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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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mit einer Schnelligkeit, die leicht beweist, wie verhaßt sich die Frem¬
den gemacht haben. Dieser Spitzname macht bis auf heute vielen
Franzosen den Aufenthalt in Belgien unangenehm; denn er verfolgt
den Ehrenmann, wie den Unehrenhaften; er ist ein Fluch für sie ge¬
worden, wie das "Hep" für die deutschen Juden.

Das kleine unglückliche Häuflein Deutsche, welche die Stürme
der erstell dreißiger Jahre aus ihrem Vaterlande entwurzelten und in
die Fremde trieben, suchte meist in Frankreich und England eine
Zufluchtsstätte. Denn die meisten unter ihnen gehörten dem Gelehr-
tenstande an, und so bot ihnen Paris und London einen großer" und
möglichem Wirkungskreis, als die kleinern belgischen Städte mit ihrer
vorwiegenden industriellen Richtung.

Wenn man Freiligrath und Heinzen, die hoffentlich nicht lange
zum Erik gezwungen sein werden, ausnimmt, so weiß ich in Belgien
blos zwei Deutsche, denen politische Ursachen die Rückkehr absperren.
Der eine ist ein Doctor der Medizin, Herr Breyer, ein Preuße, der
eigentlich selbst an keinem politischen Attentate Theil genommen hat.
sondern nur einem Freunde, der in einem solchen compromittirt war,
zur Flucht aus dem Gefängnisse behilflich war und dadurch noth¬
wendiger Weise mit flüchten mußte; diese Freundeöthat kostete dem
jungen Candidaten der Medizin, der am Vorabende seiner praktischen
Carriere stand, seine ganze Zukunft in der Heimath. Die Amnestie,
welche Friedrich Wilhelm IV. erließ, schloß ihn aus, obschon sein
Vergehen gewiß ein sehr menschliches und, vom Standpunkt des Her-
zens betrachtet, sogar ein edles war.

Ein zweiter und wichtigerer Erilirter ist der Professor der Philoso¬
phie und des Naturrechts an der Brüsseler Universität, Herr or. Ahrens.
Ahrens, Sohn einer achtbaren Familie im Hannöverschen, war
im Jahre 1831 als ein junger Mann von kaum 21 Jahren Privat¬
docent in Göttingen. Die bekannten Unruhen hatten ihn mit fortgerissen
und als einer der eifrigsten und beliebtesten jungen Männer war
er zum Mitglied des aus Bürgern und Studenten zusammengesetzten
Genieinderaths gewählt worden. Nach der Occupation Göttingens
von den hannöverschen Truppen mußte er flüchten. Er ging über
Belgien nach Frankreich, wo er die Aufmerksamkeit des damaligen
Ministers Cousin auf seine rechtsphilosvphischcn Arbeiten zu ziehen
wußte. Ein eifriger Anhänger der Stranßischcn Philosophie, schloß er


mit einer Schnelligkeit, die leicht beweist, wie verhaßt sich die Frem¬
den gemacht haben. Dieser Spitzname macht bis auf heute vielen
Franzosen den Aufenthalt in Belgien unangenehm; denn er verfolgt
den Ehrenmann, wie den Unehrenhaften; er ist ein Fluch für sie ge¬
worden, wie das „Hep" für die deutschen Juden.

Das kleine unglückliche Häuflein Deutsche, welche die Stürme
der erstell dreißiger Jahre aus ihrem Vaterlande entwurzelten und in
die Fremde trieben, suchte meist in Frankreich und England eine
Zufluchtsstätte. Denn die meisten unter ihnen gehörten dem Gelehr-
tenstande an, und so bot ihnen Paris und London einen großer« und
möglichem Wirkungskreis, als die kleinern belgischen Städte mit ihrer
vorwiegenden industriellen Richtung.

Wenn man Freiligrath und Heinzen, die hoffentlich nicht lange
zum Erik gezwungen sein werden, ausnimmt, so weiß ich in Belgien
blos zwei Deutsche, denen politische Ursachen die Rückkehr absperren.
Der eine ist ein Doctor der Medizin, Herr Breyer, ein Preuße, der
eigentlich selbst an keinem politischen Attentate Theil genommen hat.
sondern nur einem Freunde, der in einem solchen compromittirt war,
zur Flucht aus dem Gefängnisse behilflich war und dadurch noth¬
wendiger Weise mit flüchten mußte; diese Freundeöthat kostete dem
jungen Candidaten der Medizin, der am Vorabende seiner praktischen
Carriere stand, seine ganze Zukunft in der Heimath. Die Amnestie,
welche Friedrich Wilhelm IV. erließ, schloß ihn aus, obschon sein
Vergehen gewiß ein sehr menschliches und, vom Standpunkt des Her-
zens betrachtet, sogar ein edles war.

Ein zweiter und wichtigerer Erilirter ist der Professor der Philoso¬
phie und des Naturrechts an der Brüsseler Universität, Herr or. Ahrens.
Ahrens, Sohn einer achtbaren Familie im Hannöverschen, war
im Jahre 1831 als ein junger Mann von kaum 21 Jahren Privat¬
docent in Göttingen. Die bekannten Unruhen hatten ihn mit fortgerissen
und als einer der eifrigsten und beliebtesten jungen Männer war
er zum Mitglied des aus Bürgern und Studenten zusammengesetzten
Genieinderaths gewählt worden. Nach der Occupation Göttingens
von den hannöverschen Truppen mußte er flüchten. Er ging über
Belgien nach Frankreich, wo er die Aufmerksamkeit des damaligen
Ministers Cousin auf seine rechtsphilosvphischcn Arbeiten zu ziehen
wußte. Ein eifriger Anhänger der Stranßischcn Philosophie, schloß er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/17>, abgerufen am 22.07.2024.