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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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weder so schneidende Beredsamkeit, noch so stürmischen Feuerblick,
noch weniger beliebt eS ihm, das wohlfeile Mitleid der Welt aufzu¬
geben und ein wirklich seliges Ende zu nehmen; er weiß nicht, daß die letzten
Thränen eines sich selbst besiegenden Grams Balsam geben für an¬
dere Herzen. Die Dichterin, die wir meinen, ist außerhalb Oester¬
reichs noch viel zu wenig gewürdigt; sie nennt sich Betty Paoli.

Die Geschichte ihrer Seelenkämpfe und der Erhebung aus ihnen
hat Betty Paoli in zwei Vändchen niedergelegt" Die Lieder der
ersten Sammlung verrathen den Anfänger, noch mehr den Autodi¬
dakten. Der Inhalt wiederholt sich oft, die Form ist altmodisch; sie
geht in ihren Rhythmen, wie eine Waise in den Trauerkleidern der
lang verstorbenen Mutter, und die mythologischen Bilder kleiden sie
gar, wie der Schmuck aus den Zeiten der Großmutter. Die Arme!
Allew man bedauere nicht zu schnell. Ihre Bewegungen sind trotz¬
dem kühn und edel, ihre Blicke in das Menschenherz zeigen eine
frühgeprüfte Seele, einen gereisten stolzen Geist, der Ausdruck ist oft
von seltener Klarheit und tiefer Kraft. Endlich weiß die Dich¬
terin auch schon fremdes Seelenleben zu zeichnen und das eigene
als Theil und Bild des allgemeinen Menschenschicksals anzusehen. Als
besonders bezeichnend in diesem Bande nennen wir: "Der neueSim-
son," "Dunkle Einsamkeit," "Wahrheit in der Dichtung", "einem
Weitling" u. in. a.

Wenn in dieser erstell Sammlung die Leidenschaft noch zu per¬
sönlich, der Schmerz, ich möchte sagen, zu energisch und rhetorisch
auftritt, so zeigt uns die zweite Sammlung einen Sinn zarter Weib¬
lichkeit, die sich selbst erzogen hat. Aus den Sympathien für frem¬
des Leid ahnt man hier das persönliche; auch ein Lächeln ziert das
Lied zuweilen, und die größere Sorgfalt für melodischen Gang der
Verse läßt ein künstlerisches Streben, eine frische Lust am Leben und
Schaffen sehen, die noch schöne Früchte zu tragen verspricht. Be¬
sonders hervorzuheben sind, außer den Liebesliedern dieses Bändchens,
die "Briefe an einen Verstorbenen" und der größte Theil der Son-
nette. Aber schon im ersten Bande finden wir eine Abtheilung, die
offenbar "nach dem Gewitter" geschrieben und am besten geeignet



*) Gedichte von Bette) Paoli. 1841. -- Nach dem Gewitter. Gedichte
von Betty Paoli. 184z. Beide Sammlungen erschienen im Verlag von
Gustav Heckenast.

weder so schneidende Beredsamkeit, noch so stürmischen Feuerblick,
noch weniger beliebt eS ihm, das wohlfeile Mitleid der Welt aufzu¬
geben und ein wirklich seliges Ende zu nehmen; er weiß nicht, daß die letzten
Thränen eines sich selbst besiegenden Grams Balsam geben für an¬
dere Herzen. Die Dichterin, die wir meinen, ist außerhalb Oester¬
reichs noch viel zu wenig gewürdigt; sie nennt sich Betty Paoli.

Die Geschichte ihrer Seelenkämpfe und der Erhebung aus ihnen
hat Betty Paoli in zwei Vändchen niedergelegt» Die Lieder der
ersten Sammlung verrathen den Anfänger, noch mehr den Autodi¬
dakten. Der Inhalt wiederholt sich oft, die Form ist altmodisch; sie
geht in ihren Rhythmen, wie eine Waise in den Trauerkleidern der
lang verstorbenen Mutter, und die mythologischen Bilder kleiden sie
gar, wie der Schmuck aus den Zeiten der Großmutter. Die Arme!
Allew man bedauere nicht zu schnell. Ihre Bewegungen sind trotz¬
dem kühn und edel, ihre Blicke in das Menschenherz zeigen eine
frühgeprüfte Seele, einen gereisten stolzen Geist, der Ausdruck ist oft
von seltener Klarheit und tiefer Kraft. Endlich weiß die Dich¬
terin auch schon fremdes Seelenleben zu zeichnen und das eigene
als Theil und Bild des allgemeinen Menschenschicksals anzusehen. Als
besonders bezeichnend in diesem Bande nennen wir: „Der neueSim-
son," „Dunkle Einsamkeit," „Wahrheit in der Dichtung", „einem
Weitling" u. in. a.

Wenn in dieser erstell Sammlung die Leidenschaft noch zu per¬
sönlich, der Schmerz, ich möchte sagen, zu energisch und rhetorisch
auftritt, so zeigt uns die zweite Sammlung einen Sinn zarter Weib¬
lichkeit, die sich selbst erzogen hat. Aus den Sympathien für frem¬
des Leid ahnt man hier das persönliche; auch ein Lächeln ziert das
Lied zuweilen, und die größere Sorgfalt für melodischen Gang der
Verse läßt ein künstlerisches Streben, eine frische Lust am Leben und
Schaffen sehen, die noch schöne Früchte zu tragen verspricht. Be¬
sonders hervorzuheben sind, außer den Liebesliedern dieses Bändchens,
die „Briefe an einen Verstorbenen" und der größte Theil der Son-
nette. Aber schon im ersten Bande finden wir eine Abtheilung, die
offenbar „nach dem Gewitter" geschrieben und am besten geeignet



*) Gedichte von Bette) Paoli. 1841. — Nach dem Gewitter. Gedichte
von Betty Paoli. 184z. Beide Sammlungen erschienen im Verlag von
Gustav Heckenast.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/225>, abgerufen am 01.09.2024.