Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Draußen regnete es, und der Wind ließ sich vernehmen; durch die
Fenster sah ich einen blaßhellen Streifen gegen Osten, der in dieser
Jahreszeit aber den Aufgang der Sonne noch nicht anzeigen konnte.

Mir war's, als hatte ich ein Vorgefühl merkwürdiger Dinge, die
da kommen sollten, doch blieb ich im Bett der Kälte wegen, die in
den letzten Tagen des October auf den höheren Gebirgspunkten
schon empfindlich ist. Ich warf mich hin und her und begriff mei¬
nen eigenen Zustand nicht, als plötzlich gegen 3 Uhr der erste neue
Stoß erfolgte, der mit einem heftigen Getöse das auf Felsen gebaute
Haus in seinen Grundfesten erschütterte, mich beinahe aus dem Bett
warf, die Wandmauer, an der dasselbe stand, von oben bis unten
spaltete, und den Mörtel überall herumstreute. Die Thüren öffneten
sich dabei von selbst, und Ratten und Mäuse kamen überall hervor
und pfiffen und schrien!

Ich hatte mich emporgerichtet, um, falls diesem Stoß, welcher
mehrere'Sekunden anhielt, noch ein ähnlicher nachfolgen sollte, das
Lager zu verlassen, Auge und Ohr für die merkwürdige Naturer¬
scheinung gefaßt offen haltend, als nach ungefähr 3 Minuten eine
neue Erschütterung, jedoch schwächer, sich wahrnehmen ließ und von
da ab noch eine Menge mitunter ganz leiser Oscillationen, als wenn
die ausgehobene Erde sich wieder in ihren Angeln festsetzen wollte,
dieselbe bewegten.

Im Hause war Alles wach geworden. Ich hörte das Schreien,
Weinen und Beten des Gesindes und der Bauern im Hofe, und
jetzt kamen auch der Prinz P. und der Baron Se. mit Lichtern her¬
bei, um sich von meinem Dasein zu überzeugen. Sie verwunderten
sich sehr, mich nicht gleichfalls angstvoll auf den Beinen zu finden,
spendeten meinem Muth das ihm gebührende Lob, welches derselbe
hiemit auch bei Ihnen in Anspruch nimmt, -- mit zu beben, wenn
die Erde bebt, passirt sonst wohl noch Stärkeren, und Sie müssen
bedenken, daß ich ein Neuling bei dem Schauspiel war -- und
überhoben mich dann vollends der Nothwendigkeit, aufzustehn, in¬
dem sie die aus ihrem Schloß gesprungene Thür wieder verschlossen.

Allgemach beruhigte sich darauf der Tumult im Hause sowohl
wie in der Natur und auch ich schlief nun noch ruhig fort bis 8
Uhr Morgens. Beim Erwachen fand ich einen ziemlich dichten Nebel
auf Berg und Thal gelagert, dazwischen Regen und auch Sonnen-


Draußen regnete es, und der Wind ließ sich vernehmen; durch die
Fenster sah ich einen blaßhellen Streifen gegen Osten, der in dieser
Jahreszeit aber den Aufgang der Sonne noch nicht anzeigen konnte.

Mir war's, als hatte ich ein Vorgefühl merkwürdiger Dinge, die
da kommen sollten, doch blieb ich im Bett der Kälte wegen, die in
den letzten Tagen des October auf den höheren Gebirgspunkten
schon empfindlich ist. Ich warf mich hin und her und begriff mei¬
nen eigenen Zustand nicht, als plötzlich gegen 3 Uhr der erste neue
Stoß erfolgte, der mit einem heftigen Getöse das auf Felsen gebaute
Haus in seinen Grundfesten erschütterte, mich beinahe aus dem Bett
warf, die Wandmauer, an der dasselbe stand, von oben bis unten
spaltete, und den Mörtel überall herumstreute. Die Thüren öffneten
sich dabei von selbst, und Ratten und Mäuse kamen überall hervor
und pfiffen und schrien!

Ich hatte mich emporgerichtet, um, falls diesem Stoß, welcher
mehrere'Sekunden anhielt, noch ein ähnlicher nachfolgen sollte, das
Lager zu verlassen, Auge und Ohr für die merkwürdige Naturer¬
scheinung gefaßt offen haltend, als nach ungefähr 3 Minuten eine
neue Erschütterung, jedoch schwächer, sich wahrnehmen ließ und von
da ab noch eine Menge mitunter ganz leiser Oscillationen, als wenn
die ausgehobene Erde sich wieder in ihren Angeln festsetzen wollte,
dieselbe bewegten.

Im Hause war Alles wach geworden. Ich hörte das Schreien,
Weinen und Beten des Gesindes und der Bauern im Hofe, und
jetzt kamen auch der Prinz P. und der Baron Se. mit Lichtern her¬
bei, um sich von meinem Dasein zu überzeugen. Sie verwunderten
sich sehr, mich nicht gleichfalls angstvoll auf den Beinen zu finden,
spendeten meinem Muth das ihm gebührende Lob, welches derselbe
hiemit auch bei Ihnen in Anspruch nimmt, — mit zu beben, wenn
die Erde bebt, passirt sonst wohl noch Stärkeren, und Sie müssen
bedenken, daß ich ein Neuling bei dem Schauspiel war — und
überhoben mich dann vollends der Nothwendigkeit, aufzustehn, in¬
dem sie die aus ihrem Schloß gesprungene Thür wieder verschlossen.

Allgemach beruhigte sich darauf der Tumult im Hause sowohl
wie in der Natur und auch ich schlief nun noch ruhig fort bis 8
Uhr Morgens. Beim Erwachen fand ich einen ziemlich dichten Nebel
auf Berg und Thal gelagert, dazwischen Regen und auch Sonnen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180638"/>
            <p xml:id="ID_155" prev="#ID_154"> Draußen regnete es, und der Wind ließ sich vernehmen; durch die<lb/>
Fenster sah ich einen blaßhellen Streifen gegen Osten, der in dieser<lb/>
Jahreszeit aber den Aufgang der Sonne noch nicht anzeigen konnte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_156"> Mir war's, als hatte ich ein Vorgefühl merkwürdiger Dinge, die<lb/>
da kommen sollten, doch blieb ich im Bett der Kälte wegen, die in<lb/>
den letzten Tagen des October auf den höheren Gebirgspunkten<lb/>
schon empfindlich ist. Ich warf mich hin und her und begriff mei¬<lb/>
nen eigenen Zustand nicht, als plötzlich gegen 3 Uhr der erste neue<lb/>
Stoß erfolgte, der mit einem heftigen Getöse das auf Felsen gebaute<lb/>
Haus in seinen Grundfesten erschütterte, mich beinahe aus dem Bett<lb/>
warf, die Wandmauer, an der dasselbe stand, von oben bis unten<lb/>
spaltete, und den Mörtel überall herumstreute. Die Thüren öffneten<lb/>
sich dabei von selbst, und Ratten und Mäuse kamen überall hervor<lb/>
und pfiffen und schrien!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_157"> Ich hatte mich emporgerichtet, um, falls diesem Stoß, welcher<lb/>
mehrere'Sekunden anhielt, noch ein ähnlicher nachfolgen sollte, das<lb/>
Lager zu verlassen, Auge und Ohr für die merkwürdige Naturer¬<lb/>
scheinung gefaßt offen haltend, als nach ungefähr 3 Minuten eine<lb/>
neue Erschütterung, jedoch schwächer, sich wahrnehmen ließ und von<lb/>
da ab noch eine Menge mitunter ganz leiser Oscillationen, als wenn<lb/>
die ausgehobene Erde sich wieder in ihren Angeln festsetzen wollte,<lb/>
dieselbe bewegten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_158"> Im Hause war Alles wach geworden. Ich hörte das Schreien,<lb/>
Weinen und Beten des Gesindes und der Bauern im Hofe, und<lb/>
jetzt kamen auch der Prinz P. und der Baron Se. mit Lichtern her¬<lb/>
bei, um sich von meinem Dasein zu überzeugen. Sie verwunderten<lb/>
sich sehr, mich nicht gleichfalls angstvoll auf den Beinen zu finden,<lb/>
spendeten meinem Muth das ihm gebührende Lob, welches derselbe<lb/>
hiemit auch bei Ihnen in Anspruch nimmt, &#x2014; mit zu beben, wenn<lb/>
die Erde bebt, passirt sonst wohl noch Stärkeren, und Sie müssen<lb/>
bedenken, daß ich ein Neuling bei dem Schauspiel war &#x2014; und<lb/>
überhoben mich dann vollends der Nothwendigkeit, aufzustehn, in¬<lb/>
dem sie die aus ihrem Schloß gesprungene Thür wieder verschlossen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_159" next="#ID_160"> Allgemach beruhigte sich darauf der Tumult im Hause sowohl<lb/>
wie in der Natur und auch ich schlief nun noch ruhig fort bis 8<lb/>
Uhr Morgens. Beim Erwachen fand ich einen ziemlich dichten Nebel<lb/>
auf Berg und Thal gelagert, dazwischen Regen und auch Sonnen-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] Draußen regnete es, und der Wind ließ sich vernehmen; durch die Fenster sah ich einen blaßhellen Streifen gegen Osten, der in dieser Jahreszeit aber den Aufgang der Sonne noch nicht anzeigen konnte. Mir war's, als hatte ich ein Vorgefühl merkwürdiger Dinge, die da kommen sollten, doch blieb ich im Bett der Kälte wegen, die in den letzten Tagen des October auf den höheren Gebirgspunkten schon empfindlich ist. Ich warf mich hin und her und begriff mei¬ nen eigenen Zustand nicht, als plötzlich gegen 3 Uhr der erste neue Stoß erfolgte, der mit einem heftigen Getöse das auf Felsen gebaute Haus in seinen Grundfesten erschütterte, mich beinahe aus dem Bett warf, die Wandmauer, an der dasselbe stand, von oben bis unten spaltete, und den Mörtel überall herumstreute. Die Thüren öffneten sich dabei von selbst, und Ratten und Mäuse kamen überall hervor und pfiffen und schrien! Ich hatte mich emporgerichtet, um, falls diesem Stoß, welcher mehrere'Sekunden anhielt, noch ein ähnlicher nachfolgen sollte, das Lager zu verlassen, Auge und Ohr für die merkwürdige Naturer¬ scheinung gefaßt offen haltend, als nach ungefähr 3 Minuten eine neue Erschütterung, jedoch schwächer, sich wahrnehmen ließ und von da ab noch eine Menge mitunter ganz leiser Oscillationen, als wenn die ausgehobene Erde sich wieder in ihren Angeln festsetzen wollte, dieselbe bewegten. Im Hause war Alles wach geworden. Ich hörte das Schreien, Weinen und Beten des Gesindes und der Bauern im Hofe, und jetzt kamen auch der Prinz P. und der Baron Se. mit Lichtern her¬ bei, um sich von meinem Dasein zu überzeugen. Sie verwunderten sich sehr, mich nicht gleichfalls angstvoll auf den Beinen zu finden, spendeten meinem Muth das ihm gebührende Lob, welches derselbe hiemit auch bei Ihnen in Anspruch nimmt, — mit zu beben, wenn die Erde bebt, passirt sonst wohl noch Stärkeren, und Sie müssen bedenken, daß ich ein Neuling bei dem Schauspiel war — und überhoben mich dann vollends der Nothwendigkeit, aufzustehn, in¬ dem sie die aus ihrem Schloß gesprungene Thür wieder verschlossen. Allgemach beruhigte sich darauf der Tumult im Hause sowohl wie in der Natur und auch ich schlief nun noch ruhig fort bis 8 Uhr Morgens. Beim Erwachen fand ich einen ziemlich dichten Nebel auf Berg und Thal gelagert, dazwischen Regen und auch Sonnen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/79>, abgerufen am 23.07.2024.