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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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von Wiesenblumen und vollendeten so das Anmuthige des ausgezeich¬
neten Meisterwerks.

-- Das soll mein Porträt sein? fragte ich lächelnd den Schach¬
telmann, der so wie ich unverwandt eine Weile nach dem Kinde ge¬
schaut hatte.

-- O! seufzte er, und helle Thränen flössen ihm die Wange
herab Friedrich ist ein Esel, ein Dummkopf! -- Dann faßte er
hastig das Bild, stürzte den Umschlag drüber her und gab es dem
erschrockenen Diener mit den Worten zurück: Das zweite Bild an
jener Wand solltest Du ja holen! -- Oder sind die beiden ver¬
wechselt worden? -- Gott, mein Kopf wird so schwach! -- Er
sank erschöpft in den Lehnsessel zurück und verfiel in ein tiefes Sin¬
nen, das ich nicht zu stören wagte. Endlich fuhr er mit der Hand
über die Stirn und sagte, wie wenn er allein wäre:

-- Fünfzehn Jahre sind es fast, seitdem ich dieses Bild nicht
sah! -- Es hat sich wenig verändert, aber sie, die es darstellt,
sie wird groß und schlank und schön geworden sein! --- O, wie
hätte ich so glücklich sein können, wie hätte ich ... ! -- Herr
Doctor! fuhr er nach einer Pause, zu mir gewendet, fort, ein Zufall
hat Ihnen mehr entdeckt, als ich je einem Menschen zu offenbaren
gedachte, und ich bitte Sie nochmals inständigst, ziehen Sie Ihre hel¬
fende Hand nicht von einem Manne zurück, der alt und schwach,
kränklich und dem Tode nahe ist. Kommen Sie morgen wieder, der
Anblick jenes Gemäldes hat mich so ergriffen, daß ich Ihnen doch
nur unzusammenhängend meine Geschichte erzählen könnte. -- Fried¬
rich wird Ihnen Ihr Porträt zeigen, und hat es einigen Werth für
Sie, so nehmen Sie es als einen kleinen Beweis meiner Zuneigung"
an. -- Bewegen Sie sich nicht so rasch, sagte er, als ich schnell
nach meinem Hute griff, es verursacht Alles Staub; auch bitte ich
gehen Sie ganz leise, als ob Sie das schlummernde Kind in der
Wiege nicht in seiner Ruhe stören wollten.

Ich that -- sonderbar bewegt von dem Zustande des Schach¬
telmannes, von dem, was ich gesehen hatte und morgen noch er¬
fahren sollte wie er wünschte, und schlich auf den Zehen aus dem
Zimmer, vor dessen Thüre mich der Diener erwartete und mir das
Bild in meine Wohnung trug.

Von KiiOeöbeinen an war Malen und Zeichnen meine Lust


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von Wiesenblumen und vollendeten so das Anmuthige des ausgezeich¬
neten Meisterwerks.

— Das soll mein Porträt sein? fragte ich lächelnd den Schach¬
telmann, der so wie ich unverwandt eine Weile nach dem Kinde ge¬
schaut hatte.

— O! seufzte er, und helle Thränen flössen ihm die Wange
herab Friedrich ist ein Esel, ein Dummkopf! — Dann faßte er
hastig das Bild, stürzte den Umschlag drüber her und gab es dem
erschrockenen Diener mit den Worten zurück: Das zweite Bild an
jener Wand solltest Du ja holen! — Oder sind die beiden ver¬
wechselt worden? — Gott, mein Kopf wird so schwach! — Er
sank erschöpft in den Lehnsessel zurück und verfiel in ein tiefes Sin¬
nen, das ich nicht zu stören wagte. Endlich fuhr er mit der Hand
über die Stirn und sagte, wie wenn er allein wäre:

— Fünfzehn Jahre sind es fast, seitdem ich dieses Bild nicht
sah! — Es hat sich wenig verändert, aber sie, die es darstellt,
sie wird groß und schlank und schön geworden sein! —- O, wie
hätte ich so glücklich sein können, wie hätte ich ... ! — Herr
Doctor! fuhr er nach einer Pause, zu mir gewendet, fort, ein Zufall
hat Ihnen mehr entdeckt, als ich je einem Menschen zu offenbaren
gedachte, und ich bitte Sie nochmals inständigst, ziehen Sie Ihre hel¬
fende Hand nicht von einem Manne zurück, der alt und schwach,
kränklich und dem Tode nahe ist. Kommen Sie morgen wieder, der
Anblick jenes Gemäldes hat mich so ergriffen, daß ich Ihnen doch
nur unzusammenhängend meine Geschichte erzählen könnte. — Fried¬
rich wird Ihnen Ihr Porträt zeigen, und hat es einigen Werth für
Sie, so nehmen Sie es als einen kleinen Beweis meiner Zuneigung»
an. — Bewegen Sie sich nicht so rasch, sagte er, als ich schnell
nach meinem Hute griff, es verursacht Alles Staub; auch bitte ich
gehen Sie ganz leise, als ob Sie das schlummernde Kind in der
Wiege nicht in seiner Ruhe stören wollten.

Ich that — sonderbar bewegt von dem Zustande des Schach¬
telmannes, von dem, was ich gesehen hatte und morgen noch er¬
fahren sollte wie er wünschte, und schlich auf den Zehen aus dem
Zimmer, vor dessen Thüre mich der Diener erwartete und mir das
Bild in meine Wohnung trug.

Von KiiOeöbeinen an war Malen und Zeichnen meine Lust


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[0063] von Wiesenblumen und vollendeten so das Anmuthige des ausgezeich¬ neten Meisterwerks. — Das soll mein Porträt sein? fragte ich lächelnd den Schach¬ telmann, der so wie ich unverwandt eine Weile nach dem Kinde ge¬ schaut hatte. — O! seufzte er, und helle Thränen flössen ihm die Wange herab Friedrich ist ein Esel, ein Dummkopf! — Dann faßte er hastig das Bild, stürzte den Umschlag drüber her und gab es dem erschrockenen Diener mit den Worten zurück: Das zweite Bild an jener Wand solltest Du ja holen! — Oder sind die beiden ver¬ wechselt worden? — Gott, mein Kopf wird so schwach! — Er sank erschöpft in den Lehnsessel zurück und verfiel in ein tiefes Sin¬ nen, das ich nicht zu stören wagte. Endlich fuhr er mit der Hand über die Stirn und sagte, wie wenn er allein wäre: — Fünfzehn Jahre sind es fast, seitdem ich dieses Bild nicht sah! — Es hat sich wenig verändert, aber sie, die es darstellt, sie wird groß und schlank und schön geworden sein! —- O, wie hätte ich so glücklich sein können, wie hätte ich ... ! — Herr Doctor! fuhr er nach einer Pause, zu mir gewendet, fort, ein Zufall hat Ihnen mehr entdeckt, als ich je einem Menschen zu offenbaren gedachte, und ich bitte Sie nochmals inständigst, ziehen Sie Ihre hel¬ fende Hand nicht von einem Manne zurück, der alt und schwach, kränklich und dem Tode nahe ist. Kommen Sie morgen wieder, der Anblick jenes Gemäldes hat mich so ergriffen, daß ich Ihnen doch nur unzusammenhängend meine Geschichte erzählen könnte. — Fried¬ rich wird Ihnen Ihr Porträt zeigen, und hat es einigen Werth für Sie, so nehmen Sie es als einen kleinen Beweis meiner Zuneigung» an. — Bewegen Sie sich nicht so rasch, sagte er, als ich schnell nach meinem Hute griff, es verursacht Alles Staub; auch bitte ich gehen Sie ganz leise, als ob Sie das schlummernde Kind in der Wiege nicht in seiner Ruhe stören wollten. Ich that — sonderbar bewegt von dem Zustande des Schach¬ telmannes, von dem, was ich gesehen hatte und morgen noch er¬ fahren sollte wie er wünschte, und schlich auf den Zehen aus dem Zimmer, vor dessen Thüre mich der Diener erwartete und mir das Bild in meine Wohnung trug. Von KiiOeöbeinen an war Malen und Zeichnen meine Lust 8 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/63>, abgerufen am 01.09.2024.