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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Beamter, thätiges Organ unserer Bureaukratie zu sein, so lange die
Stellung des Rechtsgelehrten nicht durch Oeffentlichkeit und Münd¬
lichkeit des Gerichtsverfahrens mit dem Leben in eigentliche Beziehung
und enge Verbindung ist. -- Ueber den Geist der Studenten hört
man allenthalben die bittersten Klagen laut werden, hier können diese
Beschwerden nur zu gerecht genannt werden. Während in allen un¬
seren socialen Verhältnissen eine kräftige Reaction, ein thätiger Um¬
schwung eingetreten und überall ein reges und kühnes Fortstreben
über die Schranken des Bestehenden hinaus zum Freieren und Bes¬
seren sich kundgibt, kehrt die Mehrzahl der Studenten allmälig mehr
und mehr zu mittelalterlicher Form und Sitte zurück. Man mag
diesen Krebsgang vielleicht von Oben herab mit Wohlgefallen be¬
trachten: so lange die Studenten an solchen herkömmlichen Vorur¬
theilen haften, hat man nicht zu besorgen, daß sie staatsgefährlich
zu werden anfangen. Von den Regierungen haben unsere Universi¬
täten keine Reorganisation zu erwarten; der Geist der wahren Er¬
kenntniß, der freien Forschung und der wissenschaftlichen Kritik, der
sich aus ihren Räumen in ein sein Gedeihen förderndes Klima geflüch¬
tet, muß durch die Glieder der Hochschulen selbst, lehrende sowohl
als lernende, in sie zurückgeführt werden. Wird er das nicht, so
wird er, unabhängig von den Hochschulen, außerhalb derselben fortleben
und fortwirken und ihnen, sobald sie ihm entschieden feindselig ge¬
genüber treten, den Todesstoß geben. Mögen endlich Alle, Professo¬
ren und Studenten, einsehen lernen, daß die Zeit eine andere gewor¬
den ist und daß pedantische, stubengelehrte Schulweisheit, daß bur¬
schikoses Renommiren nicht mehr hinreicht, ihren Forderungen zu ge¬
nügen. Der Geist der Geschichte, der Geist der Zeit wandelt seine
vorgezeichnete ewige Bahn, unbekümmert darum, ob, die zu seinem Ver¬
ständniß berufen sind, ihn erfassen mögen oder nicht, und ich glaube
schließlich unsere Lebensaufgabe nicht besser bezeichnen zu können, als
mit Marggraff's kräftigen Worten:


Auch außer dem Collegium
Gibt's noch ein tüchtig Streben;
Das ganze Sein ist Studium,
Und Wissenschaft das Leben!

L. W.


Beamter, thätiges Organ unserer Bureaukratie zu sein, so lange die
Stellung des Rechtsgelehrten nicht durch Oeffentlichkeit und Münd¬
lichkeit des Gerichtsverfahrens mit dem Leben in eigentliche Beziehung
und enge Verbindung ist. — Ueber den Geist der Studenten hört
man allenthalben die bittersten Klagen laut werden, hier können diese
Beschwerden nur zu gerecht genannt werden. Während in allen un¬
seren socialen Verhältnissen eine kräftige Reaction, ein thätiger Um¬
schwung eingetreten und überall ein reges und kühnes Fortstreben
über die Schranken des Bestehenden hinaus zum Freieren und Bes¬
seren sich kundgibt, kehrt die Mehrzahl der Studenten allmälig mehr
und mehr zu mittelalterlicher Form und Sitte zurück. Man mag
diesen Krebsgang vielleicht von Oben herab mit Wohlgefallen be¬
trachten: so lange die Studenten an solchen herkömmlichen Vorur¬
theilen haften, hat man nicht zu besorgen, daß sie staatsgefährlich
zu werden anfangen. Von den Regierungen haben unsere Universi¬
täten keine Reorganisation zu erwarten; der Geist der wahren Er¬
kenntniß, der freien Forschung und der wissenschaftlichen Kritik, der
sich aus ihren Räumen in ein sein Gedeihen förderndes Klima geflüch¬
tet, muß durch die Glieder der Hochschulen selbst, lehrende sowohl
als lernende, in sie zurückgeführt werden. Wird er das nicht, so
wird er, unabhängig von den Hochschulen, außerhalb derselben fortleben
und fortwirken und ihnen, sobald sie ihm entschieden feindselig ge¬
genüber treten, den Todesstoß geben. Mögen endlich Alle, Professo¬
ren und Studenten, einsehen lernen, daß die Zeit eine andere gewor¬
den ist und daß pedantische, stubengelehrte Schulweisheit, daß bur¬
schikoses Renommiren nicht mehr hinreicht, ihren Forderungen zu ge¬
nügen. Der Geist der Geschichte, der Geist der Zeit wandelt seine
vorgezeichnete ewige Bahn, unbekümmert darum, ob, die zu seinem Ver¬
ständniß berufen sind, ihn erfassen mögen oder nicht, und ich glaube
schließlich unsere Lebensaufgabe nicht besser bezeichnen zu können, als
mit Marggraff's kräftigen Worten:


Auch außer dem Collegium
Gibt's noch ein tüchtig Streben;
Das ganze Sein ist Studium,
Und Wissenschaft das Leben!

L. W.


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[0084] Beamter, thätiges Organ unserer Bureaukratie zu sein, so lange die Stellung des Rechtsgelehrten nicht durch Oeffentlichkeit und Münd¬ lichkeit des Gerichtsverfahrens mit dem Leben in eigentliche Beziehung und enge Verbindung ist. — Ueber den Geist der Studenten hört man allenthalben die bittersten Klagen laut werden, hier können diese Beschwerden nur zu gerecht genannt werden. Während in allen un¬ seren socialen Verhältnissen eine kräftige Reaction, ein thätiger Um¬ schwung eingetreten und überall ein reges und kühnes Fortstreben über die Schranken des Bestehenden hinaus zum Freieren und Bes¬ seren sich kundgibt, kehrt die Mehrzahl der Studenten allmälig mehr und mehr zu mittelalterlicher Form und Sitte zurück. Man mag diesen Krebsgang vielleicht von Oben herab mit Wohlgefallen be¬ trachten: so lange die Studenten an solchen herkömmlichen Vorur¬ theilen haften, hat man nicht zu besorgen, daß sie staatsgefährlich zu werden anfangen. Von den Regierungen haben unsere Universi¬ täten keine Reorganisation zu erwarten; der Geist der wahren Er¬ kenntniß, der freien Forschung und der wissenschaftlichen Kritik, der sich aus ihren Räumen in ein sein Gedeihen förderndes Klima geflüch¬ tet, muß durch die Glieder der Hochschulen selbst, lehrende sowohl als lernende, in sie zurückgeführt werden. Wird er das nicht, so wird er, unabhängig von den Hochschulen, außerhalb derselben fortleben und fortwirken und ihnen, sobald sie ihm entschieden feindselig ge¬ genüber treten, den Todesstoß geben. Mögen endlich Alle, Professo¬ ren und Studenten, einsehen lernen, daß die Zeit eine andere gewor¬ den ist und daß pedantische, stubengelehrte Schulweisheit, daß bur¬ schikoses Renommiren nicht mehr hinreicht, ihren Forderungen zu ge¬ nügen. Der Geist der Geschichte, der Geist der Zeit wandelt seine vorgezeichnete ewige Bahn, unbekümmert darum, ob, die zu seinem Ver¬ ständniß berufen sind, ihn erfassen mögen oder nicht, und ich glaube schließlich unsere Lebensaufgabe nicht besser bezeichnen zu können, als mit Marggraff's kräftigen Worten: Auch außer dem Collegium Gibt's noch ein tüchtig Streben; Das ganze Sein ist Studium, Und Wissenschaft das Leben! L. W.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/84>, abgerufen am 01.09.2024.