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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Heuchlerische, Gemache-Vornehme, Lügnerisch-Prahlhafte, Phrasenhast-
Gemeinplätzige, Einseitige und Eigennützige der Zeit an der Wurzel
bekämpft. Das Weltgericht, die Weltgeschichte selbst, wird schon zu
Tage bringen, wer diesen echten, lebenskräftigen Radikalismus in
sich trug, oder mit ihm nur eine Schaustellung und die Aufforderung
dazu gab: Jetzt ist der wirksame Moment da! Jetzt beklatscht mich!
Und zuletzt, Ihr schweifwedelnden Löwen des Parterre, zuletzt brüllt
mich heraus!

Dies Schauspielertalent, wobei es so viel auf gute Schminke,
hohles Pathos und gespreizte Stellungen wie auf die Geschicklichkeit
ankommt, die momentane Stimmung des Publicums zu benutzen,
fehlt den Münchnern. Dies muß man ihnen zu ihrer Ehre nach¬
sagen. Es ist keine gleißnerische Dekorationsmalerei in ihrer Erschei¬
nung, und mag man auch sagen, das Holz, woraus sie gezimmert,
sei etwas knorrig und hart, so fehlt auch glücklicherweise der moderne
lügnerische und blendende Firniß, der jetzt so häufig moralischen
Wurmfraß verbergen muß. Freilich sehnt sich der norddeutsche hier
häufig nach dem Rhabarber einer norddeutschen Unterhaltung, indeß
thut es auch einmal wohl, hier ruhig am Ufer zu sitzen und das
Weltschiff mit seinen bunten Erscheinungen auf dem Strome der Zeit
vorübergleiten zu sehen, während man als Mitsegler in der Täu¬
schung befangen bleibt, als sei das feste Ufer mit seinen Gegenstän¬
den selbst in unablässiger und unruhiger Bewegung.

Der gern geheime Deutsche ist gegen jeden journalistischen Ta¬
del überaus empfindlich, etwa mit Ausnahme der Schriftsteller selbst,
gegen welche sogar die Censur die Gnade auszuüben scheint, daß
ihnen daß Recht unverkürzt bleibe, sich unter einander recht tüchtig
in injurioses Schlammwasser tauchen zu dürfen. Insofern steht der
Schriftsteller unter dem zweideutigen Schutze eines verschämten Aus¬
nahmsgesetzes. Kein Wunder, wenn auch der Münchner lieber gar
nicht, als nur in der Form des leisesten und wohlwollendsten Tadels
besprochen zu werden wünscht! Man frage indeß er Leipzig, Dres¬
den, Stuttgart oder Karlsruhe nach, ob man dort weniger empfind¬
lich sei als in München. Vielleicht macht er dieser Hinsicht vor
allen deutschen Städten nur Berlin eine rühmliche Ausnahme. Der
Berliner, so eingebildet er auch auf die theils wirklichen, theils nur
illusorischen Vorzüge seiner Stadt im Auslande erscheint, bewährt


GreWoten 1844. ki.

Heuchlerische, Gemache-Vornehme, Lügnerisch-Prahlhafte, Phrasenhast-
Gemeinplätzige, Einseitige und Eigennützige der Zeit an der Wurzel
bekämpft. Das Weltgericht, die Weltgeschichte selbst, wird schon zu
Tage bringen, wer diesen echten, lebenskräftigen Radikalismus in
sich trug, oder mit ihm nur eine Schaustellung und die Aufforderung
dazu gab: Jetzt ist der wirksame Moment da! Jetzt beklatscht mich!
Und zuletzt, Ihr schweifwedelnden Löwen des Parterre, zuletzt brüllt
mich heraus!

Dies Schauspielertalent, wobei es so viel auf gute Schminke,
hohles Pathos und gespreizte Stellungen wie auf die Geschicklichkeit
ankommt, die momentane Stimmung des Publicums zu benutzen,
fehlt den Münchnern. Dies muß man ihnen zu ihrer Ehre nach¬
sagen. Es ist keine gleißnerische Dekorationsmalerei in ihrer Erschei¬
nung, und mag man auch sagen, das Holz, woraus sie gezimmert,
sei etwas knorrig und hart, so fehlt auch glücklicherweise der moderne
lügnerische und blendende Firniß, der jetzt so häufig moralischen
Wurmfraß verbergen muß. Freilich sehnt sich der norddeutsche hier
häufig nach dem Rhabarber einer norddeutschen Unterhaltung, indeß
thut es auch einmal wohl, hier ruhig am Ufer zu sitzen und das
Weltschiff mit seinen bunten Erscheinungen auf dem Strome der Zeit
vorübergleiten zu sehen, während man als Mitsegler in der Täu¬
schung befangen bleibt, als sei das feste Ufer mit seinen Gegenstän¬
den selbst in unablässiger und unruhiger Bewegung.

Der gern geheime Deutsche ist gegen jeden journalistischen Ta¬
del überaus empfindlich, etwa mit Ausnahme der Schriftsteller selbst,
gegen welche sogar die Censur die Gnade auszuüben scheint, daß
ihnen daß Recht unverkürzt bleibe, sich unter einander recht tüchtig
in injurioses Schlammwasser tauchen zu dürfen. Insofern steht der
Schriftsteller unter dem zweideutigen Schutze eines verschämten Aus¬
nahmsgesetzes. Kein Wunder, wenn auch der Münchner lieber gar
nicht, als nur in der Form des leisesten und wohlwollendsten Tadels
besprochen zu werden wünscht! Man frage indeß er Leipzig, Dres¬
den, Stuttgart oder Karlsruhe nach, ob man dort weniger empfind¬
lich sei als in München. Vielleicht macht er dieser Hinsicht vor
allen deutschen Städten nur Berlin eine rühmliche Ausnahme. Der
Berliner, so eingebildet er auch auf die theils wirklichen, theils nur
illusorischen Vorzüge seiner Stadt im Auslande erscheint, bewährt


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[0269] Heuchlerische, Gemache-Vornehme, Lügnerisch-Prahlhafte, Phrasenhast- Gemeinplätzige, Einseitige und Eigennützige der Zeit an der Wurzel bekämpft. Das Weltgericht, die Weltgeschichte selbst, wird schon zu Tage bringen, wer diesen echten, lebenskräftigen Radikalismus in sich trug, oder mit ihm nur eine Schaustellung und die Aufforderung dazu gab: Jetzt ist der wirksame Moment da! Jetzt beklatscht mich! Und zuletzt, Ihr schweifwedelnden Löwen des Parterre, zuletzt brüllt mich heraus! Dies Schauspielertalent, wobei es so viel auf gute Schminke, hohles Pathos und gespreizte Stellungen wie auf die Geschicklichkeit ankommt, die momentane Stimmung des Publicums zu benutzen, fehlt den Münchnern. Dies muß man ihnen zu ihrer Ehre nach¬ sagen. Es ist keine gleißnerische Dekorationsmalerei in ihrer Erschei¬ nung, und mag man auch sagen, das Holz, woraus sie gezimmert, sei etwas knorrig und hart, so fehlt auch glücklicherweise der moderne lügnerische und blendende Firniß, der jetzt so häufig moralischen Wurmfraß verbergen muß. Freilich sehnt sich der norddeutsche hier häufig nach dem Rhabarber einer norddeutschen Unterhaltung, indeß thut es auch einmal wohl, hier ruhig am Ufer zu sitzen und das Weltschiff mit seinen bunten Erscheinungen auf dem Strome der Zeit vorübergleiten zu sehen, während man als Mitsegler in der Täu¬ schung befangen bleibt, als sei das feste Ufer mit seinen Gegenstän¬ den selbst in unablässiger und unruhiger Bewegung. Der gern geheime Deutsche ist gegen jeden journalistischen Ta¬ del überaus empfindlich, etwa mit Ausnahme der Schriftsteller selbst, gegen welche sogar die Censur die Gnade auszuüben scheint, daß ihnen daß Recht unverkürzt bleibe, sich unter einander recht tüchtig in injurioses Schlammwasser tauchen zu dürfen. Insofern steht der Schriftsteller unter dem zweideutigen Schutze eines verschämten Aus¬ nahmsgesetzes. Kein Wunder, wenn auch der Münchner lieber gar nicht, als nur in der Form des leisesten und wohlwollendsten Tadels besprochen zu werden wünscht! Man frage indeß er Leipzig, Dres¬ den, Stuttgart oder Karlsruhe nach, ob man dort weniger empfind¬ lich sei als in München. Vielleicht macht er dieser Hinsicht vor allen deutschen Städten nur Berlin eine rühmliche Ausnahme. Der Berliner, so eingebildet er auch auf die theils wirklichen, theils nur illusorischen Vorzüge seiner Stadt im Auslande erscheint, bewährt GreWoten 1844. ki.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/269>, abgerufen am 27.07.2024.