Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dische Meer beherrscht, nothwendig bald ernstere Reibungen zwischen
Frankreich und Großbritanien herbeigeführt hätten und daß dann Deutsch¬
land in sehr ernste Conflicte gekommen wäre. Denn daß man in
Se. Petersburg und wohl auch in einigen anderen Hauptstädten nur
auf den Augenblick, wo Frankreich wieder in einen Krieg mit Eng¬
land verwickelt wird, wartet, um dem Lande der Revolution den al¬
ten Groll endlich fühlen zu lassen, leidet wohl keinen Zweifel. Eben
fo unbezweifelt ist, daß, wenn erst einmal Rußland und England
gegen Frankreich zu einem Kriege verbündet sind, dann auch wieder
unfer schönes Deutschland die Perspective hat, der Schauplatz dessel¬
ben zu werden, denn wie sehr auch Klugheit und Gerechtigkeit zu
einer strengen Neutralität aufforderten, ist doch wohl kaum anzuneh¬
men, daß nicht die Leidenschaft der Parteien, namentlich aber der
antifranzösischen Partei, über Klugheit und Gerechtigkeit den Sieg
davontragen würde. Und was würde wohl, wenn ein solcher Con¬
flict entstanden wäre, aus der Einigkeit Deutschlands, ja aus seiner
politischen Selbständigkeit geworden sein? Auch wir wollen daher die
den Friedensschluß verkündenden Kanonenschüsse des Pariser Invaliden-
Hauses als einen Triumph der Civilisation und des den Keim des
Fortschritts, wenn auch langsam, doch sicher währenden Friedens über
die Leidenschaft und die Völkereifersucht betrachten, deren Ausbrüche
in Europa uns Deutschen leider bei dem Stand der Dinge und bei
der allgemeinen Stimmung der Gemüther keine günstigen Aussichten
lassen würde. Die Ereignisse von 1840 und von 1844 haben uns
gezeigt, wie leicht solche Völkerconflicte möglich seien, und sie sind
daher eine ernste Mahnung an Deutschland, in der Zeit des Friedens
Nichts zu verabsäumen, was die Gemüther wieder vereinigen und
unsere Macht nach außen dergestalt vermehren kann, daß wir jeden
europäischen Krieg ruhig erwarten können.

Fast hätte der drohende Ausbruch des Krieges schon den Ausbau
der deutschen Eisenbahnen verzögert, denn ein großer Theil der Spe-
culanten, welche Actien gezeichnet, war bereits sehr zaghaft geworden
und meinte, man müsse alle Einzahlungen sistiren, sobald irgend ein
ernstliches Gewölk am Horizont der französisch-englischen Politik sich
zeige. Seitdem die Aussichten sich wieder aufgehellt, ist auch neue
Sveculationslust an die Börse gekommen und mehrere neue Bahnen,
wie z. B. die zwischen Potsdam und Brandenburg und die zwischen
Posen und Glogau sind entweder schon in Angriff genommen oder
doch wenigstens in den vorbereitenden Nivellements vollendet worden.

Beinah wäre übrigens auch unsere gute und friedliebende Stadt
Berlin in einen Krieg mit den Engländern verwickelt worden. Die
britische Continental-Gas-Association, an deren Spitze sehr angesehene
d. h. reiche Männer stehen, hatte nämlich bei dem im Jahr 184(i
bevorstehenden Ablauf ihres zwanzigjährigen Contractcö mit der Stadt


Grcnzl'vMl II. g

dische Meer beherrscht, nothwendig bald ernstere Reibungen zwischen
Frankreich und Großbritanien herbeigeführt hätten und daß dann Deutsch¬
land in sehr ernste Conflicte gekommen wäre. Denn daß man in
Se. Petersburg und wohl auch in einigen anderen Hauptstädten nur
auf den Augenblick, wo Frankreich wieder in einen Krieg mit Eng¬
land verwickelt wird, wartet, um dem Lande der Revolution den al¬
ten Groll endlich fühlen zu lassen, leidet wohl keinen Zweifel. Eben
fo unbezweifelt ist, daß, wenn erst einmal Rußland und England
gegen Frankreich zu einem Kriege verbündet sind, dann auch wieder
unfer schönes Deutschland die Perspective hat, der Schauplatz dessel¬
ben zu werden, denn wie sehr auch Klugheit und Gerechtigkeit zu
einer strengen Neutralität aufforderten, ist doch wohl kaum anzuneh¬
men, daß nicht die Leidenschaft der Parteien, namentlich aber der
antifranzösischen Partei, über Klugheit und Gerechtigkeit den Sieg
davontragen würde. Und was würde wohl, wenn ein solcher Con¬
flict entstanden wäre, aus der Einigkeit Deutschlands, ja aus seiner
politischen Selbständigkeit geworden sein? Auch wir wollen daher die
den Friedensschluß verkündenden Kanonenschüsse des Pariser Invaliden-
Hauses als einen Triumph der Civilisation und des den Keim des
Fortschritts, wenn auch langsam, doch sicher währenden Friedens über
die Leidenschaft und die Völkereifersucht betrachten, deren Ausbrüche
in Europa uns Deutschen leider bei dem Stand der Dinge und bei
der allgemeinen Stimmung der Gemüther keine günstigen Aussichten
lassen würde. Die Ereignisse von 1840 und von 1844 haben uns
gezeigt, wie leicht solche Völkerconflicte möglich seien, und sie sind
daher eine ernste Mahnung an Deutschland, in der Zeit des Friedens
Nichts zu verabsäumen, was die Gemüther wieder vereinigen und
unsere Macht nach außen dergestalt vermehren kann, daß wir jeden
europäischen Krieg ruhig erwarten können.

Fast hätte der drohende Ausbruch des Krieges schon den Ausbau
der deutschen Eisenbahnen verzögert, denn ein großer Theil der Spe-
culanten, welche Actien gezeichnet, war bereits sehr zaghaft geworden
und meinte, man müsse alle Einzahlungen sistiren, sobald irgend ein
ernstliches Gewölk am Horizont der französisch-englischen Politik sich
zeige. Seitdem die Aussichten sich wieder aufgehellt, ist auch neue
Sveculationslust an die Börse gekommen und mehrere neue Bahnen,
wie z. B. die zwischen Potsdam und Brandenburg und die zwischen
Posen und Glogau sind entweder schon in Angriff genommen oder
doch wenigstens in den vorbereitenden Nivellements vollendet worden.

Beinah wäre übrigens auch unsere gute und friedliebende Stadt
Berlin in einen Krieg mit den Engländern verwickelt worden. Die
britische Continental-Gas-Association, an deren Spitze sehr angesehene
d. h. reiche Männer stehen, hatte nämlich bei dem im Jahr 184(i
bevorstehenden Ablauf ihres zwanzigjährigen Contractcö mit der Stadt


Grcnzl'vMl II. g
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181229"/>
              <p xml:id="ID_75" prev="#ID_74"> dische Meer beherrscht, nothwendig bald ernstere Reibungen zwischen<lb/>
Frankreich und Großbritanien herbeigeführt hätten und daß dann Deutsch¬<lb/>
land in sehr ernste Conflicte gekommen wäre. Denn daß man in<lb/>
Se. Petersburg und wohl auch in einigen anderen Hauptstädten nur<lb/>
auf den Augenblick, wo Frankreich wieder in einen Krieg mit Eng¬<lb/>
land verwickelt wird, wartet, um dem Lande der Revolution den al¬<lb/>
ten Groll endlich fühlen zu lassen, leidet wohl keinen Zweifel. Eben<lb/>
fo unbezweifelt ist, daß, wenn erst einmal Rußland und England<lb/>
gegen Frankreich zu einem Kriege verbündet sind, dann auch wieder<lb/>
unfer schönes Deutschland die Perspective hat, der Schauplatz dessel¬<lb/>
ben zu werden, denn wie sehr auch Klugheit und Gerechtigkeit zu<lb/>
einer strengen Neutralität aufforderten, ist doch wohl kaum anzuneh¬<lb/>
men, daß nicht die Leidenschaft der Parteien, namentlich aber der<lb/>
antifranzösischen Partei, über Klugheit und Gerechtigkeit den Sieg<lb/>
davontragen würde. Und was würde wohl, wenn ein solcher Con¬<lb/>
flict entstanden wäre, aus der Einigkeit Deutschlands, ja aus seiner<lb/>
politischen Selbständigkeit geworden sein? Auch wir wollen daher die<lb/>
den Friedensschluß verkündenden Kanonenschüsse des Pariser Invaliden-<lb/>
Hauses als einen Triumph der Civilisation und des den Keim des<lb/>
Fortschritts, wenn auch langsam, doch sicher währenden Friedens über<lb/>
die Leidenschaft und die Völkereifersucht betrachten, deren Ausbrüche<lb/>
in Europa uns Deutschen leider bei dem Stand der Dinge und bei<lb/>
der allgemeinen Stimmung der Gemüther keine günstigen Aussichten<lb/>
lassen würde. Die Ereignisse von 1840 und von 1844 haben uns<lb/>
gezeigt, wie leicht solche Völkerconflicte möglich seien, und sie sind<lb/>
daher eine ernste Mahnung an Deutschland, in der Zeit des Friedens<lb/>
Nichts zu verabsäumen, was die Gemüther wieder vereinigen und<lb/>
unsere Macht nach außen dergestalt vermehren kann, daß wir jeden<lb/>
europäischen Krieg ruhig erwarten können.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_76"> Fast hätte der drohende Ausbruch des Krieges schon den Ausbau<lb/>
der deutschen Eisenbahnen verzögert, denn ein großer Theil der Spe-<lb/>
culanten, welche Actien gezeichnet, war bereits sehr zaghaft geworden<lb/>
und meinte, man müsse alle Einzahlungen sistiren, sobald irgend ein<lb/>
ernstliches Gewölk am Horizont der französisch-englischen Politik sich<lb/>
zeige. Seitdem die Aussichten sich wieder aufgehellt, ist auch neue<lb/>
Sveculationslust an die Börse gekommen und mehrere neue Bahnen,<lb/>
wie z. B. die zwischen Potsdam und Brandenburg und die zwischen<lb/>
Posen und Glogau sind entweder schon in Angriff genommen oder<lb/>
doch wenigstens in den vorbereitenden Nivellements vollendet worden.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_77" next="#ID_78"> Beinah wäre übrigens auch unsere gute und friedliebende Stadt<lb/>
Berlin in einen Krieg mit den Engländern verwickelt worden. Die<lb/>
britische Continental-Gas-Association, an deren Spitze sehr angesehene<lb/>
d. h. reiche Männer stehen, hatte nämlich bei dem im Jahr 184(i<lb/>
bevorstehenden Ablauf ihres zwanzigjährigen Contractcö mit der Stadt</p><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzl'vMl II. g</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] dische Meer beherrscht, nothwendig bald ernstere Reibungen zwischen Frankreich und Großbritanien herbeigeführt hätten und daß dann Deutsch¬ land in sehr ernste Conflicte gekommen wäre. Denn daß man in Se. Petersburg und wohl auch in einigen anderen Hauptstädten nur auf den Augenblick, wo Frankreich wieder in einen Krieg mit Eng¬ land verwickelt wird, wartet, um dem Lande der Revolution den al¬ ten Groll endlich fühlen zu lassen, leidet wohl keinen Zweifel. Eben fo unbezweifelt ist, daß, wenn erst einmal Rußland und England gegen Frankreich zu einem Kriege verbündet sind, dann auch wieder unfer schönes Deutschland die Perspective hat, der Schauplatz dessel¬ ben zu werden, denn wie sehr auch Klugheit und Gerechtigkeit zu einer strengen Neutralität aufforderten, ist doch wohl kaum anzuneh¬ men, daß nicht die Leidenschaft der Parteien, namentlich aber der antifranzösischen Partei, über Klugheit und Gerechtigkeit den Sieg davontragen würde. Und was würde wohl, wenn ein solcher Con¬ flict entstanden wäre, aus der Einigkeit Deutschlands, ja aus seiner politischen Selbständigkeit geworden sein? Auch wir wollen daher die den Friedensschluß verkündenden Kanonenschüsse des Pariser Invaliden- Hauses als einen Triumph der Civilisation und des den Keim des Fortschritts, wenn auch langsam, doch sicher währenden Friedens über die Leidenschaft und die Völkereifersucht betrachten, deren Ausbrüche in Europa uns Deutschen leider bei dem Stand der Dinge und bei der allgemeinen Stimmung der Gemüther keine günstigen Aussichten lassen würde. Die Ereignisse von 1840 und von 1844 haben uns gezeigt, wie leicht solche Völkerconflicte möglich seien, und sie sind daher eine ernste Mahnung an Deutschland, in der Zeit des Friedens Nichts zu verabsäumen, was die Gemüther wieder vereinigen und unsere Macht nach außen dergestalt vermehren kann, daß wir jeden europäischen Krieg ruhig erwarten können. Fast hätte der drohende Ausbruch des Krieges schon den Ausbau der deutschen Eisenbahnen verzögert, denn ein großer Theil der Spe- culanten, welche Actien gezeichnet, war bereits sehr zaghaft geworden und meinte, man müsse alle Einzahlungen sistiren, sobald irgend ein ernstliches Gewölk am Horizont der französisch-englischen Politik sich zeige. Seitdem die Aussichten sich wieder aufgehellt, ist auch neue Sveculationslust an die Börse gekommen und mehrere neue Bahnen, wie z. B. die zwischen Potsdam und Brandenburg und die zwischen Posen und Glogau sind entweder schon in Angriff genommen oder doch wenigstens in den vorbereitenden Nivellements vollendet worden. Beinah wäre übrigens auch unsere gute und friedliebende Stadt Berlin in einen Krieg mit den Engländern verwickelt worden. Die britische Continental-Gas-Association, an deren Spitze sehr angesehene d. h. reiche Männer stehen, hatte nämlich bei dem im Jahr 184(i bevorstehenden Ablauf ihres zwanzigjährigen Contractcö mit der Stadt Grcnzl'vMl II. g

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/45>, abgerufen am 01.09.2024.