Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.Leben. Oben zwitscherten die Vögel und jagten sich, unten liefen die Also allein sind wir, allein mit den Kindern großer Geister! Leben. Oben zwitscherten die Vögel und jagten sich, unten liefen die Also allein sind wir, allein mit den Kindern großer Geister! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181336"/> <p xml:id="ID_459" prev="#ID_458"> Leben. Oben zwitscherten die Vögel und jagten sich, unten liefen die<lb/> Menschen umher, theils flcmirend, theils in Geschäften. Hier sauste<lb/> ein Cabriolet, dort rollte eine glänzende Equipage vorüber, zuweilen<lb/> kam eine Droschke angestolpert. Was soll ich anfangen? . . . Halt!<lb/> Mir fällt etwas ein, und rasch in der Ausführung meiner Gedan¬<lb/> ken, laufe ich einen ältlichen Herrn um, der wahrscheinlich in der<lb/> Verdauung beschäftigt war, denn er klopfte sich im Dreiviertel-Tact<lb/> auf den Bauch. Er brummt und betrachtet seine rehfarbener Bein¬<lb/> kleider, die ich wahrscheinlich beschmutzt habe, aber ich bin schon drü¬<lb/> ben bei Crantzler. Noch ein Paar Schritte, und wir stehen vor einem<lb/> Hause, dessen Balkon von vier großen Säulen getragen wird. Hier<lb/> wohnt Jemand, dem mein Leser manche heitere Stunde, manches<lb/> Lächeln, manche Thräne verdankt. Hier wohnt das „Kind", Bettina,<lb/> Frau von Arnim. Gehen wir zu ihr? Nein. Ich habe geklingelt,<lb/> und die Thüre springt auf. Der Portier steckt seinen Kopf zum<lb/> Fenster heraus, und ich sage ihm: Zur Gemäldegalerie des Grafen<lb/> Raczynski. Er will mir den Weg zeigen, aber ich kenne ihn schon<lb/> und bin längst auf dem Hofe. Ich steige die Treppe eines Hinter¬<lb/> gebäudes hinauf, trete ungehindert, von Niemand bemerkt, über einen<lb/> langen Corridor in die Galerie. — Ich mußte heute durchaus Bil¬<lb/> der sehen, und hier bin ich ungestört. Es ist Niemand da, außer<lb/> mir und meinem gütigen Leser, der gewiß neugierig genug war, mir<lb/> zu folgen. Wie kommt das aber? Es kostet hier kein Euer<Ze, man<lb/> ist ungenirt, es sind schöne, weltberühmte Bilder hier, und Niemand,<lb/> der sie betrachtet. Wie das kommt? Ganz natürlich. Es ist nicht<lb/> Mode, zu Raczynski zu gehen; es sind keine Menschen dort, man<lb/> kann nicht sehen und gesehen werden, warum sollte man hingehen?<lb/> Der Paar lumpigen Bilder wegen? Oh! das lohnt nicht der Mühe;<lb/> man hat so hübsche Bilder jetzt, ... in den Taschenbüchern z. B.,<lb/> nicht der Illustrationen zum ewigen Juden zu gedenken.</p><lb/> <p xml:id="ID_460" next="#ID_461"> Also allein sind wir, allein mit den Kindern großer Geister!<lb/> Den Hut ab! und leise aufgetreten ! wir nahen uns der letzten Schö¬<lb/> pfung eines großen Künstlers. Das sind „Leopold Robert's<lb/> Schnitter", das Bild, vor dem er eines Tages todt gefunden<lb/> wurde. Die Pistole lag neben ihm; das zerschmetterte Hirn klebte<lb/> an den Wänden, die Hand hatte krampfhaft die Brust gepackt, ein<lb/> der Stelle, wo das Herz saß, und während seine Seele zu Raphael s</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
Leben. Oben zwitscherten die Vögel und jagten sich, unten liefen die
Menschen umher, theils flcmirend, theils in Geschäften. Hier sauste
ein Cabriolet, dort rollte eine glänzende Equipage vorüber, zuweilen
kam eine Droschke angestolpert. Was soll ich anfangen? . . . Halt!
Mir fällt etwas ein, und rasch in der Ausführung meiner Gedan¬
ken, laufe ich einen ältlichen Herrn um, der wahrscheinlich in der
Verdauung beschäftigt war, denn er klopfte sich im Dreiviertel-Tact
auf den Bauch. Er brummt und betrachtet seine rehfarbener Bein¬
kleider, die ich wahrscheinlich beschmutzt habe, aber ich bin schon drü¬
ben bei Crantzler. Noch ein Paar Schritte, und wir stehen vor einem
Hause, dessen Balkon von vier großen Säulen getragen wird. Hier
wohnt Jemand, dem mein Leser manche heitere Stunde, manches
Lächeln, manche Thräne verdankt. Hier wohnt das „Kind", Bettina,
Frau von Arnim. Gehen wir zu ihr? Nein. Ich habe geklingelt,
und die Thüre springt auf. Der Portier steckt seinen Kopf zum
Fenster heraus, und ich sage ihm: Zur Gemäldegalerie des Grafen
Raczynski. Er will mir den Weg zeigen, aber ich kenne ihn schon
und bin längst auf dem Hofe. Ich steige die Treppe eines Hinter¬
gebäudes hinauf, trete ungehindert, von Niemand bemerkt, über einen
langen Corridor in die Galerie. — Ich mußte heute durchaus Bil¬
der sehen, und hier bin ich ungestört. Es ist Niemand da, außer
mir und meinem gütigen Leser, der gewiß neugierig genug war, mir
zu folgen. Wie kommt das aber? Es kostet hier kein Euer<Ze, man
ist ungenirt, es sind schöne, weltberühmte Bilder hier, und Niemand,
der sie betrachtet. Wie das kommt? Ganz natürlich. Es ist nicht
Mode, zu Raczynski zu gehen; es sind keine Menschen dort, man
kann nicht sehen und gesehen werden, warum sollte man hingehen?
Der Paar lumpigen Bilder wegen? Oh! das lohnt nicht der Mühe;
man hat so hübsche Bilder jetzt, ... in den Taschenbüchern z. B.,
nicht der Illustrationen zum ewigen Juden zu gedenken.
Also allein sind wir, allein mit den Kindern großer Geister!
Den Hut ab! und leise aufgetreten ! wir nahen uns der letzten Schö¬
pfung eines großen Künstlers. Das sind „Leopold Robert's
Schnitter", das Bild, vor dem er eines Tages todt gefunden
wurde. Die Pistole lag neben ihm; das zerschmetterte Hirn klebte
an den Wänden, die Hand hatte krampfhaft die Brust gepackt, ein
der Stelle, wo das Herz saß, und während seine Seele zu Raphael s
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