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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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daß wir selbst slavisch sind. Man lese nur den neuesten Bericht aus
Gratz in der Augsb. Allgemeinen. Dort heißt es wörtlich: "Als
nun der deutsche Freiherr Hammer-Purgstall sich für "Gratz" er¬
klärte" -- diese Erklärung war allerdings schon eine halbe Undeutsch-
heit! -- "und auf diese Autorität hin die oberste Behörde des deut¬
schen Herzogthums den Beschluß faßte, hinfort "Gratz" zur amtlichen
Benennung der Hauptstadt zu erheben, da kicherte ein freudiges Lä¬
cheln von einem Hauptsitz des Slavismus zum andern. Unmittelbar
darauf brachte die Wiener Zeitung bereitwilligst eine Abhandlung:
"Gratz, eine Colonie der Slaven!" worin durch das Zeugniß Schaf-
farik's bewiesen wurde, nicht nur der Name der Hauptstadt, sondern
der des ganzen Landes sei slavisch. Endlich ist eine Geschichte Steier-
mark's in slovenischer Sprache von Krempl erschienen!" -- Sieht
der Berichterstatter nicht ein, daß alle diese Calamitaten nur eine
Strafe des Himmels sind für den langweiligen, echt deutschen Streit
über "Gratz oder Gratz"? Der Slavismus würde kein "freudiges
Lächeln kichern" lassen, wenn er nicht sähe, d.,ß wir so ungeheueres
Gewicht auf Namen und Buchstaben legen. Und wenn Gratz auch
winklich früher eine slavische Colonie war, und wenn der Name
Gratz ein stockslavischer ist, folgt etwa das Geringste daraus gegen
die Existenz des deutschen Volkes in Steiermark? --

-- Von ganz anderer Art ist ein Zeichen der Zeit, das uns aus
Wien berichtet wird und, so charakteristisch es ist, bis jetzt doch nir¬
gends beachtet wurde. Die Slaven, die in Wien aus allen Provin¬
zen zusammenströmen, Czechen, Slovaken, Russen, Serben, Polen,
Zllyrier; die in der deutschen Kaiserstadt nicht ihre speciellen volks-
thümlichen Unterschiede, nur ihre Gemeinsamkeit als Slaven überhaupt
fühlen und sich deshalb eng an einander schließen, wollten ein Mu¬
seum, nach Art des juridisch-politischen Lesevereins, gründen. Die
Regierung verweigerte nam die Erlaubniß dazu. Da öffnete der rus¬
sische Gesandte den Slaven sein Palais und räumte ihnen einen Saal
ein, wo sie alle slavischen Journale finden könnten, -- natürlich gra¬
tis. Dieser Vorfall ist gewiß nur ein kleines Beispiel von dem, was
sich im Großen und Geheimen hundertmal begeben mag. Wird und
kann die österreichische Regierung dem russischen Gesandten jene poli¬
tische Gastfreundschaft verbieten? Oder wird sie Repressalien ergreifen
und dem österreichischen Gesandten in Se. Petersburg einen Wink
geben, dort die Polen an sich zu ziehen und zu protegiren? Gewiß
wird sie weder das Eine, noch das Andere thun. Wer aber in dem
politischen Kampf gegen Rußland bestehen will, muß sich ganz auf
die Seite der Freiheit stellen; sonst kämpft er mit ungleichen Waffen.
Rußland kennt nicht die halben Maßregeln, nicht die Rücksichten un¬
serer altersschwachen Diplomatie und ist daher Allen überlegen, o,e


daß wir selbst slavisch sind. Man lese nur den neuesten Bericht aus
Gratz in der Augsb. Allgemeinen. Dort heißt es wörtlich: „Als
nun der deutsche Freiherr Hammer-Purgstall sich für „Gratz" er¬
klärte" — diese Erklärung war allerdings schon eine halbe Undeutsch-
heit! — „und auf diese Autorität hin die oberste Behörde des deut¬
schen Herzogthums den Beschluß faßte, hinfort „Gratz" zur amtlichen
Benennung der Hauptstadt zu erheben, da kicherte ein freudiges Lä¬
cheln von einem Hauptsitz des Slavismus zum andern. Unmittelbar
darauf brachte die Wiener Zeitung bereitwilligst eine Abhandlung:
„Gratz, eine Colonie der Slaven!" worin durch das Zeugniß Schaf-
farik's bewiesen wurde, nicht nur der Name der Hauptstadt, sondern
der des ganzen Landes sei slavisch. Endlich ist eine Geschichte Steier-
mark's in slovenischer Sprache von Krempl erschienen!" — Sieht
der Berichterstatter nicht ein, daß alle diese Calamitaten nur eine
Strafe des Himmels sind für den langweiligen, echt deutschen Streit
über „Gratz oder Gratz"? Der Slavismus würde kein „freudiges
Lächeln kichern" lassen, wenn er nicht sähe, d.,ß wir so ungeheueres
Gewicht auf Namen und Buchstaben legen. Und wenn Gratz auch
winklich früher eine slavische Colonie war, und wenn der Name
Gratz ein stockslavischer ist, folgt etwa das Geringste daraus gegen
die Existenz des deutschen Volkes in Steiermark? —

— Von ganz anderer Art ist ein Zeichen der Zeit, das uns aus
Wien berichtet wird und, so charakteristisch es ist, bis jetzt doch nir¬
gends beachtet wurde. Die Slaven, die in Wien aus allen Provin¬
zen zusammenströmen, Czechen, Slovaken, Russen, Serben, Polen,
Zllyrier; die in der deutschen Kaiserstadt nicht ihre speciellen volks-
thümlichen Unterschiede, nur ihre Gemeinsamkeit als Slaven überhaupt
fühlen und sich deshalb eng an einander schließen, wollten ein Mu¬
seum, nach Art des juridisch-politischen Lesevereins, gründen. Die
Regierung verweigerte nam die Erlaubniß dazu. Da öffnete der rus¬
sische Gesandte den Slaven sein Palais und räumte ihnen einen Saal
ein, wo sie alle slavischen Journale finden könnten, — natürlich gra¬
tis. Dieser Vorfall ist gewiß nur ein kleines Beispiel von dem, was
sich im Großen und Geheimen hundertmal begeben mag. Wird und
kann die österreichische Regierung dem russischen Gesandten jene poli¬
tische Gastfreundschaft verbieten? Oder wird sie Repressalien ergreifen
und dem österreichischen Gesandten in Se. Petersburg einen Wink
geben, dort die Polen an sich zu ziehen und zu protegiren? Gewiß
wird sie weder das Eine, noch das Andere thun. Wer aber in dem
politischen Kampf gegen Rußland bestehen will, muß sich ganz auf
die Seite der Freiheit stellen; sonst kämpft er mit ungleichen Waffen.
Rußland kennt nicht die halben Maßregeln, nicht die Rücksichten un¬
serer altersschwachen Diplomatie und ist daher Allen überlegen, o,e


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/622>, abgerufen am 23.07.2024.