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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ner Boraussetzung, daß der Begriff das zusammengefaßte Gemein¬
schaftliche des erscheinenden Verschiedenen sei. Es ist wahr, die dia¬
lektische Methode ist bisher als eine Nothwendigkeit des Denkens
theoretisch noch nicht deducirt, sie ist noch nicht bewiesen worden.
Allein das dialektische Denken ist eine philosophische That, und als
solche beweist es sich selbst. Es ist zwar als That noch nicht ganz
durchgesetzt, es hat noch nicht die ganze wissenschaftliche Production
als zusammenhaltendes Ferment durchdrungen, sein Beweis ist also
noch nicht durchgeführt. Allein in zahllosen Einzelheiten tauchen be¬
reits unwiderlegbare Trichotomien, gleich den höchsten Spitzen eines
Meergebirges, als eben so viele Thaten des wissenschaftlichen Den¬
kens auf, denen gegenüber die theoretische Skepsis der Reflexion ihr
Müthchen nur noch an den "unschuldigen Trichotomien" kühlen darf.
Sind nur erst die Fluthen der schaffenden Bewegung ganz zurück¬
getreten, dann wird auch die ganze Bergkette der Methode in unun¬
terbrochener Continuität als festes Land im Schöpfungssysteme der
Wissenschaft sich herausgestaltet haben, obgleich, wie wir selbst hoffen,
zu jener Zeit weder die Philosophie Hegel's, noch Herbart's, noch
irgend eines ihrer jetzigen Anhänger oder Bekämpfer die herrschende
sein wird.

Doch abgesehen von diesen theoretischen Wirren ist es immer
eine erfreuliche Erscheinung, daß ein kaiserlich königlich österreichischer
Professor der Philosophie es wagte, seine katholische Wirksamkeit über
die ihm vorgeschriebene Tradition des vorgeschriebenen Buches hinaus zu
lebendiger Theilnahme an der großen protestantischen deutschen Ge¬
dankenarbeit zu erweitern; daß er bestrebt ist, seine wissenschaftliche
Provinz Böhmen, von deren Anschluß an den Zollverein ohnehin so
viel geredet wird, vorläufig von den geistigen Zollschranken befreien
zu helfen. Indeß bleibt die literarische Wirksamkeit Er ner's unter
den gegebenen Verhältnissen auch nur eine solche, eine bloße schrift¬
stellerische Selbstbefriedigung, ohne intensivere Bedeutung für das
Universitätsstudium, von welchem die Philosophie, trotz aller No¬
menklaturen der Gesetze und Lectionscataloge, dennoch als verbannt
angesehen werden muß, wie sie denn auch in der That keine Auf¬
gabe für solche unreife Jünglinge (im Durchschnitte fünfzehnjährige
Knaben) sein kann, welche die Hörsäle unserer philosophischen Fakul¬
täten füllen. Was daher von Einzelnen in Oesterreich geleistet wird,


ner Boraussetzung, daß der Begriff das zusammengefaßte Gemein¬
schaftliche des erscheinenden Verschiedenen sei. Es ist wahr, die dia¬
lektische Methode ist bisher als eine Nothwendigkeit des Denkens
theoretisch noch nicht deducirt, sie ist noch nicht bewiesen worden.
Allein das dialektische Denken ist eine philosophische That, und als
solche beweist es sich selbst. Es ist zwar als That noch nicht ganz
durchgesetzt, es hat noch nicht die ganze wissenschaftliche Production
als zusammenhaltendes Ferment durchdrungen, sein Beweis ist also
noch nicht durchgeführt. Allein in zahllosen Einzelheiten tauchen be¬
reits unwiderlegbare Trichotomien, gleich den höchsten Spitzen eines
Meergebirges, als eben so viele Thaten des wissenschaftlichen Den¬
kens auf, denen gegenüber die theoretische Skepsis der Reflexion ihr
Müthchen nur noch an den „unschuldigen Trichotomien" kühlen darf.
Sind nur erst die Fluthen der schaffenden Bewegung ganz zurück¬
getreten, dann wird auch die ganze Bergkette der Methode in unun¬
terbrochener Continuität als festes Land im Schöpfungssysteme der
Wissenschaft sich herausgestaltet haben, obgleich, wie wir selbst hoffen,
zu jener Zeit weder die Philosophie Hegel's, noch Herbart's, noch
irgend eines ihrer jetzigen Anhänger oder Bekämpfer die herrschende
sein wird.

Doch abgesehen von diesen theoretischen Wirren ist es immer
eine erfreuliche Erscheinung, daß ein kaiserlich königlich österreichischer
Professor der Philosophie es wagte, seine katholische Wirksamkeit über
die ihm vorgeschriebene Tradition des vorgeschriebenen Buches hinaus zu
lebendiger Theilnahme an der großen protestantischen deutschen Ge¬
dankenarbeit zu erweitern; daß er bestrebt ist, seine wissenschaftliche
Provinz Böhmen, von deren Anschluß an den Zollverein ohnehin so
viel geredet wird, vorläufig von den geistigen Zollschranken befreien
zu helfen. Indeß bleibt die literarische Wirksamkeit Er ner's unter
den gegebenen Verhältnissen auch nur eine solche, eine bloße schrift¬
stellerische Selbstbefriedigung, ohne intensivere Bedeutung für das
Universitätsstudium, von welchem die Philosophie, trotz aller No¬
menklaturen der Gesetze und Lectionscataloge, dennoch als verbannt
angesehen werden muß, wie sie denn auch in der That keine Auf¬
gabe für solche unreife Jünglinge (im Durchschnitte fünfzehnjährige
Knaben) sein kann, welche die Hörsäle unserer philosophischen Fakul¬
täten füllen. Was daher von Einzelnen in Oesterreich geleistet wird,


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[0440] ner Boraussetzung, daß der Begriff das zusammengefaßte Gemein¬ schaftliche des erscheinenden Verschiedenen sei. Es ist wahr, die dia¬ lektische Methode ist bisher als eine Nothwendigkeit des Denkens theoretisch noch nicht deducirt, sie ist noch nicht bewiesen worden. Allein das dialektische Denken ist eine philosophische That, und als solche beweist es sich selbst. Es ist zwar als That noch nicht ganz durchgesetzt, es hat noch nicht die ganze wissenschaftliche Production als zusammenhaltendes Ferment durchdrungen, sein Beweis ist also noch nicht durchgeführt. Allein in zahllosen Einzelheiten tauchen be¬ reits unwiderlegbare Trichotomien, gleich den höchsten Spitzen eines Meergebirges, als eben so viele Thaten des wissenschaftlichen Den¬ kens auf, denen gegenüber die theoretische Skepsis der Reflexion ihr Müthchen nur noch an den „unschuldigen Trichotomien" kühlen darf. Sind nur erst die Fluthen der schaffenden Bewegung ganz zurück¬ getreten, dann wird auch die ganze Bergkette der Methode in unun¬ terbrochener Continuität als festes Land im Schöpfungssysteme der Wissenschaft sich herausgestaltet haben, obgleich, wie wir selbst hoffen, zu jener Zeit weder die Philosophie Hegel's, noch Herbart's, noch irgend eines ihrer jetzigen Anhänger oder Bekämpfer die herrschende sein wird. Doch abgesehen von diesen theoretischen Wirren ist es immer eine erfreuliche Erscheinung, daß ein kaiserlich königlich österreichischer Professor der Philosophie es wagte, seine katholische Wirksamkeit über die ihm vorgeschriebene Tradition des vorgeschriebenen Buches hinaus zu lebendiger Theilnahme an der großen protestantischen deutschen Ge¬ dankenarbeit zu erweitern; daß er bestrebt ist, seine wissenschaftliche Provinz Böhmen, von deren Anschluß an den Zollverein ohnehin so viel geredet wird, vorläufig von den geistigen Zollschranken befreien zu helfen. Indeß bleibt die literarische Wirksamkeit Er ner's unter den gegebenen Verhältnissen auch nur eine solche, eine bloße schrift¬ stellerische Selbstbefriedigung, ohne intensivere Bedeutung für das Universitätsstudium, von welchem die Philosophie, trotz aller No¬ menklaturen der Gesetze und Lectionscataloge, dennoch als verbannt angesehen werden muß, wie sie denn auch in der That keine Auf¬ gabe für solche unreife Jünglinge (im Durchschnitte fünfzehnjährige Knaben) sein kann, welche die Hörsäle unserer philosophischen Fakul¬ täten füllen. Was daher von Einzelnen in Oesterreich geleistet wird,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/440>, abgerufen am 28.07.2024.