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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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tung" und die "Mannheimer Abendzeitung" nicht minder aufmerk¬
same Leser alö die "Frankfurter Oberpostamtszeitung" oder die "Würz¬
burger Zeitung". Mit gleicher Unparteilichkeit ist die theologische
Literatur sowohl durch streng protestantische, als durch streng katho¬
lische Journale und Broschüren vertreten. Dieser Verein ist zahlreich
besucht; dabei herrscht eine Stille wie in der Kirche, wozu auch das
auf rother Tafel in goldener Schrift prangende Commandowort
"Lilvlltim"" auffordert. Es fällt überhaupt den Münchnern leichter,
den Mund zu halten, als den Leipzigern und denen, die in Leipzig
aus aller Herren Ländern zusammengeblasen worden sind. Die Bei¬
fügung eines sprach-, Rauch- und Trinksaals, wo die bewegten
Gemüther ihren Gedankentauschhandel treiben können, war daher für
Leipzig auch eine historische Nothwendigkeit. Es ist auch ein medicinischer
Nutzen dabei, da das Blut durch das Sprechen wieder in Bewegung
kommt, während es durch das Lesen in Stockung geräth. Ohnehin
ist die fanatische Journallesewuth auf ihrer jetzigen Hohe kein natur¬
gemäßer Zustand, und Nichts kommt mir im Grunde unheimlicher
und gespenstischer vor, als solch ein Saal voll ernst blickender, leichen¬
artig stummer alter und junger Männer, die wie in einer großen
Maschinenarbeiteranstalt aufgereiht sitzen und Journal auf Journal
mit wahrer Gier verschlingen.

Außerdem befinden sich in München zwei Vereine mehr geselli¬
gen Charakters, das "Museum" und der "Frohsinn", beide mit Lese-
localen, worin für die belletristische Journalistik besser gesorgt sein
soll, als im Literarischen Verein, welcher mehr von den politisirenden
Männern, den Gelehrten u. s. w. besucht wird, die sich um das
hin-.Il t>M der belletristischen Journalistik wenig kümmern. Das
Museum verbindet zugleich mit Veranstaltungen geselliger Art im
Winter auch öffentliche, gemein verständliche Vorträge über wissen¬
schaftliche, artistische und andere Gegenstände. Ich hatte Gelegenheit,
bald nach meiner Ankunft Hierselbst einem derartigen Vortrag beizu¬
wohnen, welchen Professor Schafhäutl, der eigentlich Geognost ist,
über gewisse historische Entwickelungsmomente der musikalischen Com-
ponirkunst hielt. Charakteristisch in diesem Vortrage erschien mir be¬
sonders eine bittere Polemik gegen die Alles haarscharf bis auf die
letzte Faser zerlegende und abhäutende kritische Richtung des Nordens.
Der Münchner ist gegen den Norddeutschen, dessen süffisante kritische


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tung" und die „Mannheimer Abendzeitung" nicht minder aufmerk¬
same Leser alö die „Frankfurter Oberpostamtszeitung" oder die „Würz¬
burger Zeitung". Mit gleicher Unparteilichkeit ist die theologische
Literatur sowohl durch streng protestantische, als durch streng katho¬
lische Journale und Broschüren vertreten. Dieser Verein ist zahlreich
besucht; dabei herrscht eine Stille wie in der Kirche, wozu auch das
auf rother Tafel in goldener Schrift prangende Commandowort
„Lilvlltim»" auffordert. Es fällt überhaupt den Münchnern leichter,
den Mund zu halten, als den Leipzigern und denen, die in Leipzig
aus aller Herren Ländern zusammengeblasen worden sind. Die Bei¬
fügung eines sprach-, Rauch- und Trinksaals, wo die bewegten
Gemüther ihren Gedankentauschhandel treiben können, war daher für
Leipzig auch eine historische Nothwendigkeit. Es ist auch ein medicinischer
Nutzen dabei, da das Blut durch das Sprechen wieder in Bewegung
kommt, während es durch das Lesen in Stockung geräth. Ohnehin
ist die fanatische Journallesewuth auf ihrer jetzigen Hohe kein natur¬
gemäßer Zustand, und Nichts kommt mir im Grunde unheimlicher
und gespenstischer vor, als solch ein Saal voll ernst blickender, leichen¬
artig stummer alter und junger Männer, die wie in einer großen
Maschinenarbeiteranstalt aufgereiht sitzen und Journal auf Journal
mit wahrer Gier verschlingen.

Außerdem befinden sich in München zwei Vereine mehr geselli¬
gen Charakters, das „Museum" und der „Frohsinn", beide mit Lese-
localen, worin für die belletristische Journalistik besser gesorgt sein
soll, als im Literarischen Verein, welcher mehr von den politisirenden
Männern, den Gelehrten u. s. w. besucht wird, die sich um das
hin-.Il t>M der belletristischen Journalistik wenig kümmern. Das
Museum verbindet zugleich mit Veranstaltungen geselliger Art im
Winter auch öffentliche, gemein verständliche Vorträge über wissen¬
schaftliche, artistische und andere Gegenstände. Ich hatte Gelegenheit,
bald nach meiner Ankunft Hierselbst einem derartigen Vortrag beizu¬
wohnen, welchen Professor Schafhäutl, der eigentlich Geognost ist,
über gewisse historische Entwickelungsmomente der musikalischen Com-
ponirkunst hielt. Charakteristisch in diesem Vortrage erschien mir be¬
sonders eine bittere Polemik gegen die Alles haarscharf bis auf die
letzte Faser zerlegende und abhäutende kritische Richtung des Nordens.
Der Münchner ist gegen den Norddeutschen, dessen süffisante kritische


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[0563] tung" und die „Mannheimer Abendzeitung" nicht minder aufmerk¬ same Leser alö die „Frankfurter Oberpostamtszeitung" oder die „Würz¬ burger Zeitung". Mit gleicher Unparteilichkeit ist die theologische Literatur sowohl durch streng protestantische, als durch streng katho¬ lische Journale und Broschüren vertreten. Dieser Verein ist zahlreich besucht; dabei herrscht eine Stille wie in der Kirche, wozu auch das auf rother Tafel in goldener Schrift prangende Commandowort „Lilvlltim»" auffordert. Es fällt überhaupt den Münchnern leichter, den Mund zu halten, als den Leipzigern und denen, die in Leipzig aus aller Herren Ländern zusammengeblasen worden sind. Die Bei¬ fügung eines sprach-, Rauch- und Trinksaals, wo die bewegten Gemüther ihren Gedankentauschhandel treiben können, war daher für Leipzig auch eine historische Nothwendigkeit. Es ist auch ein medicinischer Nutzen dabei, da das Blut durch das Sprechen wieder in Bewegung kommt, während es durch das Lesen in Stockung geräth. Ohnehin ist die fanatische Journallesewuth auf ihrer jetzigen Hohe kein natur¬ gemäßer Zustand, und Nichts kommt mir im Grunde unheimlicher und gespenstischer vor, als solch ein Saal voll ernst blickender, leichen¬ artig stummer alter und junger Männer, die wie in einer großen Maschinenarbeiteranstalt aufgereiht sitzen und Journal auf Journal mit wahrer Gier verschlingen. Außerdem befinden sich in München zwei Vereine mehr geselli¬ gen Charakters, das „Museum" und der „Frohsinn", beide mit Lese- localen, worin für die belletristische Journalistik besser gesorgt sein soll, als im Literarischen Verein, welcher mehr von den politisirenden Männern, den Gelehrten u. s. w. besucht wird, die sich um das hin-.Il t>M der belletristischen Journalistik wenig kümmern. Das Museum verbindet zugleich mit Veranstaltungen geselliger Art im Winter auch öffentliche, gemein verständliche Vorträge über wissen¬ schaftliche, artistische und andere Gegenstände. Ich hatte Gelegenheit, bald nach meiner Ankunft Hierselbst einem derartigen Vortrag beizu¬ wohnen, welchen Professor Schafhäutl, der eigentlich Geognost ist, über gewisse historische Entwickelungsmomente der musikalischen Com- ponirkunst hielt. Charakteristisch in diesem Vortrage erschien mir be¬ sonders eine bittere Polemik gegen die Alles haarscharf bis auf die letzte Faser zerlegende und abhäutende kritische Richtung des Nordens. Der Münchner ist gegen den Norddeutschen, dessen süffisante kritische 70 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/563>, abgerufen am 23.12.2024.