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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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meist partienartige Auslaufen und die durchschnittlich herzlich schlechte
Beschaffenheit jener Waaren bedenken, findet sich einigermaßen Erklä¬
rung der geringen Verwerthung. Viel und kräftig ist gegen den be¬
rühmten bösen Auswuchs in unserm Geschäftsleben geeifert worden --
wie sich leicht denken laßt, immer vergeblich. Uebrigens ist Hamburg
gewiß nicht der einzige Handelsort, wo Sichtung und Säuberung der
untern Kreise des geschäftlichen Treibens dringend nöthig wäre. Würde
die Reorganisation überhaupt möglich sein, so wäre selbst der hiesige
Platz mit seinen weiten Rechten und Freihci/en, mit den geringen
Schwierigkeiten, welche (s. meinen letzten Brief) dem Wunsche des
sich Ansässigmachens entgegentreten, gewiß der mißlichste Punkt zu
einem erfolgreichen Vornehmen jenes Läuterungsversuches. -- Ich
habe Ihnen den günstigen Erfolg der ersten Ausführung des "Pugat¬
schess" gemeldet. Von Herzen wünschte ich hinzufügen zu können,
daß dieser Erfolg ein dauernder gewesen und über die wenigen, täu¬
schenden Stunden eines Benesizabcnds hinaus gereicht habe. Leider
vermag ich es nicht. Schon die zweite Vorstellung des neuen Gutz-
kow'schen Dramas -- welches jedenfalls eines bessern Schicksales
werth -- ließ das Haus kläglich leer, die dritte erfolgte an einem
Sonntage, fand ein stärkeres Publicum, blieb jedoch wieder ohne be¬
sondere Wirkung. Noch eine vierte Darstellung ließ die Direktion aus
Rücksicht für den Autor folgen. Die Aufführung war im Ganzen
eine sehr gelungene, ja, sie darf, was Baison als Pugatschess be¬
trifft, der in mancher Beziehung das Ganze hielt, eine vorzügliche
genannt werden Ohne einen solchen Darsteller der Titelrolle würde
Pugatschess überhaupt nirgends ein auch nur kurzes Glück machen kön¬
nen. Der Held, auf dessen Schultern die Hauptwucht des Dramas
ruht, ist zu wenig ein wirklich tragischer. Der Zufall macht ihn zum
Pseudokaiser, verfängliche Unwahrfchcinlichkeiten sind die Hauptstützen
der Intrigue, endlich überstürzt sich der Dichter in ihrer Entwirrung-- er zerhaue sie, er los't sie nicht. Dies muß namentlich von der
Schlußscene des vierten Actes gesagt werden, und daß im fünften
Pugatschess, nachdem man ihn erschossen glaubt, noch einmal vor
der Kaiserin Katharina erscheint und dann erst nach Moskau zur
Enthauptung geschickt wird, darin fand man allgemein einen über¬
flüssigen und keineswegs wirksamen Thcatercoup. Ich ließ hier das
eigentliche historische Element des Stückes und seiner Analyse uner¬
wähnt, weil es mich zu weit führen würde, auch die jüngst von H.
Marggraff in den Grenzboten ausgesprochenen Ansichten von der
Verwendung des geschichtlichen Stoffes gegen den Pugatschess gewen¬
det werden müßten. Ich spreche lieber schließlich aus, daß, welche
Schwächen diese Novität auch in der Prüfung ihrer Motive und ihres
wenig psychologischen Entwicklungsganges der strengen Kritik darbieten
mag, sie nicht minder durch brillante Einzelschönheiten und verfehle-


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meist partienartige Auslaufen und die durchschnittlich herzlich schlechte
Beschaffenheit jener Waaren bedenken, findet sich einigermaßen Erklä¬
rung der geringen Verwerthung. Viel und kräftig ist gegen den be¬
rühmten bösen Auswuchs in unserm Geschäftsleben geeifert worden —
wie sich leicht denken laßt, immer vergeblich. Uebrigens ist Hamburg
gewiß nicht der einzige Handelsort, wo Sichtung und Säuberung der
untern Kreise des geschäftlichen Treibens dringend nöthig wäre. Würde
die Reorganisation überhaupt möglich sein, so wäre selbst der hiesige
Platz mit seinen weiten Rechten und Freihci/en, mit den geringen
Schwierigkeiten, welche (s. meinen letzten Brief) dem Wunsche des
sich Ansässigmachens entgegentreten, gewiß der mißlichste Punkt zu
einem erfolgreichen Vornehmen jenes Läuterungsversuches. — Ich
habe Ihnen den günstigen Erfolg der ersten Ausführung des „Pugat¬
schess" gemeldet. Von Herzen wünschte ich hinzufügen zu können,
daß dieser Erfolg ein dauernder gewesen und über die wenigen, täu¬
schenden Stunden eines Benesizabcnds hinaus gereicht habe. Leider
vermag ich es nicht. Schon die zweite Vorstellung des neuen Gutz-
kow'schen Dramas — welches jedenfalls eines bessern Schicksales
werth — ließ das Haus kläglich leer, die dritte erfolgte an einem
Sonntage, fand ein stärkeres Publicum, blieb jedoch wieder ohne be¬
sondere Wirkung. Noch eine vierte Darstellung ließ die Direktion aus
Rücksicht für den Autor folgen. Die Aufführung war im Ganzen
eine sehr gelungene, ja, sie darf, was Baison als Pugatschess be¬
trifft, der in mancher Beziehung das Ganze hielt, eine vorzügliche
genannt werden Ohne einen solchen Darsteller der Titelrolle würde
Pugatschess überhaupt nirgends ein auch nur kurzes Glück machen kön¬
nen. Der Held, auf dessen Schultern die Hauptwucht des Dramas
ruht, ist zu wenig ein wirklich tragischer. Der Zufall macht ihn zum
Pseudokaiser, verfängliche Unwahrfchcinlichkeiten sind die Hauptstützen
der Intrigue, endlich überstürzt sich der Dichter in ihrer Entwirrung— er zerhaue sie, er los't sie nicht. Dies muß namentlich von der
Schlußscene des vierten Actes gesagt werden, und daß im fünften
Pugatschess, nachdem man ihn erschossen glaubt, noch einmal vor
der Kaiserin Katharina erscheint und dann erst nach Moskau zur
Enthauptung geschickt wird, darin fand man allgemein einen über¬
flüssigen und keineswegs wirksamen Thcatercoup. Ich ließ hier das
eigentliche historische Element des Stückes und seiner Analyse uner¬
wähnt, weil es mich zu weit führen würde, auch die jüngst von H.
Marggraff in den Grenzboten ausgesprochenen Ansichten von der
Verwendung des geschichtlichen Stoffes gegen den Pugatschess gewen¬
det werden müßten. Ich spreche lieber schließlich aus, daß, welche
Schwächen diese Novität auch in der Prüfung ihrer Motive und ihres
wenig psychologischen Entwicklungsganges der strengen Kritik darbieten
mag, sie nicht minder durch brillante Einzelschönheiten und verfehle-


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[0383] meist partienartige Auslaufen und die durchschnittlich herzlich schlechte Beschaffenheit jener Waaren bedenken, findet sich einigermaßen Erklä¬ rung der geringen Verwerthung. Viel und kräftig ist gegen den be¬ rühmten bösen Auswuchs in unserm Geschäftsleben geeifert worden — wie sich leicht denken laßt, immer vergeblich. Uebrigens ist Hamburg gewiß nicht der einzige Handelsort, wo Sichtung und Säuberung der untern Kreise des geschäftlichen Treibens dringend nöthig wäre. Würde die Reorganisation überhaupt möglich sein, so wäre selbst der hiesige Platz mit seinen weiten Rechten und Freihci/en, mit den geringen Schwierigkeiten, welche (s. meinen letzten Brief) dem Wunsche des sich Ansässigmachens entgegentreten, gewiß der mißlichste Punkt zu einem erfolgreichen Vornehmen jenes Läuterungsversuches. — Ich habe Ihnen den günstigen Erfolg der ersten Ausführung des „Pugat¬ schess" gemeldet. Von Herzen wünschte ich hinzufügen zu können, daß dieser Erfolg ein dauernder gewesen und über die wenigen, täu¬ schenden Stunden eines Benesizabcnds hinaus gereicht habe. Leider vermag ich es nicht. Schon die zweite Vorstellung des neuen Gutz- kow'schen Dramas — welches jedenfalls eines bessern Schicksales werth — ließ das Haus kläglich leer, die dritte erfolgte an einem Sonntage, fand ein stärkeres Publicum, blieb jedoch wieder ohne be¬ sondere Wirkung. Noch eine vierte Darstellung ließ die Direktion aus Rücksicht für den Autor folgen. Die Aufführung war im Ganzen eine sehr gelungene, ja, sie darf, was Baison als Pugatschess be¬ trifft, der in mancher Beziehung das Ganze hielt, eine vorzügliche genannt werden Ohne einen solchen Darsteller der Titelrolle würde Pugatschess überhaupt nirgends ein auch nur kurzes Glück machen kön¬ nen. Der Held, auf dessen Schultern die Hauptwucht des Dramas ruht, ist zu wenig ein wirklich tragischer. Der Zufall macht ihn zum Pseudokaiser, verfängliche Unwahrfchcinlichkeiten sind die Hauptstützen der Intrigue, endlich überstürzt sich der Dichter in ihrer Entwirrung— er zerhaue sie, er los't sie nicht. Dies muß namentlich von der Schlußscene des vierten Actes gesagt werden, und daß im fünften Pugatschess, nachdem man ihn erschossen glaubt, noch einmal vor der Kaiserin Katharina erscheint und dann erst nach Moskau zur Enthauptung geschickt wird, darin fand man allgemein einen über¬ flüssigen und keineswegs wirksamen Thcatercoup. Ich ließ hier das eigentliche historische Element des Stückes und seiner Analyse uner¬ wähnt, weil es mich zu weit führen würde, auch die jüngst von H. Marggraff in den Grenzboten ausgesprochenen Ansichten von der Verwendung des geschichtlichen Stoffes gegen den Pugatschess gewen¬ det werden müßten. Ich spreche lieber schließlich aus, daß, welche Schwächen diese Novität auch in der Prüfung ihrer Motive und ihres wenig psychologischen Entwicklungsganges der strengen Kritik darbieten mag, sie nicht minder durch brillante Einzelschönheiten und verfehle- 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/383>, abgerufen am 01.09.2024.