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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Im Eingänge jener Errlebenschen Landgerichtsordnung von 1603
erfahren wir, daß die von Alvensleben "als dieses Gerichts von
Gott geordneter Obrigkeit" die alte Gerichtsordnung wieder¬
holt und so viel möglich und nöthig "geändert und gebessert",
weil dieses Gericht von dem mehrsten Theil der Unterthanen "so
verächtlich und schimpflich gehalten und davon wie von einem Fast¬
nachtsspiel geredet", und weil "je länger je mehr grobe Sünden, La¬
ster, Verachtung der Obrigkeit, muthwilliger Ungehorsam" einreißen.
Also schon damals lag die Welt so im Argen, schon damals grobe
Sünden, Verachtung der Obrigkeit und Ungehorsam! Bis auf un¬
sere Zeit herab dieselbe Klage der Theologen, daß Sünde und Laster
von Tag zu Tag überHand nehmen. Aus dieser tagtäglichen Zu¬
nahme des Lasters seit Jahrhunderten können wir uns ungefähr eine
Vorstellung machen, wie schlecht und verderbt die Welt jetzt schon
geworden sein müsse.

Durch Luther und die Reformatoren war die Lehre von dem
unbedingten Gehorsam in die Welt gekommen, eine den Deutschen
bis dahin ganz unbekannte Lehre. Luther stellte den bis dahin ganz
unerhörten Grundsatz auf, daß die Obrigkeit von Gott eingesetzt sei,
eine Lehre, die den großen und kleinen Gewalthabern, bis zu den
Dorfjunkern herab, wie wir gesehen, gefiel. Die katholische Kirche
lehrte, daß die Kirche allein von Gott eingesetzt, nicht aber daß
die fürstliche Gewalt von Gott sei. Im Princip der katholischen
Kirche lag Kampf gegen die Ausdehnung fürstlicher Gewalt, wäh¬
rend der Protestantismus, das steife, starre Lutherthum, sich mit der
fürstlichen Gewalt verbündete. Nicht so die Reformisten, die in der
Schweiz, in Frankreich, in den Niederlanden, in Schottland und
England für die religiöse und politische Freiheit gegen den auf¬
tauchenden Absolutismus kämpften. Erst durch die lutherische Hof¬
theologie fand sich der Katholicismus zu seiner Selbsterhaltung ge-
nothwendigt, der königlichen Gewalt sich zu nähern. Eigentlich buhlt
der Katholicismus nicht sowohl um Fürstengunst, wie die protestan¬
tische Hostheologie, als um Volksgunst. Die protestantische Hoftheo¬
logie stützt sich auf die weltliche Macht, während sich die katholische
Kirche gegen die weltliche Macht auf das Volk zu stützen
sucht. Wie heute, suchten die Theologen zur Zeit der Reformation
die Herzen und Köpfe der Menschen mit theologischen Zänkereien zu


Im Eingänge jener Errlebenschen Landgerichtsordnung von 1603
erfahren wir, daß die von Alvensleben „als dieses Gerichts von
Gott geordneter Obrigkeit" die alte Gerichtsordnung wieder¬
holt und so viel möglich und nöthig „geändert und gebessert",
weil dieses Gericht von dem mehrsten Theil der Unterthanen „so
verächtlich und schimpflich gehalten und davon wie von einem Fast¬
nachtsspiel geredet", und weil „je länger je mehr grobe Sünden, La¬
ster, Verachtung der Obrigkeit, muthwilliger Ungehorsam" einreißen.
Also schon damals lag die Welt so im Argen, schon damals grobe
Sünden, Verachtung der Obrigkeit und Ungehorsam! Bis auf un¬
sere Zeit herab dieselbe Klage der Theologen, daß Sünde und Laster
von Tag zu Tag überHand nehmen. Aus dieser tagtäglichen Zu¬
nahme des Lasters seit Jahrhunderten können wir uns ungefähr eine
Vorstellung machen, wie schlecht und verderbt die Welt jetzt schon
geworden sein müsse.

Durch Luther und die Reformatoren war die Lehre von dem
unbedingten Gehorsam in die Welt gekommen, eine den Deutschen
bis dahin ganz unbekannte Lehre. Luther stellte den bis dahin ganz
unerhörten Grundsatz auf, daß die Obrigkeit von Gott eingesetzt sei,
eine Lehre, die den großen und kleinen Gewalthabern, bis zu den
Dorfjunkern herab, wie wir gesehen, gefiel. Die katholische Kirche
lehrte, daß die Kirche allein von Gott eingesetzt, nicht aber daß
die fürstliche Gewalt von Gott sei. Im Princip der katholischen
Kirche lag Kampf gegen die Ausdehnung fürstlicher Gewalt, wäh¬
rend der Protestantismus, das steife, starre Lutherthum, sich mit der
fürstlichen Gewalt verbündete. Nicht so die Reformisten, die in der
Schweiz, in Frankreich, in den Niederlanden, in Schottland und
England für die religiöse und politische Freiheit gegen den auf¬
tauchenden Absolutismus kämpften. Erst durch die lutherische Hof¬
theologie fand sich der Katholicismus zu seiner Selbsterhaltung ge-
nothwendigt, der königlichen Gewalt sich zu nähern. Eigentlich buhlt
der Katholicismus nicht sowohl um Fürstengunst, wie die protestan¬
tische Hostheologie, als um Volksgunst. Die protestantische Hoftheo¬
logie stützt sich auf die weltliche Macht, während sich die katholische
Kirche gegen die weltliche Macht auf das Volk zu stützen
sucht. Wie heute, suchten die Theologen zur Zeit der Reformation
die Herzen und Köpfe der Menschen mit theologischen Zänkereien zu


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[0537] Im Eingänge jener Errlebenschen Landgerichtsordnung von 1603 erfahren wir, daß die von Alvensleben „als dieses Gerichts von Gott geordneter Obrigkeit" die alte Gerichtsordnung wieder¬ holt und so viel möglich und nöthig „geändert und gebessert", weil dieses Gericht von dem mehrsten Theil der Unterthanen „so verächtlich und schimpflich gehalten und davon wie von einem Fast¬ nachtsspiel geredet", und weil „je länger je mehr grobe Sünden, La¬ ster, Verachtung der Obrigkeit, muthwilliger Ungehorsam" einreißen. Also schon damals lag die Welt so im Argen, schon damals grobe Sünden, Verachtung der Obrigkeit und Ungehorsam! Bis auf un¬ sere Zeit herab dieselbe Klage der Theologen, daß Sünde und Laster von Tag zu Tag überHand nehmen. Aus dieser tagtäglichen Zu¬ nahme des Lasters seit Jahrhunderten können wir uns ungefähr eine Vorstellung machen, wie schlecht und verderbt die Welt jetzt schon geworden sein müsse. Durch Luther und die Reformatoren war die Lehre von dem unbedingten Gehorsam in die Welt gekommen, eine den Deutschen bis dahin ganz unbekannte Lehre. Luther stellte den bis dahin ganz unerhörten Grundsatz auf, daß die Obrigkeit von Gott eingesetzt sei, eine Lehre, die den großen und kleinen Gewalthabern, bis zu den Dorfjunkern herab, wie wir gesehen, gefiel. Die katholische Kirche lehrte, daß die Kirche allein von Gott eingesetzt, nicht aber daß die fürstliche Gewalt von Gott sei. Im Princip der katholischen Kirche lag Kampf gegen die Ausdehnung fürstlicher Gewalt, wäh¬ rend der Protestantismus, das steife, starre Lutherthum, sich mit der fürstlichen Gewalt verbündete. Nicht so die Reformisten, die in der Schweiz, in Frankreich, in den Niederlanden, in Schottland und England für die religiöse und politische Freiheit gegen den auf¬ tauchenden Absolutismus kämpften. Erst durch die lutherische Hof¬ theologie fand sich der Katholicismus zu seiner Selbsterhaltung ge- nothwendigt, der königlichen Gewalt sich zu nähern. Eigentlich buhlt der Katholicismus nicht sowohl um Fürstengunst, wie die protestan¬ tische Hostheologie, als um Volksgunst. Die protestantische Hoftheo¬ logie stützt sich auf die weltliche Macht, während sich die katholische Kirche gegen die weltliche Macht auf das Volk zu stützen sucht. Wie heute, suchten die Theologen zur Zeit der Reformation die Herzen und Köpfe der Menschen mit theologischen Zänkereien zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/537>, abgerufen am 01.09.2024.