizze über die Münchner Kunst und ihre histori¬
sche Entwickelung zu schreiben. Wohlan denn, ganz trocken und
streng, wie es die hiesigen Ortsbeschreibungen lieben, um daS Blut
der Leser nicht allzusehr in Wallung zu bringen. Vielleicht so: „der



*) Siehe vorigen Jahrgang, U. Semester.
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[0205] politische Spott-, Zweck- lind Zweckessendichtung charakterisiren und den erhabenen Jesaias mit Robert Prutz und einen patriotischen Psalm Davids mit den jungfräulich zarten deutschen National¬ psalmen des rheinweinbegcistcrten und hochbelobten Niklas Becker vergleichen gewollt hätte. Es ist jammerschade, daß ich mich nicht wie andre vernünftige und wohlerzogene Menschen ruhig auf der geradlinigen Chaussee des eonseauenten logischen Denkens halten kann, da es eigentlich gar nicht in meiner Absicht lag, in meinen Münchner Skizzen vom Propheten Jesaias und vom Daniel in der Löwengrube zu sprechen, obgleich es in München allerdings eine Löwengrube (so heißt eine alte Gasse), aber weder drinnen noch draußen einen Daniel gibt, von dem das berühmte „Mene, neue, kekek upharsin" herrührte. Eigentlich wollte ich nur von der geographischen Genauigkeit, womit die Handbücher über München zu Werke gehn, eine kleine Probe liefern; diese trockene Genauigkeit beleidigt wenigstens Niemand, und es mag für den Fremden immerhin von großem Interesse sein, aus einem dieser Frem¬ denführer zu erfahren, daß der längste Tag in München 15 Stunden 54 Minuten währt. Ist er gerade zufällig an diesem Tage hier anwesend, wie prächtig kann er da seine Zeit eintheilen! Gleich dar¬ auf heißt rS: „die Regenmenge, welche in der Gegend um München fällt, beträgt nach Prof. Siber 2, 44 Zoll." Dies ist offenbar schief ausgedrückt und könnte den Fremden leicht zu dem Glauben verlei¬ ten, daß es nur in der Gegend um München, aber nicht in Mün¬ chen selbst regne, während wir um Regen hier in der Stadt nicht im Geringsten verlegen sind. In demselben Fremdenführer finde ich bemerkt: „die mittlere Barometerhöhe beträgt 26 Zoll 4 Linien." Un¬ glaublich interessante Belehrungen für einen Fremden, der nicht der mittleren Barometerhöhe, sondern der vielen herrlichen Kunstschätze wegen nach München gekommen ist! Jetzt erst fällt mir ein, daß ich früher einmal ^versprochenhabe, in meiner vierten Skizze über die Münchner Kunst und ihre histori¬ sche Entwickelung zu schreiben. Wohlan denn, ganz trocken und streng, wie es die hiesigen Ortsbeschreibungen lieben, um daS Blut der Leser nicht allzusehr in Wallung zu bringen. Vielleicht so: „der *) Siehe vorigen Jahrgang, U. Semester. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/205>, abgerufen am 22.07.2024.