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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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entferntem Provinzen beziehen und auf diese Weise Leute erhalten,
welche noch nicht von Hochmuth, Trägheit und Vergnügungssucht an¬
gesteckt sind. Doch kaum sind solche Personen ein Jahr in der Haupt¬
stadt, so werden auch sie von der allgemeinen Verderbnis) ergriffen
und arten in denselben Lastern aus, wie die Eingebornen selbst. Das
Uebel läßt nun allerdings auf eine tiefere Wurzel schließen, und es
ist damit gar wenig gethan, wenn man in Klagen über das Sitten-
verderbniß und den Geist des Ungehorsams ausbricht, von denen die
untere Sphäre beherrscht sein sollen; ein schärferes Auge sieht in die
Wunde, über deren Eiterung man böse ist, und verlangt eine radi-
calere Abhilfe, als die, alte Lämmer von Dienftmägden alljährlich
mit Prämien zu betheilen. Warum anders strömen täglich Hunderte
von Unbeschäftigten in die Thore Wiens, als weil ihnen das Pro¬
vinzleben keine Erwerbsquellen darbietet? Bedenkt man nun, wie ge¬
ring die relative Bevölkerung der meisten Theile der Monarchie ist,
so muß man allerdings den Kopf schütteln über jene Erscheinung.
Pauperismus in den Provinzen, verderbtes, genußgieriges Gestndel in
den Straßen der Hauptstadt, wohin soll dies führen?

Die Wiener Polizei hat sich endlich zu einem heroischen Mittel
entschlossen, die Residenz von dem verbrecherischen Theile des arbeits¬
scheuen Gesindels zu befreien, und ließ vierhundert sogenannte Strich¬
buben, die Nachts die Straßen unsicher machen, plötzlich aufgreifen
und in Ketten nach Triest abführen, wo sie theils zum Seedienst ge¬
nommen, theils in ein Arbeitshaus auf der dalmatinischen Insel
Bissa gesteckt werden sollen. Diese Maßregel ist jedoch nur ein Palli-
ativmittel und wenn sich nur einmal der erste Schreck verloren hat,
so wird man schon wieder von nächtlichen Anfällen und Einbrüchen
hören. Wie vortheilhaft wäre es darum nicht für die öffentliche Si¬
cherheit, wollte man sich dazu entschließen, gewisse Verbrecher und alle
einheimischen Vagabunden entweder an der Militärgrenze oder auf den
Küsteninseln des adriatischen Meeres zu kolonistren. Der Hofkriegsrath
hat sich gegen die Anmuthung gesträubt, solche Leute in das Militär¬
grenzgebiet aufzunehmen, und doch wäre dies noch die beste Manier,
die arbeitsscheue Horde zu ordentlichen Menschen zu erziehen; denn
die Mehrzahl davon besteht aus solchen Individuen, die der Luxus
und das schlaffe Sinnenleben zum Verbrechen geführt haben und die
sich ohne Zweifel bessern würden, sobald man sie in einfache Verhält¬
nisse versetzte, wo kein verführerisches Beispiel ihre bösen Lüste reizt.
r

Unsere Polizei hat sich nach der Meinung des Publicums nu
allzulange mit der Bewachung der ehrlichen Leute befaßt und sich
blos durch politische Spionerie, die in Wien bis jetzt wenigstens ganz
unnöthig gewesen, ausgezeichnet. Widmet sie fortan dieselbe Thätig¬
keit, welche sie bisher der Belauschung der achtbaren Stände geweiht,
der Aufspürung und Verhütung des Verbrechens, so wird sie sich


entferntem Provinzen beziehen und auf diese Weise Leute erhalten,
welche noch nicht von Hochmuth, Trägheit und Vergnügungssucht an¬
gesteckt sind. Doch kaum sind solche Personen ein Jahr in der Haupt¬
stadt, so werden auch sie von der allgemeinen Verderbnis) ergriffen
und arten in denselben Lastern aus, wie die Eingebornen selbst. Das
Uebel läßt nun allerdings auf eine tiefere Wurzel schließen, und es
ist damit gar wenig gethan, wenn man in Klagen über das Sitten-
verderbniß und den Geist des Ungehorsams ausbricht, von denen die
untere Sphäre beherrscht sein sollen; ein schärferes Auge sieht in die
Wunde, über deren Eiterung man böse ist, und verlangt eine radi-
calere Abhilfe, als die, alte Lämmer von Dienftmägden alljährlich
mit Prämien zu betheilen. Warum anders strömen täglich Hunderte
von Unbeschäftigten in die Thore Wiens, als weil ihnen das Pro¬
vinzleben keine Erwerbsquellen darbietet? Bedenkt man nun, wie ge¬
ring die relative Bevölkerung der meisten Theile der Monarchie ist,
so muß man allerdings den Kopf schütteln über jene Erscheinung.
Pauperismus in den Provinzen, verderbtes, genußgieriges Gestndel in
den Straßen der Hauptstadt, wohin soll dies führen?

Die Wiener Polizei hat sich endlich zu einem heroischen Mittel
entschlossen, die Residenz von dem verbrecherischen Theile des arbeits¬
scheuen Gesindels zu befreien, und ließ vierhundert sogenannte Strich¬
buben, die Nachts die Straßen unsicher machen, plötzlich aufgreifen
und in Ketten nach Triest abführen, wo sie theils zum Seedienst ge¬
nommen, theils in ein Arbeitshaus auf der dalmatinischen Insel
Bissa gesteckt werden sollen. Diese Maßregel ist jedoch nur ein Palli-
ativmittel und wenn sich nur einmal der erste Schreck verloren hat,
so wird man schon wieder von nächtlichen Anfällen und Einbrüchen
hören. Wie vortheilhaft wäre es darum nicht für die öffentliche Si¬
cherheit, wollte man sich dazu entschließen, gewisse Verbrecher und alle
einheimischen Vagabunden entweder an der Militärgrenze oder auf den
Küsteninseln des adriatischen Meeres zu kolonistren. Der Hofkriegsrath
hat sich gegen die Anmuthung gesträubt, solche Leute in das Militär¬
grenzgebiet aufzunehmen, und doch wäre dies noch die beste Manier,
die arbeitsscheue Horde zu ordentlichen Menschen zu erziehen; denn
die Mehrzahl davon besteht aus solchen Individuen, die der Luxus
und das schlaffe Sinnenleben zum Verbrechen geführt haben und die
sich ohne Zweifel bessern würden, sobald man sie in einfache Verhält¬
nisse versetzte, wo kein verführerisches Beispiel ihre bösen Lüste reizt.
r

Unsere Polizei hat sich nach der Meinung des Publicums nu
allzulange mit der Bewachung der ehrlichen Leute befaßt und sich
blos durch politische Spionerie, die in Wien bis jetzt wenigstens ganz
unnöthig gewesen, ausgezeichnet. Widmet sie fortan dieselbe Thätig¬
keit, welche sie bisher der Belauschung der achtbaren Stände geweiht,
der Aufspürung und Verhütung des Verbrechens, so wird sie sich


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[0092] entferntem Provinzen beziehen und auf diese Weise Leute erhalten, welche noch nicht von Hochmuth, Trägheit und Vergnügungssucht an¬ gesteckt sind. Doch kaum sind solche Personen ein Jahr in der Haupt¬ stadt, so werden auch sie von der allgemeinen Verderbnis) ergriffen und arten in denselben Lastern aus, wie die Eingebornen selbst. Das Uebel läßt nun allerdings auf eine tiefere Wurzel schließen, und es ist damit gar wenig gethan, wenn man in Klagen über das Sitten- verderbniß und den Geist des Ungehorsams ausbricht, von denen die untere Sphäre beherrscht sein sollen; ein schärferes Auge sieht in die Wunde, über deren Eiterung man böse ist, und verlangt eine radi- calere Abhilfe, als die, alte Lämmer von Dienftmägden alljährlich mit Prämien zu betheilen. Warum anders strömen täglich Hunderte von Unbeschäftigten in die Thore Wiens, als weil ihnen das Pro¬ vinzleben keine Erwerbsquellen darbietet? Bedenkt man nun, wie ge¬ ring die relative Bevölkerung der meisten Theile der Monarchie ist, so muß man allerdings den Kopf schütteln über jene Erscheinung. Pauperismus in den Provinzen, verderbtes, genußgieriges Gestndel in den Straßen der Hauptstadt, wohin soll dies führen? Die Wiener Polizei hat sich endlich zu einem heroischen Mittel entschlossen, die Residenz von dem verbrecherischen Theile des arbeits¬ scheuen Gesindels zu befreien, und ließ vierhundert sogenannte Strich¬ buben, die Nachts die Straßen unsicher machen, plötzlich aufgreifen und in Ketten nach Triest abführen, wo sie theils zum Seedienst ge¬ nommen, theils in ein Arbeitshaus auf der dalmatinischen Insel Bissa gesteckt werden sollen. Diese Maßregel ist jedoch nur ein Palli- ativmittel und wenn sich nur einmal der erste Schreck verloren hat, so wird man schon wieder von nächtlichen Anfällen und Einbrüchen hören. Wie vortheilhaft wäre es darum nicht für die öffentliche Si¬ cherheit, wollte man sich dazu entschließen, gewisse Verbrecher und alle einheimischen Vagabunden entweder an der Militärgrenze oder auf den Küsteninseln des adriatischen Meeres zu kolonistren. Der Hofkriegsrath hat sich gegen die Anmuthung gesträubt, solche Leute in das Militär¬ grenzgebiet aufzunehmen, und doch wäre dies noch die beste Manier, die arbeitsscheue Horde zu ordentlichen Menschen zu erziehen; denn die Mehrzahl davon besteht aus solchen Individuen, die der Luxus und das schlaffe Sinnenleben zum Verbrechen geführt haben und die sich ohne Zweifel bessern würden, sobald man sie in einfache Verhält¬ nisse versetzte, wo kein verführerisches Beispiel ihre bösen Lüste reizt. r Unsere Polizei hat sich nach der Meinung des Publicums nu allzulange mit der Bewachung der ehrlichen Leute befaßt und sich blos durch politische Spionerie, die in Wien bis jetzt wenigstens ganz unnöthig gewesen, ausgezeichnet. Widmet sie fortan dieselbe Thätig¬ keit, welche sie bisher der Belauschung der achtbaren Stände geweiht, der Aufspürung und Verhütung des Verbrechens, so wird sie sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/92>, abgerufen am 27.07.2024.