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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Alfred werde". Was soll ich dem Maestro, wenn ich nicht mehr
Klavier zu spielen vermag? Er wird froh sein, sich meiner zu entle¬
digen und mich ziehen lassen mit dem Geliebten. Die Gewißheit
lindert meine Schmerzen.

Und so geschah es. Sie genas bald ; aber alle Mittel, die der
Maestro anwendete, waren nicht im Stande, ihren schonen Händen
die frühere Gelenkigkeit wiederzugeben. Da, als der junge Advocat
zurückkehrte und um Mariens Hand bei dem vermeinten Vater warb,
gab er fluchend seine Einwilligung zu ihrer Verbindung. Bald dar¬
auf zogen die Glücklichen davon, und Maria, durch Liebe und Glau¬
ben aus der Knechtschaft des Maestro erlöst, lebte künftig nur ihrem
Gatten und der Anbetung der Madonna, die ihr beigestanden in
Gnaden.




Giovanni hatte Maria lieb gehabt, aber nie hatte er geahnt
so lange sie zusammen lebten, welch mächtigen und wohlthätigen Ein¬
fluß das schlichte, sanfte Gemüth des Mädchens auf seine Seele ge¬
habt. Wie sie sein leidenschaftliches Wesen besänftigt, wie ihre freund¬
liche Bitte ihn von Handlungen abgehalten, die er hätte bereuen
müssen, das fühlte er jetzt plötzlich, und so sehr ihr Glück ihn freute,
so vermißte er sie doch gar schwer.

Es litt ihn nicht in den Räumen, die Maria nicht mehr be¬
wohnte, und um ihnen zu entfliehen, um sich zu zerstreuen, besuchte
er mehr als je, die Orte, an denen die schöne Welt der glänzenden
Hauptstadt sich zu versammeln pflegte. Aber auch hier fand er die.
Zerstreuung nicht, die er erwartete. Er hatte den Becher der Freu¬
den so oft bis auf die Hefe geleert, daß er ihm weder Genuß, noch
Erquickung bot; und übersättigt, gelangweilt sah er eines Abends auf
das rauschende Treiben eines Balles, als eine prächtige Frauengestalt
seine Blicke an sich zog und festhielt.

Ihre volle, königliche Gestalt, ihr scharf ausgeprägtes Gesicht
und die tiefdunkeln Augen verriethen die Italienerin. Sie war in
der Blüthe der ersten Jugend und erschien um so strahlender, da sie
an dem Arme eines Greises umherwandelte. Giovanni's Herz klopfte
schneller, als er sie erblickte. Er glaubte sich ihrer Züge ° wie eines
süßen Märchens seiner Kindheit zu erinnern. Diese Göttergestalt ist


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Alfred werde». Was soll ich dem Maestro, wenn ich nicht mehr
Klavier zu spielen vermag? Er wird froh sein, sich meiner zu entle¬
digen und mich ziehen lassen mit dem Geliebten. Die Gewißheit
lindert meine Schmerzen.

Und so geschah es. Sie genas bald ; aber alle Mittel, die der
Maestro anwendete, waren nicht im Stande, ihren schonen Händen
die frühere Gelenkigkeit wiederzugeben. Da, als der junge Advocat
zurückkehrte und um Mariens Hand bei dem vermeinten Vater warb,
gab er fluchend seine Einwilligung zu ihrer Verbindung. Bald dar¬
auf zogen die Glücklichen davon, und Maria, durch Liebe und Glau¬
ben aus der Knechtschaft des Maestro erlöst, lebte künftig nur ihrem
Gatten und der Anbetung der Madonna, die ihr beigestanden in
Gnaden.




Giovanni hatte Maria lieb gehabt, aber nie hatte er geahnt
so lange sie zusammen lebten, welch mächtigen und wohlthätigen Ein¬
fluß das schlichte, sanfte Gemüth des Mädchens auf seine Seele ge¬
habt. Wie sie sein leidenschaftliches Wesen besänftigt, wie ihre freund¬
liche Bitte ihn von Handlungen abgehalten, die er hätte bereuen
müssen, das fühlte er jetzt plötzlich, und so sehr ihr Glück ihn freute,
so vermißte er sie doch gar schwer.

Es litt ihn nicht in den Räumen, die Maria nicht mehr be¬
wohnte, und um ihnen zu entfliehen, um sich zu zerstreuen, besuchte
er mehr als je, die Orte, an denen die schöne Welt der glänzenden
Hauptstadt sich zu versammeln pflegte. Aber auch hier fand er die.
Zerstreuung nicht, die er erwartete. Er hatte den Becher der Freu¬
den so oft bis auf die Hefe geleert, daß er ihm weder Genuß, noch
Erquickung bot; und übersättigt, gelangweilt sah er eines Abends auf
das rauschende Treiben eines Balles, als eine prächtige Frauengestalt
seine Blicke an sich zog und festhielt.

Ihre volle, königliche Gestalt, ihr scharf ausgeprägtes Gesicht
und die tiefdunkeln Augen verriethen die Italienerin. Sie war in
der Blüthe der ersten Jugend und erschien um so strahlender, da sie
an dem Arme eines Greises umherwandelte. Giovanni's Herz klopfte
schneller, als er sie erblickte. Er glaubte sich ihrer Züge ° wie eines
süßen Märchens seiner Kindheit zu erinnern. Diese Göttergestalt ist


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[0487] Alfred werde». Was soll ich dem Maestro, wenn ich nicht mehr Klavier zu spielen vermag? Er wird froh sein, sich meiner zu entle¬ digen und mich ziehen lassen mit dem Geliebten. Die Gewißheit lindert meine Schmerzen. Und so geschah es. Sie genas bald ; aber alle Mittel, die der Maestro anwendete, waren nicht im Stande, ihren schonen Händen die frühere Gelenkigkeit wiederzugeben. Da, als der junge Advocat zurückkehrte und um Mariens Hand bei dem vermeinten Vater warb, gab er fluchend seine Einwilligung zu ihrer Verbindung. Bald dar¬ auf zogen die Glücklichen davon, und Maria, durch Liebe und Glau¬ ben aus der Knechtschaft des Maestro erlöst, lebte künftig nur ihrem Gatten und der Anbetung der Madonna, die ihr beigestanden in Gnaden. Giovanni hatte Maria lieb gehabt, aber nie hatte er geahnt so lange sie zusammen lebten, welch mächtigen und wohlthätigen Ein¬ fluß das schlichte, sanfte Gemüth des Mädchens auf seine Seele ge¬ habt. Wie sie sein leidenschaftliches Wesen besänftigt, wie ihre freund¬ liche Bitte ihn von Handlungen abgehalten, die er hätte bereuen müssen, das fühlte er jetzt plötzlich, und so sehr ihr Glück ihn freute, so vermißte er sie doch gar schwer. Es litt ihn nicht in den Räumen, die Maria nicht mehr be¬ wohnte, und um ihnen zu entfliehen, um sich zu zerstreuen, besuchte er mehr als je, die Orte, an denen die schöne Welt der glänzenden Hauptstadt sich zu versammeln pflegte. Aber auch hier fand er die. Zerstreuung nicht, die er erwartete. Er hatte den Becher der Freu¬ den so oft bis auf die Hefe geleert, daß er ihm weder Genuß, noch Erquickung bot; und übersättigt, gelangweilt sah er eines Abends auf das rauschende Treiben eines Balles, als eine prächtige Frauengestalt seine Blicke an sich zog und festhielt. Ihre volle, königliche Gestalt, ihr scharf ausgeprägtes Gesicht und die tiefdunkeln Augen verriethen die Italienerin. Sie war in der Blüthe der ersten Jugend und erschien um so strahlender, da sie an dem Arme eines Greises umherwandelte. Giovanni's Herz klopfte schneller, als er sie erblickte. Er glaubte sich ihrer Züge ° wie eines süßen Märchens seiner Kindheit zu erinnern. Diese Göttergestalt ist KI-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/487>, abgerufen am 28.07.2024.