Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

legentlich wird über jenes etwas bemerkt, dagegen hauptsächlich ge¬
fragt, ob ein Buch mit neuen Gedanken günstige Leser fand. Wer
Schlosser's Arbeiten noch nicht kennt, hüte sich, daraus auf Befan¬
genheit und Mangel an Geschmack zu schließen, er sagt es vielmehr
wiederholt, daß es mit dem weit verbreiteten Ruhme gewisser Lieb¬
lingsschriftsteller im Grunde wenig auf sich habe, und daß der Bei¬
fall der gewöhnlichen großen Lesewelt von sehr geringem Werthe sei.
In einem solchen Geständnisse ist aber zugleich auch die Meinung
enthalten, daß die Geschichte nicht schon genug gethan habe, wenn
sie die Richtung und die Wirkung der Bücher auf das äußere Leben
nachweist. Schlosser's literarhistorische Abschnitte sind indeß dadurch
ganz originell geworden. Ueber den Zusammenhang der politischen
Begebenheiten mit den Erscheinungen des häuslichen Lebens sind da¬
gegen nur eingestreute Winke zu finden, die allerdings von großer
Tiefe zeigen.

Haben wir den dritten Hauptvorzug der Schlosser'schen Werke
in der Erweiterung des Gesichtskreises über die Staatsactionen hin¬
aus gefunden, so müssen wir den vierten in dem Maßstabe an¬
erkennen, den er bei der Auswahl und Beurtheilung anlegt, in sei¬
ner Richtung auf das Wesentliche, auf den innern Gehalt, auf den
Kern. Wenn von Negierung die Rede ist, gibt sein Kriterium des
Urtheils die Frage, wie sich das Volk bei ihr befand. Wenn von
einen, Charakter gehandelt wird, wägt er ihn nach seiner Moralität.
Äeußerer Prunk blendet ihn nicht, durch glänzenden Hofhalt, durch
Begünstigung schmeichelnder Schriftsteller, durch schönklingende Erlasse,
die nur auf dem Papier eristiren, läßt er sich niemals irre leiten.
Die Vornehmheit, welche sich über die Grundsätze der Sittlichkeit
hinwegsetzt, züchtigt er ohne Schonung. Mit Bitterkeit redet er vom
Mißbrauch des Namens: Volk. Lüderliche Weltleute und pedantische
Schriftsteller sind ihm ein Gräuel. "Ich habe mir", sagt er, "das un¬
dankbare Geschäft gewählt, die Prosa der Armuth, die nirgends Ver¬
theidiger findet, gegen die vielen poetischen Lobredner der Künste des
Reichthums in Schutz zu nehmen." Natürlich erscheint Vieles in einem
ganz andern Lichte, da es einen andern Standpunkt hat, als den
gewöhnlichen, und er weicht oft selbst von sehr freisinnigen Geschicht¬
schreibern ab. Ein recht schlagendes Beispiel dafür bietet seine
Beurtheilung des schwedischen Gustav III. und Arndt'ö entgegenge-


26 "

legentlich wird über jenes etwas bemerkt, dagegen hauptsächlich ge¬
fragt, ob ein Buch mit neuen Gedanken günstige Leser fand. Wer
Schlosser's Arbeiten noch nicht kennt, hüte sich, daraus auf Befan¬
genheit und Mangel an Geschmack zu schließen, er sagt es vielmehr
wiederholt, daß es mit dem weit verbreiteten Ruhme gewisser Lieb¬
lingsschriftsteller im Grunde wenig auf sich habe, und daß der Bei¬
fall der gewöhnlichen großen Lesewelt von sehr geringem Werthe sei.
In einem solchen Geständnisse ist aber zugleich auch die Meinung
enthalten, daß die Geschichte nicht schon genug gethan habe, wenn
sie die Richtung und die Wirkung der Bücher auf das äußere Leben
nachweist. Schlosser's literarhistorische Abschnitte sind indeß dadurch
ganz originell geworden. Ueber den Zusammenhang der politischen
Begebenheiten mit den Erscheinungen des häuslichen Lebens sind da¬
gegen nur eingestreute Winke zu finden, die allerdings von großer
Tiefe zeigen.

Haben wir den dritten Hauptvorzug der Schlosser'schen Werke
in der Erweiterung des Gesichtskreises über die Staatsactionen hin¬
aus gefunden, so müssen wir den vierten in dem Maßstabe an¬
erkennen, den er bei der Auswahl und Beurtheilung anlegt, in sei¬
ner Richtung auf das Wesentliche, auf den innern Gehalt, auf den
Kern. Wenn von Negierung die Rede ist, gibt sein Kriterium des
Urtheils die Frage, wie sich das Volk bei ihr befand. Wenn von
einen, Charakter gehandelt wird, wägt er ihn nach seiner Moralität.
Äeußerer Prunk blendet ihn nicht, durch glänzenden Hofhalt, durch
Begünstigung schmeichelnder Schriftsteller, durch schönklingende Erlasse,
die nur auf dem Papier eristiren, läßt er sich niemals irre leiten.
Die Vornehmheit, welche sich über die Grundsätze der Sittlichkeit
hinwegsetzt, züchtigt er ohne Schonung. Mit Bitterkeit redet er vom
Mißbrauch des Namens: Volk. Lüderliche Weltleute und pedantische
Schriftsteller sind ihm ein Gräuel. „Ich habe mir", sagt er, „das un¬
dankbare Geschäft gewählt, die Prosa der Armuth, die nirgends Ver¬
theidiger findet, gegen die vielen poetischen Lobredner der Künste des
Reichthums in Schutz zu nehmen." Natürlich erscheint Vieles in einem
ganz andern Lichte, da es einen andern Standpunkt hat, als den
gewöhnlichen, und er weicht oft selbst von sehr freisinnigen Geschicht¬
schreibern ab. Ein recht schlagendes Beispiel dafür bietet seine
Beurtheilung des schwedischen Gustav III. und Arndt'ö entgegenge-


26 »
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181391"/>
          <p xml:id="ID_569" prev="#ID_568"> legentlich wird über jenes etwas bemerkt, dagegen hauptsächlich ge¬<lb/>
fragt, ob ein Buch mit neuen Gedanken günstige Leser fand. Wer<lb/>
Schlosser's Arbeiten noch nicht kennt, hüte sich, daraus auf Befan¬<lb/>
genheit und Mangel an Geschmack zu schließen, er sagt es vielmehr<lb/>
wiederholt, daß es mit dem weit verbreiteten Ruhme gewisser Lieb¬<lb/>
lingsschriftsteller im Grunde wenig auf sich habe, und daß der Bei¬<lb/>
fall der gewöhnlichen großen Lesewelt von sehr geringem Werthe sei.<lb/>
In einem solchen Geständnisse ist aber zugleich auch die Meinung<lb/>
enthalten, daß die Geschichte nicht schon genug gethan habe, wenn<lb/>
sie die Richtung und die Wirkung der Bücher auf das äußere Leben<lb/>
nachweist. Schlosser's literarhistorische Abschnitte sind indeß dadurch<lb/>
ganz originell geworden. Ueber den Zusammenhang der politischen<lb/>
Begebenheiten mit den Erscheinungen des häuslichen Lebens sind da¬<lb/>
gegen nur eingestreute Winke zu finden, die allerdings von großer<lb/>
Tiefe zeigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_570" next="#ID_571"> Haben wir den dritten Hauptvorzug der Schlosser'schen Werke<lb/>
in der Erweiterung des Gesichtskreises über die Staatsactionen hin¬<lb/>
aus gefunden, so müssen wir den vierten in dem Maßstabe an¬<lb/>
erkennen, den er bei der Auswahl und Beurtheilung anlegt, in sei¬<lb/>
ner Richtung auf das Wesentliche, auf den innern Gehalt, auf den<lb/>
Kern. Wenn von Negierung die Rede ist, gibt sein Kriterium des<lb/>
Urtheils die Frage, wie sich das Volk bei ihr befand. Wenn von<lb/>
einen, Charakter gehandelt wird, wägt er ihn nach seiner Moralität.<lb/>
Äeußerer Prunk blendet ihn nicht, durch glänzenden Hofhalt, durch<lb/>
Begünstigung schmeichelnder Schriftsteller, durch schönklingende Erlasse,<lb/>
die nur auf dem Papier eristiren, läßt er sich niemals irre leiten.<lb/>
Die Vornehmheit, welche sich über die Grundsätze der Sittlichkeit<lb/>
hinwegsetzt, züchtigt er ohne Schonung. Mit Bitterkeit redet er vom<lb/>
Mißbrauch des Namens: Volk. Lüderliche Weltleute und pedantische<lb/>
Schriftsteller sind ihm ein Gräuel. &#x201E;Ich habe mir", sagt er, &#x201E;das un¬<lb/>
dankbare Geschäft gewählt, die Prosa der Armuth, die nirgends Ver¬<lb/>
theidiger findet, gegen die vielen poetischen Lobredner der Künste des<lb/>
Reichthums in Schutz zu nehmen." Natürlich erscheint Vieles in einem<lb/>
ganz andern Lichte, da es einen andern Standpunkt hat, als den<lb/>
gewöhnlichen, und er weicht oft selbst von sehr freisinnigen Geschicht¬<lb/>
schreibern ab. Ein recht schlagendes Beispiel dafür bietet seine<lb/>
Beurtheilung des schwedischen Gustav III. und Arndt'ö entgegenge-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 26 »</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0207] legentlich wird über jenes etwas bemerkt, dagegen hauptsächlich ge¬ fragt, ob ein Buch mit neuen Gedanken günstige Leser fand. Wer Schlosser's Arbeiten noch nicht kennt, hüte sich, daraus auf Befan¬ genheit und Mangel an Geschmack zu schließen, er sagt es vielmehr wiederholt, daß es mit dem weit verbreiteten Ruhme gewisser Lieb¬ lingsschriftsteller im Grunde wenig auf sich habe, und daß der Bei¬ fall der gewöhnlichen großen Lesewelt von sehr geringem Werthe sei. In einem solchen Geständnisse ist aber zugleich auch die Meinung enthalten, daß die Geschichte nicht schon genug gethan habe, wenn sie die Richtung und die Wirkung der Bücher auf das äußere Leben nachweist. Schlosser's literarhistorische Abschnitte sind indeß dadurch ganz originell geworden. Ueber den Zusammenhang der politischen Begebenheiten mit den Erscheinungen des häuslichen Lebens sind da¬ gegen nur eingestreute Winke zu finden, die allerdings von großer Tiefe zeigen. Haben wir den dritten Hauptvorzug der Schlosser'schen Werke in der Erweiterung des Gesichtskreises über die Staatsactionen hin¬ aus gefunden, so müssen wir den vierten in dem Maßstabe an¬ erkennen, den er bei der Auswahl und Beurtheilung anlegt, in sei¬ ner Richtung auf das Wesentliche, auf den innern Gehalt, auf den Kern. Wenn von Negierung die Rede ist, gibt sein Kriterium des Urtheils die Frage, wie sich das Volk bei ihr befand. Wenn von einen, Charakter gehandelt wird, wägt er ihn nach seiner Moralität. Äeußerer Prunk blendet ihn nicht, durch glänzenden Hofhalt, durch Begünstigung schmeichelnder Schriftsteller, durch schönklingende Erlasse, die nur auf dem Papier eristiren, läßt er sich niemals irre leiten. Die Vornehmheit, welche sich über die Grundsätze der Sittlichkeit hinwegsetzt, züchtigt er ohne Schonung. Mit Bitterkeit redet er vom Mißbrauch des Namens: Volk. Lüderliche Weltleute und pedantische Schriftsteller sind ihm ein Gräuel. „Ich habe mir", sagt er, „das un¬ dankbare Geschäft gewählt, die Prosa der Armuth, die nirgends Ver¬ theidiger findet, gegen die vielen poetischen Lobredner der Künste des Reichthums in Schutz zu nehmen." Natürlich erscheint Vieles in einem ganz andern Lichte, da es einen andern Standpunkt hat, als den gewöhnlichen, und er weicht oft selbst von sehr freisinnigen Geschicht¬ schreibern ab. Ein recht schlagendes Beispiel dafür bietet seine Beurtheilung des schwedischen Gustav III. und Arndt'ö entgegenge- 26 »

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/207
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/207>, abgerufen am 01.09.2024.