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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Skandinavien begleitet, versäume nicht, auch das in Leipzig (bei F.
L. Herbig) erschienene Buch: "In Skandinavien", von Eduard Boas
zu lesen. Einzelne Capitel dieser Schrift werden unseren Lesern noch
aus den Grenzboten erinnerlich sein und gewiß nur einen angenehmen
Eindruck zurückgelassen haben. Boas ist längere Zeit im Norden ge¬
reist und hat dort Land und Volk innig lieb gewonnen. Seine Be¬
richte sind fast durchgehends novellistisch gehalten und mit der frischen,
anmuthigen Unbefangenheit eines geistvollen und lebenslustigen Man¬
nes geschrieben, der für alles Schöne und Gute Aug und Ohr offen
hat. Auch über schwedische Literatur findet man lehrreiche, tiefer ein¬
gehende und zugleich reizend geschriebene Darstellungen. Daß es dem
Verfasser, der sich sonst von aller Debatte fern hält, auch nicht an
Schärfe und Entschiedenheit fehlt, beweis'! der sarkastische Artikel, in
welchem er die Ausfälle der Gräfin Hahn-Hahn auf Skandinavien
zurückweist.-- In diesem Augenblicke ist Herr Boas im Begriff, im
Verein mit mehreren namhaften schwedischen und dänischen Schriftstel¬
lern einen Musenalmanach: "Die Stammverwandten" herauszugeben,
worin außer der deutschen und skandinavischen auch die holländische
und vlamische Poesie ihre Repräsentanten haben soll.

-- Der vierte Jahrgang des Prager Taschenbuchs "Libussa"
(herausgegeben von Paul Aloys Klar) enthält unter einem Wust von
bedeutungslosen Beiträgen aller Art manche werthvolle, interessante,
selbst kostbare Gabe. Freilich steht der Waizen in keinem Verhältniß
zur Spreu; die Libussa dürfte etwas dünnere Taille haben und hätte
dabei nur gewonnen. Daß der Herausgeber sein Aufgebot an alle
deutsch schreibenden Schriftsteller Böhmens ergehen laßt, ist löblich,
und die Tendenz, die deutsche Literatur seines Vaterlandes, der czcchi-
schen gegenüber, durch eine jährliche Ausstellung standhaft zu repräsen-
tiren, verdient die größte Aufmunterung; nur sollte er nicht glauben,
alle Berufenen, d. h. Jeden, der ein Böhme ist, auch für auserwählt hal-
tenzumüsscn. Dreihundert achtundneunzig eng gedruckte Seiten
lassen sich schwer mit lauter guten Productionen füllen, auch wo
man die Auswahl unter den Autoren ganz Deutschlands und nicht
blos einer Provinz hat. Von unbestreitbarem Werth sind die statistisch¬
topographischen Blätter, die jährlich fortgesetzt werden und über jeden
Punkt des Landes auch die wichtigsten historischen und antiquarischen
Notizen bringen. Die Novellistik ist diesmal durch Friedrich Fürst
Schwarzenberg, Gerte, Jean Charles, Siegfried Kapper, Kneißler und
Rain vertreten. Im Ganzen macht die österreichische Prosa seit eini¬
gen Jahren Fortschritte; um so mehr frappiren einzelne Recidivfallc.
Die Lyrik ist am glänzendsten durch Alfred Meißner und Moritz Hart¬
wann vertreten; Meißner's "Im Frühling' ist das Bekenntniß einet


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Skandinavien begleitet, versäume nicht, auch das in Leipzig (bei F.
L. Herbig) erschienene Buch: „In Skandinavien", von Eduard Boas
zu lesen. Einzelne Capitel dieser Schrift werden unseren Lesern noch
aus den Grenzboten erinnerlich sein und gewiß nur einen angenehmen
Eindruck zurückgelassen haben. Boas ist längere Zeit im Norden ge¬
reist und hat dort Land und Volk innig lieb gewonnen. Seine Be¬
richte sind fast durchgehends novellistisch gehalten und mit der frischen,
anmuthigen Unbefangenheit eines geistvollen und lebenslustigen Man¬
nes geschrieben, der für alles Schöne und Gute Aug und Ohr offen
hat. Auch über schwedische Literatur findet man lehrreiche, tiefer ein¬
gehende und zugleich reizend geschriebene Darstellungen. Daß es dem
Verfasser, der sich sonst von aller Debatte fern hält, auch nicht an
Schärfe und Entschiedenheit fehlt, beweis'! der sarkastische Artikel, in
welchem er die Ausfälle der Gräfin Hahn-Hahn auf Skandinavien
zurückweist.— In diesem Augenblicke ist Herr Boas im Begriff, im
Verein mit mehreren namhaften schwedischen und dänischen Schriftstel¬
lern einen Musenalmanach: „Die Stammverwandten" herauszugeben,
worin außer der deutschen und skandinavischen auch die holländische
und vlamische Poesie ihre Repräsentanten haben soll.

— Der vierte Jahrgang des Prager Taschenbuchs „Libussa"
(herausgegeben von Paul Aloys Klar) enthält unter einem Wust von
bedeutungslosen Beiträgen aller Art manche werthvolle, interessante,
selbst kostbare Gabe. Freilich steht der Waizen in keinem Verhältniß
zur Spreu; die Libussa dürfte etwas dünnere Taille haben und hätte
dabei nur gewonnen. Daß der Herausgeber sein Aufgebot an alle
deutsch schreibenden Schriftsteller Böhmens ergehen laßt, ist löblich,
und die Tendenz, die deutsche Literatur seines Vaterlandes, der czcchi-
schen gegenüber, durch eine jährliche Ausstellung standhaft zu repräsen-
tiren, verdient die größte Aufmunterung; nur sollte er nicht glauben,
alle Berufenen, d. h. Jeden, der ein Böhme ist, auch für auserwählt hal-
tenzumüsscn. Dreihundert achtundneunzig eng gedruckte Seiten
lassen sich schwer mit lauter guten Productionen füllen, auch wo
man die Auswahl unter den Autoren ganz Deutschlands und nicht
blos einer Provinz hat. Von unbestreitbarem Werth sind die statistisch¬
topographischen Blätter, die jährlich fortgesetzt werden und über jeden
Punkt des Landes auch die wichtigsten historischen und antiquarischen
Notizen bringen. Die Novellistik ist diesmal durch Friedrich Fürst
Schwarzenberg, Gerte, Jean Charles, Siegfried Kapper, Kneißler und
Rain vertreten. Im Ganzen macht die österreichische Prosa seit eini¬
gen Jahren Fortschritte; um so mehr frappiren einzelne Recidivfallc.
Die Lyrik ist am glänzendsten durch Alfred Meißner und Moritz Hart¬
wann vertreten; Meißner's „Im Frühling' ist das Bekenntniß einet


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[0615] Skandinavien begleitet, versäume nicht, auch das in Leipzig (bei F. L. Herbig) erschienene Buch: „In Skandinavien", von Eduard Boas zu lesen. Einzelne Capitel dieser Schrift werden unseren Lesern noch aus den Grenzboten erinnerlich sein und gewiß nur einen angenehmen Eindruck zurückgelassen haben. Boas ist längere Zeit im Norden ge¬ reist und hat dort Land und Volk innig lieb gewonnen. Seine Be¬ richte sind fast durchgehends novellistisch gehalten und mit der frischen, anmuthigen Unbefangenheit eines geistvollen und lebenslustigen Man¬ nes geschrieben, der für alles Schöne und Gute Aug und Ohr offen hat. Auch über schwedische Literatur findet man lehrreiche, tiefer ein¬ gehende und zugleich reizend geschriebene Darstellungen. Daß es dem Verfasser, der sich sonst von aller Debatte fern hält, auch nicht an Schärfe und Entschiedenheit fehlt, beweis'! der sarkastische Artikel, in welchem er die Ausfälle der Gräfin Hahn-Hahn auf Skandinavien zurückweist.— In diesem Augenblicke ist Herr Boas im Begriff, im Verein mit mehreren namhaften schwedischen und dänischen Schriftstel¬ lern einen Musenalmanach: „Die Stammverwandten" herauszugeben, worin außer der deutschen und skandinavischen auch die holländische und vlamische Poesie ihre Repräsentanten haben soll. — Der vierte Jahrgang des Prager Taschenbuchs „Libussa" (herausgegeben von Paul Aloys Klar) enthält unter einem Wust von bedeutungslosen Beiträgen aller Art manche werthvolle, interessante, selbst kostbare Gabe. Freilich steht der Waizen in keinem Verhältniß zur Spreu; die Libussa dürfte etwas dünnere Taille haben und hätte dabei nur gewonnen. Daß der Herausgeber sein Aufgebot an alle deutsch schreibenden Schriftsteller Böhmens ergehen laßt, ist löblich, und die Tendenz, die deutsche Literatur seines Vaterlandes, der czcchi- schen gegenüber, durch eine jährliche Ausstellung standhaft zu repräsen- tiren, verdient die größte Aufmunterung; nur sollte er nicht glauben, alle Berufenen, d. h. Jeden, der ein Böhme ist, auch für auserwählt hal- tenzumüsscn. Dreihundert achtundneunzig eng gedruckte Seiten lassen sich schwer mit lauter guten Productionen füllen, auch wo man die Auswahl unter den Autoren ganz Deutschlands und nicht blos einer Provinz hat. Von unbestreitbarem Werth sind die statistisch¬ topographischen Blätter, die jährlich fortgesetzt werden und über jeden Punkt des Landes auch die wichtigsten historischen und antiquarischen Notizen bringen. Die Novellistik ist diesmal durch Friedrich Fürst Schwarzenberg, Gerte, Jean Charles, Siegfried Kapper, Kneißler und Rain vertreten. Im Ganzen macht die österreichische Prosa seit eini¬ gen Jahren Fortschritte; um so mehr frappiren einzelne Recidivfallc. Die Lyrik ist am glänzendsten durch Alfred Meißner und Moritz Hart¬ wann vertreten; Meißner's „Im Frühling' ist das Bekenntniß einet 77-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/615>, abgerufen am 27.07.2024.