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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Conflicten führen müßte, obwohl es ganz billig wäre, wenn der Scha¬
den, den die deutsche Censur durchschnittlich anrichtet, irgendwo immer
wieder gut gemacht würde.
'

Böckhs letzte Festrede in der Akademie der Wissenschaften, einen
zeitgemäßen Gegenstand, nämlich das Verhältniß der Wissenschaft zum
Leben, behandelnd, ist jetzt im Buchhandel (Berlin, Veit u. Comp.)
erschienen. Daß sich der freisinnige Verfasser nicht auf die Seite der¬
jenigen stellen werde, die der wissenschaftlichen Theorie jede Einwir¬
kung auf den praktischen Staat versagen möchten, läßt sich leicht den¬
ken, obwohl er beiden Seiten auch ihre selbständige Berechtigung
vindicirt. "Man hat in unsern Tagen", sagt er unter Anderm, "die
Philosophie oft heruntergesetzt und das Geschichtliche, mit Ausnahme
der vielfach angefochtenen classischen Philologie, in gleichem Maße er¬
hoben; ich will die Gründe dieses Urtheils bei Seite lassen; sieht man
auf das Wesen der Sache, nicht auf die Ausschweifungen der Philo¬
sophen einerseits in's Phantastische, andererseits in's Zügellose, so wird
man, was Aristoteles von der Poesie sagt: sie sei mehr werth als
die Geschichte, weil sie das Allgemeine und folglich das Allgemeingil-
tige enthalte, mit demselben Rechte der Philosophie zusprechen müs¬
sen. Daß diese Zweige des Eckenncns, obgleich nicht mit jedem ihrer
mannichfachen Glieder, eine bedeutende, zu großem Theile allerdings
nur mittelbare Einwirkung auf das Leben äußern, davon legt außer
Anderm schon der Umstand ein Zeugniß ab, daß Diejenigen, welche
mit Kraft und Folgerichtigkeit das Leben in engeren Fesseln gebunden
halten wollen, die freie Entwickelung und Durchbildung derselben zu
hemmen und abzuwehren für angemessen halten." -- Und an
einer andern Stelle sagt er: "Nur durch den Geist kann sich das
menschliche Geschlecht vorwärts bewegen; die Thätigkeit des Geistes
ist aber das Wissen. Freilich muß dieser Geist ein heiliger sein, aber
die Heiligung liegt nicht in dem starren Dogma, sondern auch das
religiöse Bewußtsein muß sich fortwährend reinigen und verklären,
sonst würde aller Fortschritt verneint, bis eine neue Offenbarung
erschienen."

Wie wenig übrigens Deutschland gegen die Ausschweifungen der
Philosophie durch amtliches Einschreiten geschützt zu werden brauchte
und wie bald die sogenannte zügellose Richtung der Kritik sich selbst
richten würde, ist neuerdings daraus zu ersehen, daß die im Herbste
des vorigen Jahres begründete "Charlottenburger Literaturzeitung" --
wie man die von den Brüdern Bruno und Edgar Bauer herausge¬
gebene, bei Egbert Bauer in Charlottenburg erscheinende Monatsschrift
nannte, noch in diesem Jahre das Zeitliche fgesegnet hat, und zwar
lediglich aus Mangel an Abonnenten. Und so würde es - auch den
Ruge'schen Jahrbüchern ergangen sein, wenn diese Zeitschrift den Schul¬
ton, den sie in der letzten Zeit angestimmt, beibehalten, und die


Conflicten führen müßte, obwohl es ganz billig wäre, wenn der Scha¬
den, den die deutsche Censur durchschnittlich anrichtet, irgendwo immer
wieder gut gemacht würde.
'

Böckhs letzte Festrede in der Akademie der Wissenschaften, einen
zeitgemäßen Gegenstand, nämlich das Verhältniß der Wissenschaft zum
Leben, behandelnd, ist jetzt im Buchhandel (Berlin, Veit u. Comp.)
erschienen. Daß sich der freisinnige Verfasser nicht auf die Seite der¬
jenigen stellen werde, die der wissenschaftlichen Theorie jede Einwir¬
kung auf den praktischen Staat versagen möchten, läßt sich leicht den¬
ken, obwohl er beiden Seiten auch ihre selbständige Berechtigung
vindicirt. „Man hat in unsern Tagen", sagt er unter Anderm, „die
Philosophie oft heruntergesetzt und das Geschichtliche, mit Ausnahme
der vielfach angefochtenen classischen Philologie, in gleichem Maße er¬
hoben; ich will die Gründe dieses Urtheils bei Seite lassen; sieht man
auf das Wesen der Sache, nicht auf die Ausschweifungen der Philo¬
sophen einerseits in's Phantastische, andererseits in's Zügellose, so wird
man, was Aristoteles von der Poesie sagt: sie sei mehr werth als
die Geschichte, weil sie das Allgemeine und folglich das Allgemeingil-
tige enthalte, mit demselben Rechte der Philosophie zusprechen müs¬
sen. Daß diese Zweige des Eckenncns, obgleich nicht mit jedem ihrer
mannichfachen Glieder, eine bedeutende, zu großem Theile allerdings
nur mittelbare Einwirkung auf das Leben äußern, davon legt außer
Anderm schon der Umstand ein Zeugniß ab, daß Diejenigen, welche
mit Kraft und Folgerichtigkeit das Leben in engeren Fesseln gebunden
halten wollen, die freie Entwickelung und Durchbildung derselben zu
hemmen und abzuwehren für angemessen halten." — Und an
einer andern Stelle sagt er: „Nur durch den Geist kann sich das
menschliche Geschlecht vorwärts bewegen; die Thätigkeit des Geistes
ist aber das Wissen. Freilich muß dieser Geist ein heiliger sein, aber
die Heiligung liegt nicht in dem starren Dogma, sondern auch das
religiöse Bewußtsein muß sich fortwährend reinigen und verklären,
sonst würde aller Fortschritt verneint, bis eine neue Offenbarung
erschienen."

Wie wenig übrigens Deutschland gegen die Ausschweifungen der
Philosophie durch amtliches Einschreiten geschützt zu werden brauchte
und wie bald die sogenannte zügellose Richtung der Kritik sich selbst
richten würde, ist neuerdings daraus zu ersehen, daß die im Herbste
des vorigen Jahres begründete „Charlottenburger Literaturzeitung" —
wie man die von den Brüdern Bruno und Edgar Bauer herausge¬
gebene, bei Egbert Bauer in Charlottenburg erscheinende Monatsschrift
nannte, noch in diesem Jahre das Zeitliche fgesegnet hat, und zwar
lediglich aus Mangel an Abonnenten. Und so würde es - auch den
Ruge'schen Jahrbüchern ergangen sein, wenn diese Zeitschrift den Schul¬
ton, den sie in der letzten Zeit angestimmt, beibehalten, und die


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[0380] Conflicten führen müßte, obwohl es ganz billig wäre, wenn der Scha¬ den, den die deutsche Censur durchschnittlich anrichtet, irgendwo immer wieder gut gemacht würde. ' Böckhs letzte Festrede in der Akademie der Wissenschaften, einen zeitgemäßen Gegenstand, nämlich das Verhältniß der Wissenschaft zum Leben, behandelnd, ist jetzt im Buchhandel (Berlin, Veit u. Comp.) erschienen. Daß sich der freisinnige Verfasser nicht auf die Seite der¬ jenigen stellen werde, die der wissenschaftlichen Theorie jede Einwir¬ kung auf den praktischen Staat versagen möchten, läßt sich leicht den¬ ken, obwohl er beiden Seiten auch ihre selbständige Berechtigung vindicirt. „Man hat in unsern Tagen", sagt er unter Anderm, „die Philosophie oft heruntergesetzt und das Geschichtliche, mit Ausnahme der vielfach angefochtenen classischen Philologie, in gleichem Maße er¬ hoben; ich will die Gründe dieses Urtheils bei Seite lassen; sieht man auf das Wesen der Sache, nicht auf die Ausschweifungen der Philo¬ sophen einerseits in's Phantastische, andererseits in's Zügellose, so wird man, was Aristoteles von der Poesie sagt: sie sei mehr werth als die Geschichte, weil sie das Allgemeine und folglich das Allgemeingil- tige enthalte, mit demselben Rechte der Philosophie zusprechen müs¬ sen. Daß diese Zweige des Eckenncns, obgleich nicht mit jedem ihrer mannichfachen Glieder, eine bedeutende, zu großem Theile allerdings nur mittelbare Einwirkung auf das Leben äußern, davon legt außer Anderm schon der Umstand ein Zeugniß ab, daß Diejenigen, welche mit Kraft und Folgerichtigkeit das Leben in engeren Fesseln gebunden halten wollen, die freie Entwickelung und Durchbildung derselben zu hemmen und abzuwehren für angemessen halten." — Und an einer andern Stelle sagt er: „Nur durch den Geist kann sich das menschliche Geschlecht vorwärts bewegen; die Thätigkeit des Geistes ist aber das Wissen. Freilich muß dieser Geist ein heiliger sein, aber die Heiligung liegt nicht in dem starren Dogma, sondern auch das religiöse Bewußtsein muß sich fortwährend reinigen und verklären, sonst würde aller Fortschritt verneint, bis eine neue Offenbarung erschienen." Wie wenig übrigens Deutschland gegen die Ausschweifungen der Philosophie durch amtliches Einschreiten geschützt zu werden brauchte und wie bald die sogenannte zügellose Richtung der Kritik sich selbst richten würde, ist neuerdings daraus zu ersehen, daß die im Herbste des vorigen Jahres begründete „Charlottenburger Literaturzeitung" — wie man die von den Brüdern Bruno und Edgar Bauer herausge¬ gebene, bei Egbert Bauer in Charlottenburg erscheinende Monatsschrift nannte, noch in diesem Jahre das Zeitliche fgesegnet hat, und zwar lediglich aus Mangel an Abonnenten. Und so würde es - auch den Ruge'schen Jahrbüchern ergangen sein, wenn diese Zeitschrift den Schul¬ ton, den sie in der letzten Zeit angestimmt, beibehalten, und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/380>, abgerufen am 01.09.2024.