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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Räuber im Orient ist allerdings noch ein gepriesener Held, der in
Engpässen und Schluchten seinen Zoll erhebt, wie ein ehrenhafter Faust¬
ritter; aber die Nürenberger; d. h. die Dcrbenter, würden ihn dennoch
hängen, wenn sie ihn zuvor hätten; Mullah-Nur ist ja schon als
Sunnite verhaßt. Die Dcrbenter sind nun von furchtbarer Dürre ge¬
peinigt und von Hungersnoth bedroht. Kein Gebet kann dem eher¬
nen Himmel ein Thränchen entlocken; da verfällt ein Frommer auf
die Idee, nach alter Sitte einen an Leib und Seele reinen Jüngling
auf den Gipfel des Schach-Dag zu senden, daß er dort zu Allah
um Regen bete und vom ewigen Schnee in einen kupfernen Krug
sammle. Dieser Krug muß dann vom Jüngling nach Derbend getra¬
gen und der aufgelöste Schnee feierlich ins Meer gegossen werden.
Aber wo in Derbend einen an Seel' und Leib reinen Jüngling fin¬
den? Da wählt man endlich Jskendcr-Beck, den schönen, Menschen¬
oder vielmehr Derbenterscheuen, kriegerischen Jüngling, und jener
Fromme selbst muß sich vor Jskender beugen, um ihn zur Annahme
des Auftrages zu bereden; er hatte den Jüngling tödtlich beleidigt,
indem er ihm die Hand seiner Tochter, der reizenden Kitschkene, ver¬
sagte. Jskender läßt sich noch einmal- von dem frommen Mir-Ali-
Fetchali betrügen und übernimmt den Auftrag, für das Versprechen,
Kitschkene's Hand zu erlangen, sobald Allah die Derbenter mit Regen
begnadigt. Die köstlichen Abenteuer dieser Bergfahrt wollen wir dem
Leser nicht verrathen. Genug, Jskender stößt mit dem geheimni߬
vollen Räuber zusammen, erwirbt sich aber dessen hingehendste Freund¬
schaft, so daß später, als, trotz des wunderbar erlangten Regens,
Mir-Ali mit Hilfe eines andern Pfaffen den Jüngling um seinen
Lohn betrügen will und dieser in große Fährlichkeiten verstrickt wird,
Mullah-Nur es ist, der ihn rettet und ihm die geliebte Kitschkene
verschafft. Eine ergötzliche Nebenrolle bei diesen Fahrten spielt Jsken¬
der Becks Gefährte, Jussuph, ein orientalischer Fallstaff. Eben so er¬
götzlich ist die Rolle eines mohamedanischen Pietisten Mullah Sadcck.
Marlinski war, als er diese Novelle schrieb, in das asiatische Leben
schon sehr eingeweiht und behandelt darum seinen Gegenstand mit
größerer Freiheit als in Ammalat - Beck. Humor, Satvre und wilde
Romantik reichen sich hier die Hand. Die orientalische Bildersprache
lernen wir nicht blos von ihrer pathetischen Seite kennen; wir sehen sie
auch mit Witz gepaart, in den Dialogen, die denen in Morier's Ro¬
manen an Kraft der Charakteristik Nichts nachgeben; die beiläufigen
Bemerkungen des Verfassers sind oft umgekehrte letrres pers-auch.
Die Naturschilderungen sind, wie in Ammalat, von hinreißender Pracht
und Schönheit. Das Einzige, was unser Bedenken erregte, sind
Mullah-Nur's Geniestreiche, worin er zuweilen an unsere edlen Karl
Moor'schen Räuber erinnert. Jskender dagegen ist eine Gestalt von
liebenswürdiger Natürlichkeit.


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Räuber im Orient ist allerdings noch ein gepriesener Held, der in
Engpässen und Schluchten seinen Zoll erhebt, wie ein ehrenhafter Faust¬
ritter; aber die Nürenberger; d. h. die Dcrbenter, würden ihn dennoch
hängen, wenn sie ihn zuvor hätten; Mullah-Nur ist ja schon als
Sunnite verhaßt. Die Dcrbenter sind nun von furchtbarer Dürre ge¬
peinigt und von Hungersnoth bedroht. Kein Gebet kann dem eher¬
nen Himmel ein Thränchen entlocken; da verfällt ein Frommer auf
die Idee, nach alter Sitte einen an Leib und Seele reinen Jüngling
auf den Gipfel des Schach-Dag zu senden, daß er dort zu Allah
um Regen bete und vom ewigen Schnee in einen kupfernen Krug
sammle. Dieser Krug muß dann vom Jüngling nach Derbend getra¬
gen und der aufgelöste Schnee feierlich ins Meer gegossen werden.
Aber wo in Derbend einen an Seel' und Leib reinen Jüngling fin¬
den? Da wählt man endlich Jskendcr-Beck, den schönen, Menschen¬
oder vielmehr Derbenterscheuen, kriegerischen Jüngling, und jener
Fromme selbst muß sich vor Jskender beugen, um ihn zur Annahme
des Auftrages zu bereden; er hatte den Jüngling tödtlich beleidigt,
indem er ihm die Hand seiner Tochter, der reizenden Kitschkene, ver¬
sagte. Jskender läßt sich noch einmal- von dem frommen Mir-Ali-
Fetchali betrügen und übernimmt den Auftrag, für das Versprechen,
Kitschkene's Hand zu erlangen, sobald Allah die Derbenter mit Regen
begnadigt. Die köstlichen Abenteuer dieser Bergfahrt wollen wir dem
Leser nicht verrathen. Genug, Jskender stößt mit dem geheimni߬
vollen Räuber zusammen, erwirbt sich aber dessen hingehendste Freund¬
schaft, so daß später, als, trotz des wunderbar erlangten Regens,
Mir-Ali mit Hilfe eines andern Pfaffen den Jüngling um seinen
Lohn betrügen will und dieser in große Fährlichkeiten verstrickt wird,
Mullah-Nur es ist, der ihn rettet und ihm die geliebte Kitschkene
verschafft. Eine ergötzliche Nebenrolle bei diesen Fahrten spielt Jsken¬
der Becks Gefährte, Jussuph, ein orientalischer Fallstaff. Eben so er¬
götzlich ist die Rolle eines mohamedanischen Pietisten Mullah Sadcck.
Marlinski war, als er diese Novelle schrieb, in das asiatische Leben
schon sehr eingeweiht und behandelt darum seinen Gegenstand mit
größerer Freiheit als in Ammalat - Beck. Humor, Satvre und wilde
Romantik reichen sich hier die Hand. Die orientalische Bildersprache
lernen wir nicht blos von ihrer pathetischen Seite kennen; wir sehen sie
auch mit Witz gepaart, in den Dialogen, die denen in Morier's Ro¬
manen an Kraft der Charakteristik Nichts nachgeben; die beiläufigen
Bemerkungen des Verfassers sind oft umgekehrte letrres pers-auch.
Die Naturschilderungen sind, wie in Ammalat, von hinreißender Pracht
und Schönheit. Das Einzige, was unser Bedenken erregte, sind
Mullah-Nur's Geniestreiche, worin er zuweilen an unsere edlen Karl
Moor'schen Räuber erinnert. Jskender dagegen ist eine Gestalt von
liebenswürdiger Natürlichkeit.


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[0519] Räuber im Orient ist allerdings noch ein gepriesener Held, der in Engpässen und Schluchten seinen Zoll erhebt, wie ein ehrenhafter Faust¬ ritter; aber die Nürenberger; d. h. die Dcrbenter, würden ihn dennoch hängen, wenn sie ihn zuvor hätten; Mullah-Nur ist ja schon als Sunnite verhaßt. Die Dcrbenter sind nun von furchtbarer Dürre ge¬ peinigt und von Hungersnoth bedroht. Kein Gebet kann dem eher¬ nen Himmel ein Thränchen entlocken; da verfällt ein Frommer auf die Idee, nach alter Sitte einen an Leib und Seele reinen Jüngling auf den Gipfel des Schach-Dag zu senden, daß er dort zu Allah um Regen bete und vom ewigen Schnee in einen kupfernen Krug sammle. Dieser Krug muß dann vom Jüngling nach Derbend getra¬ gen und der aufgelöste Schnee feierlich ins Meer gegossen werden. Aber wo in Derbend einen an Seel' und Leib reinen Jüngling fin¬ den? Da wählt man endlich Jskendcr-Beck, den schönen, Menschen¬ oder vielmehr Derbenterscheuen, kriegerischen Jüngling, und jener Fromme selbst muß sich vor Jskender beugen, um ihn zur Annahme des Auftrages zu bereden; er hatte den Jüngling tödtlich beleidigt, indem er ihm die Hand seiner Tochter, der reizenden Kitschkene, ver¬ sagte. Jskender läßt sich noch einmal- von dem frommen Mir-Ali- Fetchali betrügen und übernimmt den Auftrag, für das Versprechen, Kitschkene's Hand zu erlangen, sobald Allah die Derbenter mit Regen begnadigt. Die köstlichen Abenteuer dieser Bergfahrt wollen wir dem Leser nicht verrathen. Genug, Jskender stößt mit dem geheimni߬ vollen Räuber zusammen, erwirbt sich aber dessen hingehendste Freund¬ schaft, so daß später, als, trotz des wunderbar erlangten Regens, Mir-Ali mit Hilfe eines andern Pfaffen den Jüngling um seinen Lohn betrügen will und dieser in große Fährlichkeiten verstrickt wird, Mullah-Nur es ist, der ihn rettet und ihm die geliebte Kitschkene verschafft. Eine ergötzliche Nebenrolle bei diesen Fahrten spielt Jsken¬ der Becks Gefährte, Jussuph, ein orientalischer Fallstaff. Eben so er¬ götzlich ist die Rolle eines mohamedanischen Pietisten Mullah Sadcck. Marlinski war, als er diese Novelle schrieb, in das asiatische Leben schon sehr eingeweiht und behandelt darum seinen Gegenstand mit größerer Freiheit als in Ammalat - Beck. Humor, Satvre und wilde Romantik reichen sich hier die Hand. Die orientalische Bildersprache lernen wir nicht blos von ihrer pathetischen Seite kennen; wir sehen sie auch mit Witz gepaart, in den Dialogen, die denen in Morier's Ro¬ manen an Kraft der Charakteristik Nichts nachgeben; die beiläufigen Bemerkungen des Verfassers sind oft umgekehrte letrres pers-auch. Die Naturschilderungen sind, wie in Ammalat, von hinreißender Pracht und Schönheit. Das Einzige, was unser Bedenken erregte, sind Mullah-Nur's Geniestreiche, worin er zuweilen an unsere edlen Karl Moor'schen Räuber erinnert. Jskender dagegen ist eine Gestalt von liebenswürdiger Natürlichkeit. 65 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/519>, abgerufen am 01.09.2024.