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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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nach langer Stille der Maestro das Schweigen und erzählte dem
Schüler Märchen, bei denen das Haar des Knaben sich vor Ent¬
setzen in die Hohe sträubte, und wieder trat dann tiefes Schweigen
eele des Knaben arbeitete rüsti fort.

ein aberde' Kein Mensch kann die Qualen nachempfinden, die dabei in
Giovanni tobten. Er sah die Schreckgespenster, von denen der Mae¬
stro lächelnd, wie von lieben Freunden, erzählt hatte, an den Wän¬
den auf und niedersteigen, sie näherten sich ihm, griffen nach ihm
und drohten ihn zu erdrücken. Dann hätte er aufschreien mögen
vor Todesangst, aber ihm war zu schweigen befohlen und er wußte,
wie hart jede Uebertretung der Befehle gestraft wurde. So litt er
schweigend fort, bis der Maestro sich erhob und den Knaben selbst
zu Bett geleitete, wo seine absichtlich erregte Phantasie ihn immer
elt.

noch langewaer
Tage reihten sich an Tage, und Monate an Monate in immer
gleicher Weise. Die Zeit, welche Giovanni übend am Klavier zu¬
bringen mußte, stieg je länger, je mehr und der Maestro schien ent¬
zückt über die Fortschritte seines Schülers. Giovanni selbst spielte
gar gern jene süßen Weisen, die vor seiner Seele schwebten, wenn
er der fernen Mutter gedachte. Dann versuchte er es, ihre Stimme
nachzuahmen und das Brausen des Meeres, das wie ein zauberisches
Wiegenlied aus der Vergangenheit zu ihm herüberklang. Kam aber
der Maestro dazu und hörte die Töne, so verwies er dem Knaben
das thörichte Treiben, befahl ihm, fleißig seine Passagen und Etü¬
den zu üben und schilderte, in den glänzendsten Farben, die Freuden
und das Glück, das Giovanni genießen würde, wenn er durch fleißi¬
es Studium einst ein Meister in der Mukeworden sein würde.

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So war Giovanni zwölf Jahre geworden und Marie stand im
zehnten Jahre. Auch sie hatte der Maestro in der Musik unterwie¬
sen, auch sie hatte täglich viele Stunden übend zugebracht und eine
gewisse Fertigkeit erlangt; aber es war ihr nur eine lästige mechani¬
sche Beschäftigung geblieben, an der ihr Geist keinen Theil hatte und
der sie sich entzog, sobald sie konnte. Dem Giovanni hingegen war
Musik das Element, in dem seine Seele lebte; sie war seine eigent¬
liche Sprache und jeder Ton, der sein Ohr berührte, regte eine
Welt von unklaren Ahnungen in ihm an, deren Gewalt er fast er"
la. Er war groß über seine Jahre und sein lanes dunkles aar


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nach langer Stille der Maestro das Schweigen und erzählte dem
Schüler Märchen, bei denen das Haar des Knaben sich vor Ent¬
setzen in die Hohe sträubte, und wieder trat dann tiefes Schweigen
eele des Knaben arbeitete rüsti fort.

ein aberde' Kein Mensch kann die Qualen nachempfinden, die dabei in
Giovanni tobten. Er sah die Schreckgespenster, von denen der Mae¬
stro lächelnd, wie von lieben Freunden, erzählt hatte, an den Wän¬
den auf und niedersteigen, sie näherten sich ihm, griffen nach ihm
und drohten ihn zu erdrücken. Dann hätte er aufschreien mögen
vor Todesangst, aber ihm war zu schweigen befohlen und er wußte,
wie hart jede Uebertretung der Befehle gestraft wurde. So litt er
schweigend fort, bis der Maestro sich erhob und den Knaben selbst
zu Bett geleitete, wo seine absichtlich erregte Phantasie ihn immer
elt.

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Tage reihten sich an Tage, und Monate an Monate in immer
gleicher Weise. Die Zeit, welche Giovanni übend am Klavier zu¬
bringen mußte, stieg je länger, je mehr und der Maestro schien ent¬
zückt über die Fortschritte seines Schülers. Giovanni selbst spielte
gar gern jene süßen Weisen, die vor seiner Seele schwebten, wenn
er der fernen Mutter gedachte. Dann versuchte er es, ihre Stimme
nachzuahmen und das Brausen des Meeres, das wie ein zauberisches
Wiegenlied aus der Vergangenheit zu ihm herüberklang. Kam aber
der Maestro dazu und hörte die Töne, so verwies er dem Knaben
das thörichte Treiben, befahl ihm, fleißig seine Passagen und Etü¬
den zu üben und schilderte, in den glänzendsten Farben, die Freuden
und das Glück, das Giovanni genießen würde, wenn er durch fleißi¬
es Studium einst ein Meister in der Mukeworden sein würde.

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So war Giovanni zwölf Jahre geworden und Marie stand im
zehnten Jahre. Auch sie hatte der Maestro in der Musik unterwie¬
sen, auch sie hatte täglich viele Stunden übend zugebracht und eine
gewisse Fertigkeit erlangt; aber es war ihr nur eine lästige mechani¬
sche Beschäftigung geblieben, an der ihr Geist keinen Theil hatte und
der sie sich entzog, sobald sie konnte. Dem Giovanni hingegen war
Musik das Element, in dem seine Seele lebte; sie war seine eigent¬
liche Sprache und jeder Ton, der sein Ohr berührte, regte eine
Welt von unklaren Ahnungen in ihm an, deren Gewalt er fast er«
la. Er war groß über seine Jahre und sein lanes dunkles aar


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[0461] nach langer Stille der Maestro das Schweigen und erzählte dem Schüler Märchen, bei denen das Haar des Knaben sich vor Ent¬ setzen in die Hohe sträubte, und wieder trat dann tiefes Schweigen eele des Knaben arbeitete rüsti fort. ein aberde' Kein Mensch kann die Qualen nachempfinden, die dabei in Giovanni tobten. Er sah die Schreckgespenster, von denen der Mae¬ stro lächelnd, wie von lieben Freunden, erzählt hatte, an den Wän¬ den auf und niedersteigen, sie näherten sich ihm, griffen nach ihm und drohten ihn zu erdrücken. Dann hätte er aufschreien mögen vor Todesangst, aber ihm war zu schweigen befohlen und er wußte, wie hart jede Uebertretung der Befehle gestraft wurde. So litt er schweigend fort, bis der Maestro sich erhob und den Knaben selbst zu Bett geleitete, wo seine absichtlich erregte Phantasie ihn immer elt. noch langewaer Tage reihten sich an Tage, und Monate an Monate in immer gleicher Weise. Die Zeit, welche Giovanni übend am Klavier zu¬ bringen mußte, stieg je länger, je mehr und der Maestro schien ent¬ zückt über die Fortschritte seines Schülers. Giovanni selbst spielte gar gern jene süßen Weisen, die vor seiner Seele schwebten, wenn er der fernen Mutter gedachte. Dann versuchte er es, ihre Stimme nachzuahmen und das Brausen des Meeres, das wie ein zauberisches Wiegenlied aus der Vergangenheit zu ihm herüberklang. Kam aber der Maestro dazu und hörte die Töne, so verwies er dem Knaben das thörichte Treiben, befahl ihm, fleißig seine Passagen und Etü¬ den zu üben und schilderte, in den glänzendsten Farben, die Freuden und das Glück, das Giovanni genießen würde, wenn er durch fleißi¬ es Studium einst ein Meister in der Mukeworden sein würde. gsig So war Giovanni zwölf Jahre geworden und Marie stand im zehnten Jahre. Auch sie hatte der Maestro in der Musik unterwie¬ sen, auch sie hatte täglich viele Stunden übend zugebracht und eine gewisse Fertigkeit erlangt; aber es war ihr nur eine lästige mechani¬ sche Beschäftigung geblieben, an der ihr Geist keinen Theil hatte und der sie sich entzog, sobald sie konnte. Dem Giovanni hingegen war Musik das Element, in dem seine Seele lebte; sie war seine eigent¬ liche Sprache und jeder Ton, der sein Ohr berührte, regte eine Welt von unklaren Ahnungen in ihm an, deren Gewalt er fast er« la. Er war groß über seine Jahre und sein lanes dunkles aar gg Grcnzbvtc» II> 5g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/461>, abgerufen am 01.09.2024.