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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Jude ausbleibt, wie das israelitische Volk in der Wüste, gegen den
Jehova der Censur, der allerdings etwas saumselig ist. Die Ursache
dieses ungewöhnlichen Verfahrens gegen ein in den österreichischen
Staaten erlaubtes Blatt muß in den durch die im Sue'schen
Roman enthaltenen Episoden über die Jesuiten neucrweckten Bemüh¬
ungen einer gewissen Partei unserer Priesterschaft gesucht werden,
welche täglich an Einfluß gewinnt und in den höchsten Sphären ihre
Stimme laut werden läßt. So hielt man auch vor einigen Wochen
eine Nummer der Jllustrirten Zeitung lange Zeit zurück, indem sich
in derselben eine Schilderung des Schützenfestes in Basel und der
Abdruck der wichtigsten bei dieser Gelegenheit gehaltenen Reden befan¬
den, welches in ähnlicher Weise Anstoß erregten. Namentlich soll die
Anspielung, daß die Jesuiten sich durch Verführungskünste das Ver¬
trauen des schönen Geschlechts und mittelst derselben die Herrschaft
über die Männer zu verschaffen wissen, gar übel vermerkt worden sein.
Nach langen Berathungen fand man indeß für zur, die mcriminirte
Nummer frei zu geben, und die Zurückhaltung hatte blos dazu ge¬
dient, selbst den flüchtigsten Aeitungsleser auf den Inhalt des Blattes
gespannt zu machen.

Die erwähnte Partei entfaltet überhaupt insgeheim eine für je¬
den Freund des Lichtes höchst unheimliche Thätigkeit, und wir verdan¬
ken es lediglich der Festigkeit und Weisheit einiger Staatsmänner,
wenn die Erfolge derselben nicht allzu häusig sichtbar werden. Sie
werden gewiß davon gehört haben, wie man den ohne Widerrede höchst
geistvollen und originellen Domprediger, Dr. Veith, durch Machina¬
tionen mancherlei Art zu einem sogenannten freiwilligen Rücktritt von
seinem Posten gezwungen hat. Der Orden der Liguorianer, dem er
nach seinem Uebertritt zum Christenthum längere Zeit angehört, konnte
ihm den Austritt aus demselben niemals vergessen, und so mußten
denn einzelne Stellen aus den von ihm herausgegebenen "humoristi¬
schen Erzählungen" dazu dienen, den achtbaren, echt katholischen Mann
am geeigneten Orte zu verdächtigen. Der zeithcrige Hofprediger Sed-
laczek, gleichfalls ein geistreicher Kanzelredner, wenn auch in einem
anderen Genre, mußte nicht minder diefem Bestreben, Boden zu ge¬
winnen, weichen; nur war hier die Form eine mildere, wie es die
Umstände geboten. Hofprediger Sedlaczek, der sich unter gewissen Krei¬
sen eine an's Abgöttische streifende Verehrung errungen, wurde vor
einigen Tagen vom Wahlcapitel des Klosters Neuburg bei Wien (ei¬
ner sehr reichenAbtei mit mehr als hundert ihr unterthänigen
Dorfschaften und Grundbesitzungen in Wien selbst) zum Prälaten
erwählt. Damit ist der wichtige Posten eines Predigers bei Hofe er¬
ledigt, der nun zweckmäßig befetzt werden kann, wozu, wie man ver¬
nimmt, der bisherige Universitätsprediger ausersehen sein soll. Es läßt
sich kaum annehmen, daß ein so aufgeklärter und thätiger Priester,


Jude ausbleibt, wie das israelitische Volk in der Wüste, gegen den
Jehova der Censur, der allerdings etwas saumselig ist. Die Ursache
dieses ungewöhnlichen Verfahrens gegen ein in den österreichischen
Staaten erlaubtes Blatt muß in den durch die im Sue'schen
Roman enthaltenen Episoden über die Jesuiten neucrweckten Bemüh¬
ungen einer gewissen Partei unserer Priesterschaft gesucht werden,
welche täglich an Einfluß gewinnt und in den höchsten Sphären ihre
Stimme laut werden läßt. So hielt man auch vor einigen Wochen
eine Nummer der Jllustrirten Zeitung lange Zeit zurück, indem sich
in derselben eine Schilderung des Schützenfestes in Basel und der
Abdruck der wichtigsten bei dieser Gelegenheit gehaltenen Reden befan¬
den, welches in ähnlicher Weise Anstoß erregten. Namentlich soll die
Anspielung, daß die Jesuiten sich durch Verführungskünste das Ver¬
trauen des schönen Geschlechts und mittelst derselben die Herrschaft
über die Männer zu verschaffen wissen, gar übel vermerkt worden sein.
Nach langen Berathungen fand man indeß für zur, die mcriminirte
Nummer frei zu geben, und die Zurückhaltung hatte blos dazu ge¬
dient, selbst den flüchtigsten Aeitungsleser auf den Inhalt des Blattes
gespannt zu machen.

Die erwähnte Partei entfaltet überhaupt insgeheim eine für je¬
den Freund des Lichtes höchst unheimliche Thätigkeit, und wir verdan¬
ken es lediglich der Festigkeit und Weisheit einiger Staatsmänner,
wenn die Erfolge derselben nicht allzu häusig sichtbar werden. Sie
werden gewiß davon gehört haben, wie man den ohne Widerrede höchst
geistvollen und originellen Domprediger, Dr. Veith, durch Machina¬
tionen mancherlei Art zu einem sogenannten freiwilligen Rücktritt von
seinem Posten gezwungen hat. Der Orden der Liguorianer, dem er
nach seinem Uebertritt zum Christenthum längere Zeit angehört, konnte
ihm den Austritt aus demselben niemals vergessen, und so mußten
denn einzelne Stellen aus den von ihm herausgegebenen „humoristi¬
schen Erzählungen" dazu dienen, den achtbaren, echt katholischen Mann
am geeigneten Orte zu verdächtigen. Der zeithcrige Hofprediger Sed-
laczek, gleichfalls ein geistreicher Kanzelredner, wenn auch in einem
anderen Genre, mußte nicht minder diefem Bestreben, Boden zu ge¬
winnen, weichen; nur war hier die Form eine mildere, wie es die
Umstände geboten. Hofprediger Sedlaczek, der sich unter gewissen Krei¬
sen eine an's Abgöttische streifende Verehrung errungen, wurde vor
einigen Tagen vom Wahlcapitel des Klosters Neuburg bei Wien (ei¬
ner sehr reichenAbtei mit mehr als hundert ihr unterthänigen
Dorfschaften und Grundbesitzungen in Wien selbst) zum Prälaten
erwählt. Damit ist der wichtige Posten eines Predigers bei Hofe er¬
ledigt, der nun zweckmäßig befetzt werden kann, wozu, wie man ver¬
nimmt, der bisherige Universitätsprediger ausersehen sein soll. Es läßt
sich kaum annehmen, daß ein so aufgeklärter und thätiger Priester,


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[0376] Jude ausbleibt, wie das israelitische Volk in der Wüste, gegen den Jehova der Censur, der allerdings etwas saumselig ist. Die Ursache dieses ungewöhnlichen Verfahrens gegen ein in den österreichischen Staaten erlaubtes Blatt muß in den durch die im Sue'schen Roman enthaltenen Episoden über die Jesuiten neucrweckten Bemüh¬ ungen einer gewissen Partei unserer Priesterschaft gesucht werden, welche täglich an Einfluß gewinnt und in den höchsten Sphären ihre Stimme laut werden läßt. So hielt man auch vor einigen Wochen eine Nummer der Jllustrirten Zeitung lange Zeit zurück, indem sich in derselben eine Schilderung des Schützenfestes in Basel und der Abdruck der wichtigsten bei dieser Gelegenheit gehaltenen Reden befan¬ den, welches in ähnlicher Weise Anstoß erregten. Namentlich soll die Anspielung, daß die Jesuiten sich durch Verführungskünste das Ver¬ trauen des schönen Geschlechts und mittelst derselben die Herrschaft über die Männer zu verschaffen wissen, gar übel vermerkt worden sein. Nach langen Berathungen fand man indeß für zur, die mcriminirte Nummer frei zu geben, und die Zurückhaltung hatte blos dazu ge¬ dient, selbst den flüchtigsten Aeitungsleser auf den Inhalt des Blattes gespannt zu machen. Die erwähnte Partei entfaltet überhaupt insgeheim eine für je¬ den Freund des Lichtes höchst unheimliche Thätigkeit, und wir verdan¬ ken es lediglich der Festigkeit und Weisheit einiger Staatsmänner, wenn die Erfolge derselben nicht allzu häusig sichtbar werden. Sie werden gewiß davon gehört haben, wie man den ohne Widerrede höchst geistvollen und originellen Domprediger, Dr. Veith, durch Machina¬ tionen mancherlei Art zu einem sogenannten freiwilligen Rücktritt von seinem Posten gezwungen hat. Der Orden der Liguorianer, dem er nach seinem Uebertritt zum Christenthum längere Zeit angehört, konnte ihm den Austritt aus demselben niemals vergessen, und so mußten denn einzelne Stellen aus den von ihm herausgegebenen „humoristi¬ schen Erzählungen" dazu dienen, den achtbaren, echt katholischen Mann am geeigneten Orte zu verdächtigen. Der zeithcrige Hofprediger Sed- laczek, gleichfalls ein geistreicher Kanzelredner, wenn auch in einem anderen Genre, mußte nicht minder diefem Bestreben, Boden zu ge¬ winnen, weichen; nur war hier die Form eine mildere, wie es die Umstände geboten. Hofprediger Sedlaczek, der sich unter gewissen Krei¬ sen eine an's Abgöttische streifende Verehrung errungen, wurde vor einigen Tagen vom Wahlcapitel des Klosters Neuburg bei Wien (ei¬ ner sehr reichenAbtei mit mehr als hundert ihr unterthänigen Dorfschaften und Grundbesitzungen in Wien selbst) zum Prälaten erwählt. Damit ist der wichtige Posten eines Predigers bei Hofe er¬ ledigt, der nun zweckmäßig befetzt werden kann, wozu, wie man ver¬ nimmt, der bisherige Universitätsprediger ausersehen sein soll. Es läßt sich kaum annehmen, daß ein so aufgeklärter und thätiger Priester,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/376>, abgerufen am 01.09.2024.