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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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gegenzukommen, den Anfang machte, die Berliner Sommervergnügun¬
gen umzugestalten. Seine Concerte sind immer noch sehr besucht und
trotz der Masse von anderen Localen dieser Art, ein nothwendiges In¬
gredienz des hiesigen Lebens geworden. Denn was früher für den
Winter das Colosseum war, das ist für den Sommer Günther's Gar¬
ten geworden, nur daß es hier nicht so einseitig hergeht, die verschie¬
densten Stande und Menschen sich durcheinander tummeln und die ade¬
ligen Damen mit den betreßter Bedienten hinter sich, die reiche,
stolze Bürgersfrau mit ihren feinen, zimperlichen Töchterlein ganz
ungenirt neben den geputzten Donnas von der Straße sitzt. Besonders
sind es die Letzteren, die dieses Local mit ihrem starken Moschusduft
erfüllen und so diese Menge von alten und jungen Herren aus der
noblen Gesellschaft hereinziehen. Des Bekanntschaftmachens, Nach¬
laufens, der Rendezvous, der verstohlenen frivolen Blicke und Reden
ist kein Ende, und zwischen all diesem Treiben geht der anständige
Philister mit seiner Frau und seinen Töchtern umher, freut sich über
die Musik, die bunten chinesischen Lampen und den Gänsebraten, den
er eben gegessen, und scheint gar nicht zu ahnen und zu beachten, was
da eigentlich Alles um ihn her vorgeht. Aber auch so manches zarte
geheime Liebesdrama spielt sich hier an und ab, und wenn die bu¬
schigen Gänge einige von den Geschichten erzählen könnten, die ich
nur aus der Ferne an mir bekannten Personen beobachtet habe, die
unbefangenen Besucher des Günther'schen Locals, die es vielleicht noch
nicht wissen, daß Berlin eine große Stadt geworden ist, würden stau¬
nen. Da aber die Bäume nicht reden können, werde ich es statt ih¬
rer vielleicht einmal thun.

Uebrigens vermehren und erweitern und verschönern sich, nicht
blos im Thiergarten, sondern auch vor allen Thoren Berlins die öf¬
fentlichen Concertgärten dieser Art. Man geht da kaum ein Paar
Schritte, ohne vor einem solchen Local vorüberzukommen, und aus
allen ertönt Musik, und fast alle sind sie von bunten, dicht zusam¬
men gedrängten Massen erfüllt. Eine nähere Charakteristik dieser
Plätze müssen wir jedoch speciellen Schilderungen des Berliner Lebens
überlassen. Es ist nicht geradezu wahr, daß in Berlin nicht auch der
Arme, d. h. der Arme, der überhaupt noch an eine Zerstreuung den¬
ken kann, seine Vergnügungsorte habe. Man gehe nur vor die Thore
Berlins, und man wird genug Tabagicn und Tanzplätze finden, wo
auch der ärmere Handwerker sich mit seiner Familie sein "Vcrjnigen"
macht. Sollte er auch an den Vergnügungen der vermögenderen
Classen Theil nehmen, so müßten dieselben billiger werden. Der Ein¬
trittspreis macht hier allein die Ausschließlichkeit. Uebrigens besucht
hier die eigentlich noble und aristokratische Welt -- die vornehme
Bourgeoisie mit eingerechnet -- fast gar keine öffentlichen Locale das
Kroll'sche ausgenommen, das sich bis jetzt noch für den oberfläch-


gegenzukommen, den Anfang machte, die Berliner Sommervergnügun¬
gen umzugestalten. Seine Concerte sind immer noch sehr besucht und
trotz der Masse von anderen Localen dieser Art, ein nothwendiges In¬
gredienz des hiesigen Lebens geworden. Denn was früher für den
Winter das Colosseum war, das ist für den Sommer Günther's Gar¬
ten geworden, nur daß es hier nicht so einseitig hergeht, die verschie¬
densten Stande und Menschen sich durcheinander tummeln und die ade¬
ligen Damen mit den betreßter Bedienten hinter sich, die reiche,
stolze Bürgersfrau mit ihren feinen, zimperlichen Töchterlein ganz
ungenirt neben den geputzten Donnas von der Straße sitzt. Besonders
sind es die Letzteren, die dieses Local mit ihrem starken Moschusduft
erfüllen und so diese Menge von alten und jungen Herren aus der
noblen Gesellschaft hereinziehen. Des Bekanntschaftmachens, Nach¬
laufens, der Rendezvous, der verstohlenen frivolen Blicke und Reden
ist kein Ende, und zwischen all diesem Treiben geht der anständige
Philister mit seiner Frau und seinen Töchtern umher, freut sich über
die Musik, die bunten chinesischen Lampen und den Gänsebraten, den
er eben gegessen, und scheint gar nicht zu ahnen und zu beachten, was
da eigentlich Alles um ihn her vorgeht. Aber auch so manches zarte
geheime Liebesdrama spielt sich hier an und ab, und wenn die bu¬
schigen Gänge einige von den Geschichten erzählen könnten, die ich
nur aus der Ferne an mir bekannten Personen beobachtet habe, die
unbefangenen Besucher des Günther'schen Locals, die es vielleicht noch
nicht wissen, daß Berlin eine große Stadt geworden ist, würden stau¬
nen. Da aber die Bäume nicht reden können, werde ich es statt ih¬
rer vielleicht einmal thun.

Uebrigens vermehren und erweitern und verschönern sich, nicht
blos im Thiergarten, sondern auch vor allen Thoren Berlins die öf¬
fentlichen Concertgärten dieser Art. Man geht da kaum ein Paar
Schritte, ohne vor einem solchen Local vorüberzukommen, und aus
allen ertönt Musik, und fast alle sind sie von bunten, dicht zusam¬
men gedrängten Massen erfüllt. Eine nähere Charakteristik dieser
Plätze müssen wir jedoch speciellen Schilderungen des Berliner Lebens
überlassen. Es ist nicht geradezu wahr, daß in Berlin nicht auch der
Arme, d. h. der Arme, der überhaupt noch an eine Zerstreuung den¬
ken kann, seine Vergnügungsorte habe. Man gehe nur vor die Thore
Berlins, und man wird genug Tabagicn und Tanzplätze finden, wo
auch der ärmere Handwerker sich mit seiner Familie sein „Vcrjnigen"
macht. Sollte er auch an den Vergnügungen der vermögenderen
Classen Theil nehmen, so müßten dieselben billiger werden. Der Ein¬
trittspreis macht hier allein die Ausschließlichkeit. Uebrigens besucht
hier die eigentlich noble und aristokratische Welt — die vornehme
Bourgeoisie mit eingerechnet — fast gar keine öffentlichen Locale das
Kroll'sche ausgenommen, das sich bis jetzt noch für den oberfläch-


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[0043] gegenzukommen, den Anfang machte, die Berliner Sommervergnügun¬ gen umzugestalten. Seine Concerte sind immer noch sehr besucht und trotz der Masse von anderen Localen dieser Art, ein nothwendiges In¬ gredienz des hiesigen Lebens geworden. Denn was früher für den Winter das Colosseum war, das ist für den Sommer Günther's Gar¬ ten geworden, nur daß es hier nicht so einseitig hergeht, die verschie¬ densten Stande und Menschen sich durcheinander tummeln und die ade¬ ligen Damen mit den betreßter Bedienten hinter sich, die reiche, stolze Bürgersfrau mit ihren feinen, zimperlichen Töchterlein ganz ungenirt neben den geputzten Donnas von der Straße sitzt. Besonders sind es die Letzteren, die dieses Local mit ihrem starken Moschusduft erfüllen und so diese Menge von alten und jungen Herren aus der noblen Gesellschaft hereinziehen. Des Bekanntschaftmachens, Nach¬ laufens, der Rendezvous, der verstohlenen frivolen Blicke und Reden ist kein Ende, und zwischen all diesem Treiben geht der anständige Philister mit seiner Frau und seinen Töchtern umher, freut sich über die Musik, die bunten chinesischen Lampen und den Gänsebraten, den er eben gegessen, und scheint gar nicht zu ahnen und zu beachten, was da eigentlich Alles um ihn her vorgeht. Aber auch so manches zarte geheime Liebesdrama spielt sich hier an und ab, und wenn die bu¬ schigen Gänge einige von den Geschichten erzählen könnten, die ich nur aus der Ferne an mir bekannten Personen beobachtet habe, die unbefangenen Besucher des Günther'schen Locals, die es vielleicht noch nicht wissen, daß Berlin eine große Stadt geworden ist, würden stau¬ nen. Da aber die Bäume nicht reden können, werde ich es statt ih¬ rer vielleicht einmal thun. Uebrigens vermehren und erweitern und verschönern sich, nicht blos im Thiergarten, sondern auch vor allen Thoren Berlins die öf¬ fentlichen Concertgärten dieser Art. Man geht da kaum ein Paar Schritte, ohne vor einem solchen Local vorüberzukommen, und aus allen ertönt Musik, und fast alle sind sie von bunten, dicht zusam¬ men gedrängten Massen erfüllt. Eine nähere Charakteristik dieser Plätze müssen wir jedoch speciellen Schilderungen des Berliner Lebens überlassen. Es ist nicht geradezu wahr, daß in Berlin nicht auch der Arme, d. h. der Arme, der überhaupt noch an eine Zerstreuung den¬ ken kann, seine Vergnügungsorte habe. Man gehe nur vor die Thore Berlins, und man wird genug Tabagicn und Tanzplätze finden, wo auch der ärmere Handwerker sich mit seiner Familie sein „Vcrjnigen" macht. Sollte er auch an den Vergnügungen der vermögenderen Classen Theil nehmen, so müßten dieselben billiger werden. Der Ein¬ trittspreis macht hier allein die Ausschließlichkeit. Uebrigens besucht hier die eigentlich noble und aristokratische Welt — die vornehme Bourgeoisie mit eingerechnet — fast gar keine öffentlichen Locale das Kroll'sche ausgenommen, das sich bis jetzt noch für den oberfläch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/43>, abgerufen am 01.09.2024.