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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ausgeartet. Am schlimmsten ist neulich unser armes Stadttheater mit
diesem Musterfeuilleton compromittirt worden. Nach jahrelangem systema¬
tischem Schimpfen plötzlich ein Honig- und Mandelmilch-Artikel des
Lobes, weil für die jetzt abgelaufene Woche ein vorzügliches Reper-
toir angezeigt gewesen! Jetzt kam die beklagenswerthe Direction in
den Verdacht, einen Menschen, in Betreff dessen sie gegen Jedermann
so oft die gründlichste Verachtung geäußert, sich um jeden Preis ver¬
söhnt zu haben. Was ich aber auch von der Direction des Stadt-
thcaters denken mag --- der Verdacht ward nicht von mir getheilt.
Uebrigens hat besagte Zeitung, nach sachverständiger Schätzung, unge¬
fähr sechshundert Abonnenten.

Von städtischen Dingen berühre ich heute die Gasfrage, welche
wohl am frühesten in unsern Theatern zur factischen Lösung kommen
wird. Mindestens hört man, daß die bei dem Beleuchtungswesen bis¬
her angestellten Arbeiter zu Weihnachten ihren Abschied erhalten. Un¬
sere Hauseigenthümer sind im heftigen Streite mit der Gascompagnie,
welche ausschließlich für sich das Recht der Nöhrenlegung, der Gas-
sittings überhaupt in Anspruch nimmt. Die öffentliche Meinung
spricht sich dahin aus, der Staat habe zu entscheiden, daß die Com¬
pagnie das Gas liefern müsse, möge die Nöhrenlegung durch die Com¬
pagnie beschafft sein oder nicht, sobald nur die Apparate die nöthige
Prüfung auszuhalten im Stande. -- Der Siehlbau schreitet muthig
und kothig vorwärts. Er kostet ungeheure Summen und dabei ha¬
ben wir noch das Gaudium, den Lindley'schen Plan, nach welchem
er ausgeführt wird, von Wien aus, wo er gleichfalls zur Prüfung
kam, verworfen zu sehen. Die patriotische Gesellschaft ließ dies Gut¬
achten in dem oben erwähnten "Wandsbecker Intelligenzblatt" ver¬
öffentlichen und es machte nicht geringes Aufsehen -- leider post
to5tum. Im Stadttheater hat Laube's unverantwortlich verspäteter
,.Monaldeschi", namentlich durch ausgezeichnetes Spiel Baison's
und der Lenz, einen glänzenden Succeß errungen. Im nächsten
Briefe Weiteres. Auch Don Pasquale ist gestern mit gutem Erfolge
aufgeführt worden. Die Thaliabühne hat am letzten Sonnabend ein
wahres Wagstück durchgesetzt. Sie brachte in einem kleinen schwanke
"Die Namensbruder oder Banquier und Journalist", der nicht aus
dem Französischen, sondern Originalarbeit ist, den dramatischen Erst¬
lingsversuch eines hiesigen Autors, ohne ihn solenn durchfallen zu
sehen, was sehr Viele sehnsüchtig gewünscht hatten. Die anspruchs¬
lose Kleinigkeit, worin einige Situationen und Localbeziehungen fast
unverdientes Glück machten, geht sogar morgen schon zum dritten Male
über die Bretter, nachdem bei der ersten Darstellung sämmtliche Mit¬
wirkende hervorgerufen waren.


ausgeartet. Am schlimmsten ist neulich unser armes Stadttheater mit
diesem Musterfeuilleton compromittirt worden. Nach jahrelangem systema¬
tischem Schimpfen plötzlich ein Honig- und Mandelmilch-Artikel des
Lobes, weil für die jetzt abgelaufene Woche ein vorzügliches Reper-
toir angezeigt gewesen! Jetzt kam die beklagenswerthe Direction in
den Verdacht, einen Menschen, in Betreff dessen sie gegen Jedermann
so oft die gründlichste Verachtung geäußert, sich um jeden Preis ver¬
söhnt zu haben. Was ich aber auch von der Direction des Stadt-
thcaters denken mag -— der Verdacht ward nicht von mir getheilt.
Uebrigens hat besagte Zeitung, nach sachverständiger Schätzung, unge¬
fähr sechshundert Abonnenten.

Von städtischen Dingen berühre ich heute die Gasfrage, welche
wohl am frühesten in unsern Theatern zur factischen Lösung kommen
wird. Mindestens hört man, daß die bei dem Beleuchtungswesen bis¬
her angestellten Arbeiter zu Weihnachten ihren Abschied erhalten. Un¬
sere Hauseigenthümer sind im heftigen Streite mit der Gascompagnie,
welche ausschließlich für sich das Recht der Nöhrenlegung, der Gas-
sittings überhaupt in Anspruch nimmt. Die öffentliche Meinung
spricht sich dahin aus, der Staat habe zu entscheiden, daß die Com¬
pagnie das Gas liefern müsse, möge die Nöhrenlegung durch die Com¬
pagnie beschafft sein oder nicht, sobald nur die Apparate die nöthige
Prüfung auszuhalten im Stande. — Der Siehlbau schreitet muthig
und kothig vorwärts. Er kostet ungeheure Summen und dabei ha¬
ben wir noch das Gaudium, den Lindley'schen Plan, nach welchem
er ausgeführt wird, von Wien aus, wo er gleichfalls zur Prüfung
kam, verworfen zu sehen. Die patriotische Gesellschaft ließ dies Gut¬
achten in dem oben erwähnten „Wandsbecker Intelligenzblatt" ver¬
öffentlichen und es machte nicht geringes Aufsehen — leider post
to5tum. Im Stadttheater hat Laube's unverantwortlich verspäteter
,.Monaldeschi", namentlich durch ausgezeichnetes Spiel Baison's
und der Lenz, einen glänzenden Succeß errungen. Im nächsten
Briefe Weiteres. Auch Don Pasquale ist gestern mit gutem Erfolge
aufgeführt worden. Die Thaliabühne hat am letzten Sonnabend ein
wahres Wagstück durchgesetzt. Sie brachte in einem kleinen schwanke
„Die Namensbruder oder Banquier und Journalist", der nicht aus
dem Französischen, sondern Originalarbeit ist, den dramatischen Erst¬
lingsversuch eines hiesigen Autors, ohne ihn solenn durchfallen zu
sehen, was sehr Viele sehnsüchtig gewünscht hatten. Die anspruchs¬
lose Kleinigkeit, worin einige Situationen und Localbeziehungen fast
unverdientes Glück machten, geht sogar morgen schon zum dritten Male
über die Bretter, nachdem bei der ersten Darstellung sämmtliche Mit¬
wirkende hervorgerufen waren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/480>, abgerufen am 05.12.2024.