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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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verbindet er einen reichen Schatz von Kenntnissen und eine klare, an¬
schauliche Darstellungsgabe. Auch der alte Minirer Görres wühlt
noch fleißig in den dunkeln Gängen der Mystik und Hunderte von
Hörern füllen den Saal, um die Bekanntschaft der Schedim und
Rundes der antediluvianischer Zeit zu machen. --

Auch in unserm Museum, dem Versammlungsorte der hiesigen
noblen und gelehrten Welt, ist seit einigen Jahren Brauch, daß von
Mitgliedern wahrend der Wintersaison populäre Vorträge aus verschie¬
denen Gebieten des Wissens gehalten werden. In dieser Saison
eröffnete Dr. Schmidt den Reigen mit einem Vortrage über "die
Frauencharaktere Schiller's und Göthe's." Die gewandte und geistreiche
Behandlung seines Stoffes verschafften dem jungen Dichter (er ist
nämlich Versasser der Dramen "Camoens" und "Vretislav") vielen
Beifall. Bald darauf hörten wir Thiersch "über den Bau des antiken
Theaters," er sprach fast zu gelehrt für ein gemischtes Publicum.
Als ein erfreuliches Zeichen des Fortschrittes muß die gesteigerte Theil¬
nahme betrachtet werden, die von Seiten unseres Publicums der Jour¬
nalistik und der Oeffentlichkeit zugewendet wird. Die Theilnahme für
die erstere bezeugt die bedeutende Zunahme der Mitglieder des Lese-
vcrcins im verflossenen Jahre, so daß für das laufende Jahr die be¬
trächtliche Summe, die bisher den Journalen und der Brochüren - Li¬
teratur zugewendet wurde, um 300 si. erhöht werden konnte. An der
Spitze des Vereins steht Hofrath Thiersch, dessen umsichtiger Leitung
derselbe Vieles verdankt. Den gesteigerten Sinn für Oeffentlichkeit
bewies erst neulich wieder der ungeheure Andrang zu den Verhand¬
lungen des Cassationshofcs, während noch vor wenigen Jahren bei
solchen Veranlassungen die Reihen der Galerie ziemlich gelichtet waren. --
Vor einigen Tagen ging Laube's Struensee über unsere Bretter. Wie¬
der einmal eine freundliche Oase in der Dürre unserer Theaterwüste.
Seit Jahren hat hier kein Stück sich eines solch ungetheilten und
enthusiastischen Beifalls zu erfreuen gehabt, als dieses herrliche Stück.
Es ist dieser Beifall um so gewichtiger, als der Michel Beer'sche
Struensee, den der längere Zeit hier lebende Versasser für unsere Bühne
geschrieben hat, noch in sehr gutem Andenken steht. Daß das Stück
Reminiscenzen erweckte, läßt sich leicht denken, sie sielen aber alle,
wir gestehen es gerne, zu Gunsten des lebenden Dichters aus. Die
Hauptrollen waren in guten Händen, besonders aber war es die schwie¬
rige und vom Dichter nicht gut bedachte Rolle des geistesschwachen
Königs, die Christen mit wahrer Meisterschaft darstellte. Das Stück
wird sich dauernd auf dem Repertoir erhalten. -- Wir werden im
Laufe dieses Winters noch mehrere Novitäten zu sehen bekommen,
die aber größtentheils hiesige Dichter zu Verfassern haben. In unserer
Journalistik hat das neue Jahr keine Veränderung hervorgebracht sie
,
H. ist noch immer die alte.


verbindet er einen reichen Schatz von Kenntnissen und eine klare, an¬
schauliche Darstellungsgabe. Auch der alte Minirer Görres wühlt
noch fleißig in den dunkeln Gängen der Mystik und Hunderte von
Hörern füllen den Saal, um die Bekanntschaft der Schedim und
Rundes der antediluvianischer Zeit zu machen. —

Auch in unserm Museum, dem Versammlungsorte der hiesigen
noblen und gelehrten Welt, ist seit einigen Jahren Brauch, daß von
Mitgliedern wahrend der Wintersaison populäre Vorträge aus verschie¬
denen Gebieten des Wissens gehalten werden. In dieser Saison
eröffnete Dr. Schmidt den Reigen mit einem Vortrage über „die
Frauencharaktere Schiller's und Göthe's." Die gewandte und geistreiche
Behandlung seines Stoffes verschafften dem jungen Dichter (er ist
nämlich Versasser der Dramen „Camoens" und „Vretislav") vielen
Beifall. Bald darauf hörten wir Thiersch „über den Bau des antiken
Theaters," er sprach fast zu gelehrt für ein gemischtes Publicum.
Als ein erfreuliches Zeichen des Fortschrittes muß die gesteigerte Theil¬
nahme betrachtet werden, die von Seiten unseres Publicums der Jour¬
nalistik und der Oeffentlichkeit zugewendet wird. Die Theilnahme für
die erstere bezeugt die bedeutende Zunahme der Mitglieder des Lese-
vcrcins im verflossenen Jahre, so daß für das laufende Jahr die be¬
trächtliche Summe, die bisher den Journalen und der Brochüren - Li¬
teratur zugewendet wurde, um 300 si. erhöht werden konnte. An der
Spitze des Vereins steht Hofrath Thiersch, dessen umsichtiger Leitung
derselbe Vieles verdankt. Den gesteigerten Sinn für Oeffentlichkeit
bewies erst neulich wieder der ungeheure Andrang zu den Verhand¬
lungen des Cassationshofcs, während noch vor wenigen Jahren bei
solchen Veranlassungen die Reihen der Galerie ziemlich gelichtet waren. —
Vor einigen Tagen ging Laube's Struensee über unsere Bretter. Wie¬
der einmal eine freundliche Oase in der Dürre unserer Theaterwüste.
Seit Jahren hat hier kein Stück sich eines solch ungetheilten und
enthusiastischen Beifalls zu erfreuen gehabt, als dieses herrliche Stück.
Es ist dieser Beifall um so gewichtiger, als der Michel Beer'sche
Struensee, den der längere Zeit hier lebende Versasser für unsere Bühne
geschrieben hat, noch in sehr gutem Andenken steht. Daß das Stück
Reminiscenzen erweckte, läßt sich leicht denken, sie sielen aber alle,
wir gestehen es gerne, zu Gunsten des lebenden Dichters aus. Die
Hauptrollen waren in guten Händen, besonders aber war es die schwie¬
rige und vom Dichter nicht gut bedachte Rolle des geistesschwachen
Königs, die Christen mit wahrer Meisterschaft darstellte. Das Stück
wird sich dauernd auf dem Repertoir erhalten. — Wir werden im
Laufe dieses Winters noch mehrere Novitäten zu sehen bekommen,
die aber größtentheils hiesige Dichter zu Verfassern haben. In unserer
Journalistik hat das neue Jahr keine Veränderung hervorgebracht sie
,
H. ist noch immer die alte.


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[0196] verbindet er einen reichen Schatz von Kenntnissen und eine klare, an¬ schauliche Darstellungsgabe. Auch der alte Minirer Görres wühlt noch fleißig in den dunkeln Gängen der Mystik und Hunderte von Hörern füllen den Saal, um die Bekanntschaft der Schedim und Rundes der antediluvianischer Zeit zu machen. — Auch in unserm Museum, dem Versammlungsorte der hiesigen noblen und gelehrten Welt, ist seit einigen Jahren Brauch, daß von Mitgliedern wahrend der Wintersaison populäre Vorträge aus verschie¬ denen Gebieten des Wissens gehalten werden. In dieser Saison eröffnete Dr. Schmidt den Reigen mit einem Vortrage über „die Frauencharaktere Schiller's und Göthe's." Die gewandte und geistreiche Behandlung seines Stoffes verschafften dem jungen Dichter (er ist nämlich Versasser der Dramen „Camoens" und „Vretislav") vielen Beifall. Bald darauf hörten wir Thiersch „über den Bau des antiken Theaters," er sprach fast zu gelehrt für ein gemischtes Publicum. Als ein erfreuliches Zeichen des Fortschrittes muß die gesteigerte Theil¬ nahme betrachtet werden, die von Seiten unseres Publicums der Jour¬ nalistik und der Oeffentlichkeit zugewendet wird. Die Theilnahme für die erstere bezeugt die bedeutende Zunahme der Mitglieder des Lese- vcrcins im verflossenen Jahre, so daß für das laufende Jahr die be¬ trächtliche Summe, die bisher den Journalen und der Brochüren - Li¬ teratur zugewendet wurde, um 300 si. erhöht werden konnte. An der Spitze des Vereins steht Hofrath Thiersch, dessen umsichtiger Leitung derselbe Vieles verdankt. Den gesteigerten Sinn für Oeffentlichkeit bewies erst neulich wieder der ungeheure Andrang zu den Verhand¬ lungen des Cassationshofcs, während noch vor wenigen Jahren bei solchen Veranlassungen die Reihen der Galerie ziemlich gelichtet waren. — Vor einigen Tagen ging Laube's Struensee über unsere Bretter. Wie¬ der einmal eine freundliche Oase in der Dürre unserer Theaterwüste. Seit Jahren hat hier kein Stück sich eines solch ungetheilten und enthusiastischen Beifalls zu erfreuen gehabt, als dieses herrliche Stück. Es ist dieser Beifall um so gewichtiger, als der Michel Beer'sche Struensee, den der längere Zeit hier lebende Versasser für unsere Bühne geschrieben hat, noch in sehr gutem Andenken steht. Daß das Stück Reminiscenzen erweckte, läßt sich leicht denken, sie sielen aber alle, wir gestehen es gerne, zu Gunsten des lebenden Dichters aus. Die Hauptrollen waren in guten Händen, besonders aber war es die schwie¬ rige und vom Dichter nicht gut bedachte Rolle des geistesschwachen Königs, die Christen mit wahrer Meisterschaft darstellte. Das Stück wird sich dauernd auf dem Repertoir erhalten. — Wir werden im Laufe dieses Winters noch mehrere Novitäten zu sehen bekommen, die aber größtentheils hiesige Dichter zu Verfassern haben. In unserer Journalistik hat das neue Jahr keine Veränderung hervorgebracht sie , H. ist noch immer die alte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/196>, abgerufen am 22.07.2024.