Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der letzte Strahl der Sonne auf das Grabeökreuz fiel, als das schöne
Gestirn des Tages untergegangen war, zog er tiefathmend wie Einer,
der nach Freiheit dürstet, eine kleine blitzende Waffe aus seinem
Busen, drückte sie fest in sein Herz und sank ohne Klage auf das
Grab seiner Mutter.




Draußen an der Thüre des Kirchhofes harrte der Küster lange
vergebens des Fremden; endlich kam er, ihn zu holen, und gewahrte
auf dem Grabe die Leiche desselben. Entsetzt eilte er davon, um den
Maestro zu rufen, und trat bald mit diesem vor den Todten hin.

Und der Maestro sah mir seinem kältesten Lächeln auf Giovanni
hinab, zog den Dolch, der einst auch Cornelia getödtet, aus des
Gestorbenen Brust und sagte: Der ist mein!

Ob diese Worte der Waffe galten oder dem Todren, konnte
man nicht errathen.

Giovanni war von der Menge, die ihn so oft bewundert hatte,
schnell vergessen. Neue Wunderkinder wurden und werden erzogen,
um ein unnatürliches Dasein mit Kometeneile zu durchjagen, um auf
Kosten ihrer jungen Lebenskraft, die übersättigten Sinne des vergnü¬
gungssüchtigen Publicums, für ein Paar Stunden, zu ergötzen.

Den Maestro hat man seit dem Tode Giovanni's nicht gesehen.
Nur zu möglich, daß er in neuer Gestalt der Lehrer und Tyrann
eines Wunderkindes ist, das jetzt die Welt in Erstaunen setzt. Möge
sein Loos nicht dem des armen Giovanni gleichen.




der letzte Strahl der Sonne auf das Grabeökreuz fiel, als das schöne
Gestirn des Tages untergegangen war, zog er tiefathmend wie Einer,
der nach Freiheit dürstet, eine kleine blitzende Waffe aus seinem
Busen, drückte sie fest in sein Herz und sank ohne Klage auf das
Grab seiner Mutter.




Draußen an der Thüre des Kirchhofes harrte der Küster lange
vergebens des Fremden; endlich kam er, ihn zu holen, und gewahrte
auf dem Grabe die Leiche desselben. Entsetzt eilte er davon, um den
Maestro zu rufen, und trat bald mit diesem vor den Todten hin.

Und der Maestro sah mir seinem kältesten Lächeln auf Giovanni
hinab, zog den Dolch, der einst auch Cornelia getödtet, aus des
Gestorbenen Brust und sagte: Der ist mein!

Ob diese Worte der Waffe galten oder dem Todren, konnte
man nicht errathen.

Giovanni war von der Menge, die ihn so oft bewundert hatte,
schnell vergessen. Neue Wunderkinder wurden und werden erzogen,
um ein unnatürliches Dasein mit Kometeneile zu durchjagen, um auf
Kosten ihrer jungen Lebenskraft, die übersättigten Sinne des vergnü¬
gungssüchtigen Publicums, für ein Paar Stunden, zu ergötzen.

Den Maestro hat man seit dem Tode Giovanni's nicht gesehen.
Nur zu möglich, daß er in neuer Gestalt der Lehrer und Tyrann
eines Wunderkindes ist, das jetzt die Welt in Erstaunen setzt. Möge
sein Loos nicht dem des armen Giovanni gleichen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181680"/>
            <p xml:id="ID_1430" prev="#ID_1429"> der letzte Strahl der Sonne auf das Grabeökreuz fiel, als das schöne<lb/>
Gestirn des Tages untergegangen war, zog er tiefathmend wie Einer,<lb/>
der nach Freiheit dürstet, eine kleine blitzende Waffe aus seinem<lb/>
Busen, drückte sie fest in sein Herz und sank ohne Klage auf das<lb/>
Grab seiner Mutter.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1431"> Draußen an der Thüre des Kirchhofes harrte der Küster lange<lb/>
vergebens des Fremden; endlich kam er, ihn zu holen, und gewahrte<lb/>
auf dem Grabe die Leiche desselben. Entsetzt eilte er davon, um den<lb/>
Maestro zu rufen, und trat bald mit diesem vor den Todten hin.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1432"> Und der Maestro sah mir seinem kältesten Lächeln auf Giovanni<lb/>
hinab, zog den Dolch, der einst auch Cornelia getödtet, aus des<lb/>
Gestorbenen Brust und sagte: Der ist mein!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1433"> Ob diese Worte der Waffe galten oder dem Todren, konnte<lb/>
man nicht errathen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1434"> Giovanni war von der Menge, die ihn so oft bewundert hatte,<lb/>
schnell vergessen. Neue Wunderkinder wurden und werden erzogen,<lb/>
um ein unnatürliches Dasein mit Kometeneile zu durchjagen, um auf<lb/>
Kosten ihrer jungen Lebenskraft, die übersättigten Sinne des vergnü¬<lb/>
gungssüchtigen Publicums, für ein Paar Stunden, zu ergötzen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1435"> Den Maestro hat man seit dem Tode Giovanni's nicht gesehen.<lb/>
Nur zu möglich, daß er in neuer Gestalt der Lehrer und Tyrann<lb/>
eines Wunderkindes ist, das jetzt die Welt in Erstaunen setzt. Möge<lb/>
sein Loos nicht dem des armen Giovanni gleichen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0496] der letzte Strahl der Sonne auf das Grabeökreuz fiel, als das schöne Gestirn des Tages untergegangen war, zog er tiefathmend wie Einer, der nach Freiheit dürstet, eine kleine blitzende Waffe aus seinem Busen, drückte sie fest in sein Herz und sank ohne Klage auf das Grab seiner Mutter. Draußen an der Thüre des Kirchhofes harrte der Küster lange vergebens des Fremden; endlich kam er, ihn zu holen, und gewahrte auf dem Grabe die Leiche desselben. Entsetzt eilte er davon, um den Maestro zu rufen, und trat bald mit diesem vor den Todten hin. Und der Maestro sah mir seinem kältesten Lächeln auf Giovanni hinab, zog den Dolch, der einst auch Cornelia getödtet, aus des Gestorbenen Brust und sagte: Der ist mein! Ob diese Worte der Waffe galten oder dem Todren, konnte man nicht errathen. Giovanni war von der Menge, die ihn so oft bewundert hatte, schnell vergessen. Neue Wunderkinder wurden und werden erzogen, um ein unnatürliches Dasein mit Kometeneile zu durchjagen, um auf Kosten ihrer jungen Lebenskraft, die übersättigten Sinne des vergnü¬ gungssüchtigen Publicums, für ein Paar Stunden, zu ergötzen. Den Maestro hat man seit dem Tode Giovanni's nicht gesehen. Nur zu möglich, daß er in neuer Gestalt der Lehrer und Tyrann eines Wunderkindes ist, das jetzt die Welt in Erstaunen setzt. Möge sein Loos nicht dem des armen Giovanni gleichen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/496
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/496>, abgerufen am 01.09.2024.