Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.Königsdynastie nicht verdrängt und in den Hintergrund geschoben. Königsdynastie nicht verdrängt und in den Hintergrund geschoben. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0071" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180630"/> <p xml:id="ID_136" prev="#ID_135" next="#ID_137"> Königsdynastie nicht verdrängt und in den Hintergrund geschoben.<lb/> Während die Volkshaufen in den Straßen bivouakirten, während man die<lb/> neue Constitution des Landes besprach und die Selbständigkeit dessel¬<lb/> ben verlangte, discutirten die jungen Maler über die Reconstituirung<lb/> der alten flamändischen Schule und verschworen sich zur Unabhängigkeit<lb/> von dem bisherigen Regime. Das Glück, welches die politische Revolu-<lb/> tion der Belgier krönte, stachelte die Geister zu Wagstücken aller Art, das<lb/> Selbstvertrauen war zurückgekehrt, Nationalität! war das begeisternde<lb/> Losungswort der Generation geworden, die Blicke wurden in die<lb/> Vergangenheit zurückgeworfen, man suchte nach Geschichte und nach<lb/> Brücken zur Verbindung zwischen der Gegenwart und den glorreich¬<lb/> sten Epochen von ehemals. Man fing wieder an, die reichen strah¬<lb/> lenden Gemälde der alten Meister zu studiren; man suchte hinter das<lb/> Geheimniß ihrer mannigfachen uno prächtigen Farbentöne, ihrer so<lb/> tiefen, so bezaubernden Harmonie zu kommen. Die Kirchen mit ihren<lb/> reichen Gemälden lind das Museum zu Antwerpen mit seinen kostbaren<lb/> Schätzen wurden nie leer. Drei volle Jahre dauerte dieser Enthusiasmus,<lb/> und die Zeit kam heran, wo die erste Brüsseler Ausstellung nach der<lb/> Revolution (die vom Jahre 1833), eröffnet wurde. Ein neues Schau¬<lb/> spiel bot sich dar, nicht minder merkwürdig, als das frühere; eine<lb/> zügellose Reaction der Coloristen, von der es schwer ist, eine Vor¬<lb/> stellung zu geben, das Erzeugnis? einer bis zum Schwindel feurigen,<lb/> ja rasenden Jugend, die unter dem Panier der romantischen Schule,<lb/> — ein Ausdruck so vieldeutig als verworren — die letzten Ueberreste der<lb/> von den Nachzüglern der classischen Kunst, d.h.der David'schen Schule,<lb/> aus dem Felde schlagen wollte. Mit einem unglaublichen Enthusias¬<lb/> mus hatte man sich wieder an Rubens geschlossen; freilich hätte man<lb/> gut gethan, wenn man mit dem Bestreben, die Rubens'sche Färbung<lb/> sich anzueignen, auch das Studium des Rubens'schen Zeichnens ver¬<lb/> einigt hätte. Aber leider machte sich jene Kunstjugend mit einer sehr<lb/> unvollständigen Einsicht in die Zeichnung ihres Vorbildes, und mit<lb/> einer oberflächlichen und übertriebenen Vorliebe für seine Farbe an's Werk.<lb/> Die meisten Bilder dieser Ausstellung glichen bloßen Farbenbrettern,<lb/> denen die Form fehlt, nicht blos die ideale, die Poesie der Form,<lb/> sondern oft sogar die sinnliche, die blos äußerliche Gestalt<lb/> und ihre Verhältnisse. Es war aber die Reaction, die sich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0071]
Königsdynastie nicht verdrängt und in den Hintergrund geschoben.
Während die Volkshaufen in den Straßen bivouakirten, während man die
neue Constitution des Landes besprach und die Selbständigkeit dessel¬
ben verlangte, discutirten die jungen Maler über die Reconstituirung
der alten flamändischen Schule und verschworen sich zur Unabhängigkeit
von dem bisherigen Regime. Das Glück, welches die politische Revolu-
tion der Belgier krönte, stachelte die Geister zu Wagstücken aller Art, das
Selbstvertrauen war zurückgekehrt, Nationalität! war das begeisternde
Losungswort der Generation geworden, die Blicke wurden in die
Vergangenheit zurückgeworfen, man suchte nach Geschichte und nach
Brücken zur Verbindung zwischen der Gegenwart und den glorreich¬
sten Epochen von ehemals. Man fing wieder an, die reichen strah¬
lenden Gemälde der alten Meister zu studiren; man suchte hinter das
Geheimniß ihrer mannigfachen uno prächtigen Farbentöne, ihrer so
tiefen, so bezaubernden Harmonie zu kommen. Die Kirchen mit ihren
reichen Gemälden lind das Museum zu Antwerpen mit seinen kostbaren
Schätzen wurden nie leer. Drei volle Jahre dauerte dieser Enthusiasmus,
und die Zeit kam heran, wo die erste Brüsseler Ausstellung nach der
Revolution (die vom Jahre 1833), eröffnet wurde. Ein neues Schau¬
spiel bot sich dar, nicht minder merkwürdig, als das frühere; eine
zügellose Reaction der Coloristen, von der es schwer ist, eine Vor¬
stellung zu geben, das Erzeugnis? einer bis zum Schwindel feurigen,
ja rasenden Jugend, die unter dem Panier der romantischen Schule,
— ein Ausdruck so vieldeutig als verworren — die letzten Ueberreste der
von den Nachzüglern der classischen Kunst, d.h.der David'schen Schule,
aus dem Felde schlagen wollte. Mit einem unglaublichen Enthusias¬
mus hatte man sich wieder an Rubens geschlossen; freilich hätte man
gut gethan, wenn man mit dem Bestreben, die Rubens'sche Färbung
sich anzueignen, auch das Studium des Rubens'schen Zeichnens ver¬
einigt hätte. Aber leider machte sich jene Kunstjugend mit einer sehr
unvollständigen Einsicht in die Zeichnung ihres Vorbildes, und mit
einer oberflächlichen und übertriebenen Vorliebe für seine Farbe an's Werk.
Die meisten Bilder dieser Ausstellung glichen bloßen Farbenbrettern,
denen die Form fehlt, nicht blos die ideale, die Poesie der Form,
sondern oft sogar die sinnliche, die blos äußerliche Gestalt
und ihre Verhältnisse. Es war aber die Reaction, die sich
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