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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ten. Ich weiß nicht, seit gestern, wo ich jenes Bild so unvorbereitet
erblickte, erscheint mir mein Uebel in dem gehässigsten Lichte, und ich
verwünsche Alles, was mich in dieses Elend hat kommen lassen. --
Retten Sie mich, helfen Sie mir, Herr Doctor! --

-- Steht das Bild jenes wunderholden Kindes, das mich auch
tief ergriffen, mit Ihnen in irgend einer Verbindung? fragte ich.

-- In der engsten, antwortete der Schachtelmann, und eine
Thräne schien abermals sein Auge zu füllen; jenes liebe Wesen nannte
mich einst Vater und streichelte mit seinen zarten Händchen meine
Wange. Wenn ich malte, stieg es mir auf Knie und Schulter, griff
scherzend nach den Gestalten auf der Leinwand und redete mit ihnen
wie mit alten vertrauten Bekannten, Doch, sagte er, mit Gewalt
sich von diesen Erinnerungen losreißend, ich darf meiner Geschichte
nicht vorgreifen. -- In den Niederlanden, in dem reichen Antwer¬
pen also fand ich durch die kaufmännischen Verbindungen meines
Vaters die liebevollste Aufnahme und verlebte dort die glücklichsten
Jahre meines Lebens. Ganz und ungetheilt widmete ich mich der
Kunst; umgeben und geliebt von einer kleinen Anzahl gleichgesinnter
Freunde, bestand unser Streit nur darin, daß Einer den Andern zu
übertreffen suchte, Jeder in den eigenen Augen sich sür besiegt wähnte
und von den übrigen für den Sieger gehalten ward. Ach, es wa¬
ren glückliche, unvergeßliche Stunden, dieser freundliche Austausch
unserer Ideen, diese gegenseitige Hilfe bei gemeinschaftlichen Werken
und die völlige Anerkennung des Vorzüglichen, das Jeder vor dem
Andern hatte. -- Vielleicht ist Ihnen das Gemälde bekannt, an wel¬
chem acht Künstler: Peter Neefs, Johann van der Velde, Gonzalo
Coques, van Dyk, Tenier, Nvkaert, Abraham Breughel und Hen-
rich van Steenwyk, und zwar ein jeder das, was ihm am meisten
zusagte, malten? Wir haben mehrere solche Werke^ ausgeführt und
vorzüglich waren ich und noch zwei Andere unzertrennlich. Jeder
Abend führte uns in dem Atelier des einen zusammen, da wurde
unser Tagewerk besprochen, gelobt oder getadelt und Entwürfe zu
neuen Arbeiten gemacht. Ihr seid mir unvergeßlich, Ihr Wendelin
und Schncegas! -- Ach, was ist aus Euerem Bruder, Euerem Ro¬
bert geworden? -- Ein Schatten, ein unnützes Glied der menschli¬
chen Gesellschaft, das vor jedem Stäubchen zittert und mit Bangig-


ten. Ich weiß nicht, seit gestern, wo ich jenes Bild so unvorbereitet
erblickte, erscheint mir mein Uebel in dem gehässigsten Lichte, und ich
verwünsche Alles, was mich in dieses Elend hat kommen lassen. —
Retten Sie mich, helfen Sie mir, Herr Doctor! —

— Steht das Bild jenes wunderholden Kindes, das mich auch
tief ergriffen, mit Ihnen in irgend einer Verbindung? fragte ich.

— In der engsten, antwortete der Schachtelmann, und eine
Thräne schien abermals sein Auge zu füllen; jenes liebe Wesen nannte
mich einst Vater und streichelte mit seinen zarten Händchen meine
Wange. Wenn ich malte, stieg es mir auf Knie und Schulter, griff
scherzend nach den Gestalten auf der Leinwand und redete mit ihnen
wie mit alten vertrauten Bekannten, Doch, sagte er, mit Gewalt
sich von diesen Erinnerungen losreißend, ich darf meiner Geschichte
nicht vorgreifen. — In den Niederlanden, in dem reichen Antwer¬
pen also fand ich durch die kaufmännischen Verbindungen meines
Vaters die liebevollste Aufnahme und verlebte dort die glücklichsten
Jahre meines Lebens. Ganz und ungetheilt widmete ich mich der
Kunst; umgeben und geliebt von einer kleinen Anzahl gleichgesinnter
Freunde, bestand unser Streit nur darin, daß Einer den Andern zu
übertreffen suchte, Jeder in den eigenen Augen sich sür besiegt wähnte
und von den übrigen für den Sieger gehalten ward. Ach, es wa¬
ren glückliche, unvergeßliche Stunden, dieser freundliche Austausch
unserer Ideen, diese gegenseitige Hilfe bei gemeinschaftlichen Werken
und die völlige Anerkennung des Vorzüglichen, das Jeder vor dem
Andern hatte. — Vielleicht ist Ihnen das Gemälde bekannt, an wel¬
chem acht Künstler: Peter Neefs, Johann van der Velde, Gonzalo
Coques, van Dyk, Tenier, Nvkaert, Abraham Breughel und Hen-
rich van Steenwyk, und zwar ein jeder das, was ihm am meisten
zusagte, malten? Wir haben mehrere solche Werke^ ausgeführt und
vorzüglich waren ich und noch zwei Andere unzertrennlich. Jeder
Abend führte uns in dem Atelier des einen zusammen, da wurde
unser Tagewerk besprochen, gelobt oder getadelt und Entwürfe zu
neuen Arbeiten gemacht. Ihr seid mir unvergeßlich, Ihr Wendelin
und Schncegas! — Ach, was ist aus Euerem Bruder, Euerem Ro¬
bert geworden? — Ein Schatten, ein unnützes Glied der menschli¬
chen Gesellschaft, das vor jedem Stäubchen zittert und mit Bangig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/68>, abgerufen am 01.09.2024.