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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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und hinaus flüchtete in den Garten, als der Maestro Marie an das
Instrument rief.

Eine Weile ging Giovanni in der warmen Sommernacht um¬
her. Wenig nur war er in das Freie gekommen, seit er die Hei¬
math am Meeresstrande verlassen, wo er vom Morgen bis zum
Abende unter Gottes freiem Himmel gelebt. Wohl hatte der Mae¬
stro over die alte Fulvia die Kinder zuweilen hinausgeführt auf die
Straße, aber man hatte sie ängstlich bewacht, daß sie nicht Scha¬
den nehmen, und nach kurzer Zeit sie zurückgeführt in das enge
Haus, das Giovanni dann immer wie ein Kerker erschienen war.

Wie sehnsüchtig hatte er oft aus seinem Fenster emporgeblickt
zu dem leuchtenden Sternenhimmel, wie durstig den duftigen Hauch
des Abendwindes eingesogen, der süße, fremde Gerüche zu ihm her¬
über führte. Jetzt war er endlich in der schönen Natur allein, und
weinend vor Glück und Freude wars er sich auf eine Rasenbank
nieder und drückte das brennende Gesicht in das thaubefeuchtete Gras,

Da fühlte er sich leise von zwei kleinen Händchen berührt, und
eine kindlich süße Mädchenstimme fragte: Warum weinst Du, schöner
Giovanni?

-- Ich weine nicht, ich freue mich nur, weil es hier gar so
schön ist, antwortete der Knabe, während doch helle Thränen aus
seinen Augen fielen.

-- So bleibe hier, bat das Mädchen. Bleibe bei mir, Gio¬
vanni; die Rasenbank ist mein und all die Blumen sind mein und
ich will Dir Alles geben, wenn es Dir gefällt.

-- Wer bist Du? fragte Giovanni und ergriff des Mädchens
Hände.

-- Ich bin Cornelia und der Marchese ist mein Vater! weißt
Du das nicht? Mein Vater wird Dich auch lieb haben, wenn ich
ihn bitte, also bleibe nur bei uns.

Und Giovanni versprach es. Er erzählte dem kleinen Mädchen
von dem traurigen Leben in dem Hause seines Vaters, von der gu-
ten alten Fulvia, bei der er fast niemals bleiben dürfe, wie Marie.
Er klagte über den garstigen Kater und die häßlichen Mohren; er
sagte, wie er so gar einsam sei und viel lieber hinaus möchte, mit
andern Knaben zu spielen im Freien, statt am Kamin die schreckhaf¬
ten Märchen des Maestro zu hören. Und Cornelia, um ihn zu dro-


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und hinaus flüchtete in den Garten, als der Maestro Marie an das
Instrument rief.

Eine Weile ging Giovanni in der warmen Sommernacht um¬
her. Wenig nur war er in das Freie gekommen, seit er die Hei¬
math am Meeresstrande verlassen, wo er vom Morgen bis zum
Abende unter Gottes freiem Himmel gelebt. Wohl hatte der Mae¬
stro over die alte Fulvia die Kinder zuweilen hinausgeführt auf die
Straße, aber man hatte sie ängstlich bewacht, daß sie nicht Scha¬
den nehmen, und nach kurzer Zeit sie zurückgeführt in das enge
Haus, das Giovanni dann immer wie ein Kerker erschienen war.

Wie sehnsüchtig hatte er oft aus seinem Fenster emporgeblickt
zu dem leuchtenden Sternenhimmel, wie durstig den duftigen Hauch
des Abendwindes eingesogen, der süße, fremde Gerüche zu ihm her¬
über führte. Jetzt war er endlich in der schönen Natur allein, und
weinend vor Glück und Freude wars er sich auf eine Rasenbank
nieder und drückte das brennende Gesicht in das thaubefeuchtete Gras,

Da fühlte er sich leise von zwei kleinen Händchen berührt, und
eine kindlich süße Mädchenstimme fragte: Warum weinst Du, schöner
Giovanni?

— Ich weine nicht, ich freue mich nur, weil es hier gar so
schön ist, antwortete der Knabe, während doch helle Thränen aus
seinen Augen fielen.

— So bleibe hier, bat das Mädchen. Bleibe bei mir, Gio¬
vanni; die Rasenbank ist mein und all die Blumen sind mein und
ich will Dir Alles geben, wenn es Dir gefällt.

— Wer bist Du? fragte Giovanni und ergriff des Mädchens
Hände.

— Ich bin Cornelia und der Marchese ist mein Vater! weißt
Du das nicht? Mein Vater wird Dich auch lieb haben, wenn ich
ihn bitte, also bleibe nur bei uns.

Und Giovanni versprach es. Er erzählte dem kleinen Mädchen
von dem traurigen Leben in dem Hause seines Vaters, von der gu-
ten alten Fulvia, bei der er fast niemals bleiben dürfe, wie Marie.
Er klagte über den garstigen Kater und die häßlichen Mohren; er
sagte, wie er so gar einsam sei und viel lieber hinaus möchte, mit
andern Knaben zu spielen im Freien, statt am Kamin die schreckhaf¬
ten Märchen des Maestro zu hören. Und Cornelia, um ihn zu dro-


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[0463] und hinaus flüchtete in den Garten, als der Maestro Marie an das Instrument rief. Eine Weile ging Giovanni in der warmen Sommernacht um¬ her. Wenig nur war er in das Freie gekommen, seit er die Hei¬ math am Meeresstrande verlassen, wo er vom Morgen bis zum Abende unter Gottes freiem Himmel gelebt. Wohl hatte der Mae¬ stro over die alte Fulvia die Kinder zuweilen hinausgeführt auf die Straße, aber man hatte sie ängstlich bewacht, daß sie nicht Scha¬ den nehmen, und nach kurzer Zeit sie zurückgeführt in das enge Haus, das Giovanni dann immer wie ein Kerker erschienen war. Wie sehnsüchtig hatte er oft aus seinem Fenster emporgeblickt zu dem leuchtenden Sternenhimmel, wie durstig den duftigen Hauch des Abendwindes eingesogen, der süße, fremde Gerüche zu ihm her¬ über führte. Jetzt war er endlich in der schönen Natur allein, und weinend vor Glück und Freude wars er sich auf eine Rasenbank nieder und drückte das brennende Gesicht in das thaubefeuchtete Gras, Da fühlte er sich leise von zwei kleinen Händchen berührt, und eine kindlich süße Mädchenstimme fragte: Warum weinst Du, schöner Giovanni? — Ich weine nicht, ich freue mich nur, weil es hier gar so schön ist, antwortete der Knabe, während doch helle Thränen aus seinen Augen fielen. — So bleibe hier, bat das Mädchen. Bleibe bei mir, Gio¬ vanni; die Rasenbank ist mein und all die Blumen sind mein und ich will Dir Alles geben, wenn es Dir gefällt. — Wer bist Du? fragte Giovanni und ergriff des Mädchens Hände. — Ich bin Cornelia und der Marchese ist mein Vater! weißt Du das nicht? Mein Vater wird Dich auch lieb haben, wenn ich ihn bitte, also bleibe nur bei uns. Und Giovanni versprach es. Er erzählte dem kleinen Mädchen von dem traurigen Leben in dem Hause seines Vaters, von der gu- ten alten Fulvia, bei der er fast niemals bleiben dürfe, wie Marie. Er klagte über den garstigen Kater und die häßlichen Mohren; er sagte, wie er so gar einsam sei und viel lieber hinaus möchte, mit andern Knaben zu spielen im Freien, statt am Kamin die schreckhaf¬ ten Märchen des Maestro zu hören. Und Cornelia, um ihn zu dro- b8 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/463>, abgerufen am 01.09.2024.