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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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laut werden ließ. Und doch gehört dies Theater selbst nach dem
Urtheil sehr feuriger Czechenfreunde keineswegs zu den guten. Der
Enthusiasmus der Böhmen konnte dasselbe kaum im letztver¬
flossenen Winter vor dem gänzlichen Untergange retten. Dergleichen
Vorfälle machen böses Blut, und so viel der Deutsche trägt -- das
hat er seit achtzehnhundert Jahren bewiesen -- zuletzt läuft ihm doch
die Galle über, und dann haust er wie ein Donnerwetter. Es sind
der eraltirten Czechen nicht viele, aber sie schaden ihrer Sache durch
Uebertreibungen und den Schein, daß sie es mit Rußland halten,
dessen Name schon dem Deutschen furchtbar ist. Zwar sträuben sie
sich gegen diesen Verdacht mit Mund und Hand und betheuern, blos
die Liebe zum russischen Brudervolke leite ihre Wünsche und Hand¬
lungen. Aber um dem Russen Bruder zu werden, muß man den
Russen Vater sein lassen, und wer wollte nicht lieber des Teufels
Großmutter in-l ctivrv nero nennen? schlauer als der weiße Czar
ist kein Fürst in Europa. Louis Philipp kühlt seine'Revolutionen
mit Feuerspritzen ab, und jener censirt seines freisinnigsten Dichters
Gedichte mit eigener Hand, um ihm auf feine Art den Mund zu
sperren. Keine slavische Autorität vergißt er mit Dosen, Ringen und
Orden zu beschenken.


"Schnell wie die Sündfluth, so ist er da,"

ein Cadecm in der Hand, mit vieldeutigen Achselzucken und Augen-
winken: Wenn ich erst Herr wäre --! Die bedeutendsten Na¬
men des Czechenthums haben russische Decorationen aufzuweisen,
während sie von Oesterreich sehr kärglich bedacht werden. So läßt
er die slavischen Literaten im vollen Sinne des Worts auf ein gol¬
denes Zeitalter hoffen. Man könnte seine Klugheit bewundern,
wenn man sie nicht verwünschen müßte. Es wäre billig zu verwun¬
dern, wie ein slavisches Volk von ihm Erlösung hoffen kann, wenn
es nicht ein eigenthümlicher Charakterzug der Slaven schiene, daß sie
wenig auf eigentlich freisinnige Institutionen im Geist der modernen
Zeit halten. Ihr Sinnen und Trachten geht nur auf Glanz nach
Außen und auf den Ruhm selbständiger Herrschaft. Höher als bis
zu dem Se-eens <mo von 1618 versteigt sich auch unter den Czechen
kein politischer Enthusiast. Damals war Böhmen, was Polen im
Jahre 1830 war, eine Aristokratenrepnblik, und ging dadurch unter,
wie Polen durch die seinige. Der höchste Stolz der Böhmen sind aber


laut werden ließ. Und doch gehört dies Theater selbst nach dem
Urtheil sehr feuriger Czechenfreunde keineswegs zu den guten. Der
Enthusiasmus der Böhmen konnte dasselbe kaum im letztver¬
flossenen Winter vor dem gänzlichen Untergange retten. Dergleichen
Vorfälle machen böses Blut, und so viel der Deutsche trägt — das
hat er seit achtzehnhundert Jahren bewiesen — zuletzt läuft ihm doch
die Galle über, und dann haust er wie ein Donnerwetter. Es sind
der eraltirten Czechen nicht viele, aber sie schaden ihrer Sache durch
Uebertreibungen und den Schein, daß sie es mit Rußland halten,
dessen Name schon dem Deutschen furchtbar ist. Zwar sträuben sie
sich gegen diesen Verdacht mit Mund und Hand und betheuern, blos
die Liebe zum russischen Brudervolke leite ihre Wünsche und Hand¬
lungen. Aber um dem Russen Bruder zu werden, muß man den
Russen Vater sein lassen, und wer wollte nicht lieber des Teufels
Großmutter in-l ctivrv nero nennen? schlauer als der weiße Czar
ist kein Fürst in Europa. Louis Philipp kühlt seine'Revolutionen
mit Feuerspritzen ab, und jener censirt seines freisinnigsten Dichters
Gedichte mit eigener Hand, um ihm auf feine Art den Mund zu
sperren. Keine slavische Autorität vergißt er mit Dosen, Ringen und
Orden zu beschenken.


„Schnell wie die Sündfluth, so ist er da,"

ein Cadecm in der Hand, mit vieldeutigen Achselzucken und Augen-
winken: Wenn ich erst Herr wäre —! Die bedeutendsten Na¬
men des Czechenthums haben russische Decorationen aufzuweisen,
während sie von Oesterreich sehr kärglich bedacht werden. So läßt
er die slavischen Literaten im vollen Sinne des Worts auf ein gol¬
denes Zeitalter hoffen. Man könnte seine Klugheit bewundern,
wenn man sie nicht verwünschen müßte. Es wäre billig zu verwun¬
dern, wie ein slavisches Volk von ihm Erlösung hoffen kann, wenn
es nicht ein eigenthümlicher Charakterzug der Slaven schiene, daß sie
wenig auf eigentlich freisinnige Institutionen im Geist der modernen
Zeit halten. Ihr Sinnen und Trachten geht nur auf Glanz nach
Außen und auf den Ruhm selbständiger Herrschaft. Höher als bis
zu dem Se-eens <mo von 1618 versteigt sich auch unter den Czechen
kein politischer Enthusiast. Damals war Böhmen, was Polen im
Jahre 1830 war, eine Aristokratenrepnblik, und ging dadurch unter,
wie Polen durch die seinige. Der höchste Stolz der Böhmen sind aber


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[0161] laut werden ließ. Und doch gehört dies Theater selbst nach dem Urtheil sehr feuriger Czechenfreunde keineswegs zu den guten. Der Enthusiasmus der Böhmen konnte dasselbe kaum im letztver¬ flossenen Winter vor dem gänzlichen Untergange retten. Dergleichen Vorfälle machen böses Blut, und so viel der Deutsche trägt — das hat er seit achtzehnhundert Jahren bewiesen — zuletzt läuft ihm doch die Galle über, und dann haust er wie ein Donnerwetter. Es sind der eraltirten Czechen nicht viele, aber sie schaden ihrer Sache durch Uebertreibungen und den Schein, daß sie es mit Rußland halten, dessen Name schon dem Deutschen furchtbar ist. Zwar sträuben sie sich gegen diesen Verdacht mit Mund und Hand und betheuern, blos die Liebe zum russischen Brudervolke leite ihre Wünsche und Hand¬ lungen. Aber um dem Russen Bruder zu werden, muß man den Russen Vater sein lassen, und wer wollte nicht lieber des Teufels Großmutter in-l ctivrv nero nennen? schlauer als der weiße Czar ist kein Fürst in Europa. Louis Philipp kühlt seine'Revolutionen mit Feuerspritzen ab, und jener censirt seines freisinnigsten Dichters Gedichte mit eigener Hand, um ihm auf feine Art den Mund zu sperren. Keine slavische Autorität vergißt er mit Dosen, Ringen und Orden zu beschenken. „Schnell wie die Sündfluth, so ist er da," ein Cadecm in der Hand, mit vieldeutigen Achselzucken und Augen- winken: Wenn ich erst Herr wäre —! Die bedeutendsten Na¬ men des Czechenthums haben russische Decorationen aufzuweisen, während sie von Oesterreich sehr kärglich bedacht werden. So läßt er die slavischen Literaten im vollen Sinne des Worts auf ein gol¬ denes Zeitalter hoffen. Man könnte seine Klugheit bewundern, wenn man sie nicht verwünschen müßte. Es wäre billig zu verwun¬ dern, wie ein slavisches Volk von ihm Erlösung hoffen kann, wenn es nicht ein eigenthümlicher Charakterzug der Slaven schiene, daß sie wenig auf eigentlich freisinnige Institutionen im Geist der modernen Zeit halten. Ihr Sinnen und Trachten geht nur auf Glanz nach Außen und auf den Ruhm selbständiger Herrschaft. Höher als bis zu dem Se-eens <mo von 1618 versteigt sich auch unter den Czechen kein politischer Enthusiast. Damals war Böhmen, was Polen im Jahre 1830 war, eine Aristokratenrepnblik, und ging dadurch unter, wie Polen durch die seinige. Der höchste Stolz der Böhmen sind aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/161>, abgerufen am 01.09.2024.