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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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wendet und freilich ganze Generationen in Kampf und Unruhe sich
darüber verzehren läßt.

Die hiesigen Lireraten und Poeten klagen über die Theilnahm-
losigkeit des deutschen Nordens an ihren Bestrebungen und Produc-
tionen. Aber schon der hier verstorbene talentvolle Novellist und
Lyriker, Aloys Büffel, Verfasser des Romans: "Pilgernächte des
Meisters Tisotheus", der Canzonen: "des Kaisers Schatten" u. s. w.
klagte vielfach darüber, daß der Sitz dieser Theilnahmlosigkeit und
Gleichgiltigkeit in München selbst zu suchen sei. Was kann das
deutsche Ausland dafür, daß München kein Journal besitzt oder nicht
auf die Dauer in Schwung bringen kann, worin die Interessen der
Münchner Literatur vertreten und ihre Erzeugnisse zur Kunde der
außerbaierischen Staaten gebracht würden? F. von Elsholtz, A.
von Maltitz und Baron Zu-Rhein begründeten die "Theeblät¬
ter", welche später als "Deutsche Blätter" monatlich erschienen, wirk¬
lich ganz hübsche Aufsätze brachten und ein Mittel- und Sammel¬
punkt für die hiesigen literarischen Kräfte zu werden versprachen.
Dies freilich nur für ein fein ästhetisches Publicum berechnete Jour¬
nal hätte verdient, auch im deutschen Auslande Verbreitung zu fin¬
den; aber zuvörderst mußte doch auf Südbaiern und München ge¬
rechnet sein, und Südbaiern und München versagten ihre Theilnahme.
Wenn der Saft in der Wurzel vertrocknet, wie kann man verlangen,
daß er sich dem Stamm und der Krone des Baumes mittheile?
C. Fernen, (Darenberger) klagt selbst in seinem "Münchner Hundert
und Eins:" die hiesige Journalistik beschränkt sich auf einige Lokal¬
blätter, und diese zahlen fast keine Honorare. Ermunterung fehlt.
München hat keinen Markt wie Leipzig, wie Stuttgart, kein literari¬
sches Publicum wie Wien. Die hiesigen Buchhändler verlegen außer
Erbauungs-, Gebetbüchern u. s. w., fast nur Schriften, welche einen
localen Inhalt haben, und diese erleben auch meist mehrere Auflagen.
Keine Stadt in Deutschland besitzt wohl eine so specielle gründliche
Literatur über ihre Geschichte, Kunstwerke u. s. w. als München,
und noch immer ist diese Stadtliteratur im Wachsen, da München
wirklich bei näherer Bekanntschaft in vergangener und gegenwärtiger
innerer Entwickelung und äußerer Gestaltung ein unerschöpfliches
und überraschend reiches Interesse bietet. Es liegt überhaupt in der
hiesigen Atmosphäre, wie ich offen gestehen muß, etwas undefimrbar


Grcnjtotcn 1844. II.

wendet und freilich ganze Generationen in Kampf und Unruhe sich
darüber verzehren läßt.

Die hiesigen Lireraten und Poeten klagen über die Theilnahm-
losigkeit des deutschen Nordens an ihren Bestrebungen und Produc-
tionen. Aber schon der hier verstorbene talentvolle Novellist und
Lyriker, Aloys Büffel, Verfasser des Romans: „Pilgernächte des
Meisters Tisotheus", der Canzonen: „des Kaisers Schatten" u. s. w.
klagte vielfach darüber, daß der Sitz dieser Theilnahmlosigkeit und
Gleichgiltigkeit in München selbst zu suchen sei. Was kann das
deutsche Ausland dafür, daß München kein Journal besitzt oder nicht
auf die Dauer in Schwung bringen kann, worin die Interessen der
Münchner Literatur vertreten und ihre Erzeugnisse zur Kunde der
außerbaierischen Staaten gebracht würden? F. von Elsholtz, A.
von Maltitz und Baron Zu-Rhein begründeten die „Theeblät¬
ter", welche später als „Deutsche Blätter" monatlich erschienen, wirk¬
lich ganz hübsche Aufsätze brachten und ein Mittel- und Sammel¬
punkt für die hiesigen literarischen Kräfte zu werden versprachen.
Dies freilich nur für ein fein ästhetisches Publicum berechnete Jour¬
nal hätte verdient, auch im deutschen Auslande Verbreitung zu fin¬
den; aber zuvörderst mußte doch auf Südbaiern und München ge¬
rechnet sein, und Südbaiern und München versagten ihre Theilnahme.
Wenn der Saft in der Wurzel vertrocknet, wie kann man verlangen,
daß er sich dem Stamm und der Krone des Baumes mittheile?
C. Fernen, (Darenberger) klagt selbst in seinem „Münchner Hundert
und Eins:" die hiesige Journalistik beschränkt sich auf einige Lokal¬
blätter, und diese zahlen fast keine Honorare. Ermunterung fehlt.
München hat keinen Markt wie Leipzig, wie Stuttgart, kein literari¬
sches Publicum wie Wien. Die hiesigen Buchhändler verlegen außer
Erbauungs-, Gebetbüchern u. s. w., fast nur Schriften, welche einen
localen Inhalt haben, und diese erleben auch meist mehrere Auflagen.
Keine Stadt in Deutschland besitzt wohl eine so specielle gründliche
Literatur über ihre Geschichte, Kunstwerke u. s. w. als München,
und noch immer ist diese Stadtliteratur im Wachsen, da München
wirklich bei näherer Bekanntschaft in vergangener und gegenwärtiger
innerer Entwickelung und äußerer Gestaltung ein unerschöpfliches
und überraschend reiches Interesse bietet. Es liegt überhaupt in der
hiesigen Atmosphäre, wie ich offen gestehen muß, etwas undefimrbar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/553>, abgerufen am 23.07.2024.