Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

räth doch in jedem Zuge seinen großen Meister Biofve. Die Ge¬
sichter der beiden Damen, die einander so starr und ernst ansehen,
sagen es deutlich, daß sich hier zwei große starke Männergeister in
Frauenköpfe verirrten. Sieht der eine Kopf nicht aus wie ein weib¬
licher Granvella? Mit diesem Bilde, glaube ich, wollte Bivfve, im
Gegensatz zu seinem großen berühmten Bilde, zeigen, wie mächtige
Effecte er mit wenigen Farben, mit wenigen Pinjelstrichcn, mit zwei
starren, einförmigen Figuren hervorzubringen vermöge.

In dem Carton "der Kindermord zu Bethlehem" weiß der mir un¬
bekannte Künstler das Crasse, Schauerliche seines Gegenstandes durch
unendlich viel Poesie zu mildern, ja gänzlich zu verhüllen. In wel¬
chen mannichfachen Gestalten und Gruppirungen stellt er den Schmerz
der unglücklichen Mütter dar! Man vergißt die Schrecken des fürch¬
terlichen Mordes und denkt nur den Urtiefen des Muttergesühls nach,
das sich hier auf hundertfache, aber stets verschiedene Weise offenbart.
Der hat von den Alten gelernt.

Ueberhand'ö Landschaft führt uns wieder in die Schauer des
Nordens. Darin ist er Meister, ein Steffens in Farben. Das ist
der Schauplatz der uralten skandinavischen Helden, das ist die er¬
starrte Natur, das erfrorene Italien. Einige Naben, die er immer
in seinen Wildnissen anzubringen weiß, erscheinen stets wie der in-
carnirte Spiritus loci.

G udin's Marine ist eben so kühn in ihrer Neuheit, wie gro߬
artig in ihrer Durchführung. Das Meer in seiner ursprünglichen
Freiheit, als nicht einmal die Spielzeuge der Menschen, die Schiffe,
seine himmelanstrebende Brust genirten, als noch keine Möve mit
ihrem krächzenden Lied seine Musik störte, als blos der Geist Gottes
über den Wassern schwebte. Man würde die Idee für unausführ¬
bar, für den Traum eines Grabbe halten, -- aber man stehe nur
eine Minute davor und man wird die Unterschrift selber finden. So
sprechend blickt aus den Farben der Gedanke des Künstlers Ihnen
entgegen. Doch ich erinnere mich, daß bereits Ihr Berliner Korre¬
spondent dieses Gemälde Ihnen beschrieben hat.

Sehen Sie, dies ist Alles, was bei mehrmaligem Durchwan¬
dern dieser räumlich ungeheueren Ausstellung einen bleibenderen Ein¬
druck auf mich gemacht, eine Erinnerung in mir zurückgelassen hat. Sie wer¬
den nicht verlangen, daß ich auch noch alle die Porträtshoher, Höchsterund


räth doch in jedem Zuge seinen großen Meister Biofve. Die Ge¬
sichter der beiden Damen, die einander so starr und ernst ansehen,
sagen es deutlich, daß sich hier zwei große starke Männergeister in
Frauenköpfe verirrten. Sieht der eine Kopf nicht aus wie ein weib¬
licher Granvella? Mit diesem Bilde, glaube ich, wollte Bivfve, im
Gegensatz zu seinem großen berühmten Bilde, zeigen, wie mächtige
Effecte er mit wenigen Farben, mit wenigen Pinjelstrichcn, mit zwei
starren, einförmigen Figuren hervorzubringen vermöge.

In dem Carton „der Kindermord zu Bethlehem" weiß der mir un¬
bekannte Künstler das Crasse, Schauerliche seines Gegenstandes durch
unendlich viel Poesie zu mildern, ja gänzlich zu verhüllen. In wel¬
chen mannichfachen Gestalten und Gruppirungen stellt er den Schmerz
der unglücklichen Mütter dar! Man vergißt die Schrecken des fürch¬
terlichen Mordes und denkt nur den Urtiefen des Muttergesühls nach,
das sich hier auf hundertfache, aber stets verschiedene Weise offenbart.
Der hat von den Alten gelernt.

Ueberhand'ö Landschaft führt uns wieder in die Schauer des
Nordens. Darin ist er Meister, ein Steffens in Farben. Das ist
der Schauplatz der uralten skandinavischen Helden, das ist die er¬
starrte Natur, das erfrorene Italien. Einige Naben, die er immer
in seinen Wildnissen anzubringen weiß, erscheinen stets wie der in-
carnirte Spiritus loci.

G udin's Marine ist eben so kühn in ihrer Neuheit, wie gro߬
artig in ihrer Durchführung. Das Meer in seiner ursprünglichen
Freiheit, als nicht einmal die Spielzeuge der Menschen, die Schiffe,
seine himmelanstrebende Brust genirten, als noch keine Möve mit
ihrem krächzenden Lied seine Musik störte, als blos der Geist Gottes
über den Wassern schwebte. Man würde die Idee für unausführ¬
bar, für den Traum eines Grabbe halten, — aber man stehe nur
eine Minute davor und man wird die Unterschrift selber finden. So
sprechend blickt aus den Farben der Gedanke des Künstlers Ihnen
entgegen. Doch ich erinnere mich, daß bereits Ihr Berliner Korre¬
spondent dieses Gemälde Ihnen beschrieben hat.

Sehen Sie, dies ist Alles, was bei mehrmaligem Durchwan¬
dern dieser räumlich ungeheueren Ausstellung einen bleibenderen Ein¬
druck auf mich gemacht, eine Erinnerung in mir zurückgelassen hat. Sie wer¬
den nicht verlangen, daß ich auch noch alle die Porträtshoher, Höchsterund


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181417"/>
          <p xml:id="ID_637" prev="#ID_636"> räth doch in jedem Zuge seinen großen Meister Biofve. Die Ge¬<lb/>
sichter der beiden Damen, die einander so starr und ernst ansehen,<lb/>
sagen es deutlich, daß sich hier zwei große starke Männergeister in<lb/>
Frauenköpfe verirrten. Sieht der eine Kopf nicht aus wie ein weib¬<lb/>
licher Granvella? Mit diesem Bilde, glaube ich, wollte Bivfve, im<lb/>
Gegensatz zu seinem großen berühmten Bilde, zeigen, wie mächtige<lb/>
Effecte er mit wenigen Farben, mit wenigen Pinjelstrichcn, mit zwei<lb/>
starren, einförmigen Figuren hervorzubringen vermöge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_638"> In dem Carton &#x201E;der Kindermord zu Bethlehem" weiß der mir un¬<lb/>
bekannte Künstler das Crasse, Schauerliche seines Gegenstandes durch<lb/>
unendlich viel Poesie zu mildern, ja gänzlich zu verhüllen. In wel¬<lb/>
chen mannichfachen Gestalten und Gruppirungen stellt er den Schmerz<lb/>
der unglücklichen Mütter dar! Man vergißt die Schrecken des fürch¬<lb/>
terlichen Mordes und denkt nur den Urtiefen des Muttergesühls nach,<lb/>
das sich hier auf hundertfache, aber stets verschiedene Weise offenbart.<lb/>
Der hat von den Alten gelernt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639"> Ueberhand'ö Landschaft führt uns wieder in die Schauer des<lb/>
Nordens. Darin ist er Meister, ein Steffens in Farben. Das ist<lb/>
der Schauplatz der uralten skandinavischen Helden, das ist die er¬<lb/>
starrte Natur, das erfrorene Italien. Einige Naben, die er immer<lb/>
in seinen Wildnissen anzubringen weiß, erscheinen stets wie der in-<lb/>
carnirte Spiritus loci.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_640"> G udin's Marine ist eben so kühn in ihrer Neuheit, wie gro߬<lb/>
artig in ihrer Durchführung. Das Meer in seiner ursprünglichen<lb/>
Freiheit, als nicht einmal die Spielzeuge der Menschen, die Schiffe,<lb/>
seine himmelanstrebende Brust genirten, als noch keine Möve mit<lb/>
ihrem krächzenden Lied seine Musik störte, als blos der Geist Gottes<lb/>
über den Wassern schwebte. Man würde die Idee für unausführ¬<lb/>
bar, für den Traum eines Grabbe halten, &#x2014; aber man stehe nur<lb/>
eine Minute davor und man wird die Unterschrift selber finden. So<lb/>
sprechend blickt aus den Farben der Gedanke des Künstlers Ihnen<lb/>
entgegen. Doch ich erinnere mich, daß bereits Ihr Berliner Korre¬<lb/>
spondent dieses Gemälde Ihnen beschrieben hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_641" next="#ID_642"> Sehen Sie, dies ist Alles, was bei mehrmaligem Durchwan¬<lb/>
dern dieser räumlich ungeheueren Ausstellung einen bleibenderen Ein¬<lb/>
druck auf mich gemacht, eine Erinnerung in mir zurückgelassen hat. Sie wer¬<lb/>
den nicht verlangen, daß ich auch noch alle die Porträtshoher, Höchsterund</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] räth doch in jedem Zuge seinen großen Meister Biofve. Die Ge¬ sichter der beiden Damen, die einander so starr und ernst ansehen, sagen es deutlich, daß sich hier zwei große starke Männergeister in Frauenköpfe verirrten. Sieht der eine Kopf nicht aus wie ein weib¬ licher Granvella? Mit diesem Bilde, glaube ich, wollte Bivfve, im Gegensatz zu seinem großen berühmten Bilde, zeigen, wie mächtige Effecte er mit wenigen Farben, mit wenigen Pinjelstrichcn, mit zwei starren, einförmigen Figuren hervorzubringen vermöge. In dem Carton „der Kindermord zu Bethlehem" weiß der mir un¬ bekannte Künstler das Crasse, Schauerliche seines Gegenstandes durch unendlich viel Poesie zu mildern, ja gänzlich zu verhüllen. In wel¬ chen mannichfachen Gestalten und Gruppirungen stellt er den Schmerz der unglücklichen Mütter dar! Man vergißt die Schrecken des fürch¬ terlichen Mordes und denkt nur den Urtiefen des Muttergesühls nach, das sich hier auf hundertfache, aber stets verschiedene Weise offenbart. Der hat von den Alten gelernt. Ueberhand'ö Landschaft führt uns wieder in die Schauer des Nordens. Darin ist er Meister, ein Steffens in Farben. Das ist der Schauplatz der uralten skandinavischen Helden, das ist die er¬ starrte Natur, das erfrorene Italien. Einige Naben, die er immer in seinen Wildnissen anzubringen weiß, erscheinen stets wie der in- carnirte Spiritus loci. G udin's Marine ist eben so kühn in ihrer Neuheit, wie gro߬ artig in ihrer Durchführung. Das Meer in seiner ursprünglichen Freiheit, als nicht einmal die Spielzeuge der Menschen, die Schiffe, seine himmelanstrebende Brust genirten, als noch keine Möve mit ihrem krächzenden Lied seine Musik störte, als blos der Geist Gottes über den Wassern schwebte. Man würde die Idee für unausführ¬ bar, für den Traum eines Grabbe halten, — aber man stehe nur eine Minute davor und man wird die Unterschrift selber finden. So sprechend blickt aus den Farben der Gedanke des Künstlers Ihnen entgegen. Doch ich erinnere mich, daß bereits Ihr Berliner Korre¬ spondent dieses Gemälde Ihnen beschrieben hat. Sehen Sie, dies ist Alles, was bei mehrmaligem Durchwan¬ dern dieser räumlich ungeheueren Ausstellung einen bleibenderen Ein¬ druck auf mich gemacht, eine Erinnerung in mir zurückgelassen hat. Sie wer¬ den nicht verlangen, daß ich auch noch alle die Porträtshoher, Höchsterund

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/233>, abgerufen am 01.09.2024.