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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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und die Geschwister sehr, und der Wale, der den Brief brachte,
mußte bei ihnen bleiben und wurde nicht müde zu erzählen, was für
ein feiner junger Herr Georg geworden wäre.

Als nun Georg ein Jahr in dem Hause des guten Venetianers
gelebt hatte, so bat er, daß er ein Kaufmann werden dürfte. Darüber
freute sich nun sein Pflegevater sehr, denn er hatte schon lange im
Stillen gewünscht, Georg mochte sich dazu entschließen, und gab ihm
auch sogleich eine Stelle in seinem Geschäfte. Weil nun die Deut¬
schen in dem Rufe stehen, daß sie brave, ehrliche Leute sind, so wurde
von dem Herrn ihm Alles anvertraut, und Georg machte diesem Zu¬
trauen alle Ehre. Wie er nun Alles genau gelernt hatte, fuhr er
mit den Schiffen seines Patrons über das Meer und sah viele
fremde Länder. Da er seine Geschäfte stets mit Glück und Geschick
ausrichtete, so schenkte ihm sein Pflegevater viel Geld, so daß er sich
bald ein eigenes Geschäft hätte gründen können, wenn es ihm nicht
zu weh gethan hätte, sich von dem Hause seines Wohlthäters, mit
dessen Kindern er in der größten Freundschaft lebte, zu trennen.

Da kam nun einstmals der Tag wieder, wo der Herzog von
Venedig seine Vermählung mit dem Meer feierte. Georg war nach
seiner Gewohnheit in einer Gondel allein hinausgefahren und sah
das Meer bedeckt von unzähligen hohen Schiffen und Tausenden und
aber Tausenden von Gondeln und Kähnen, auf denen ganz Venedig,
.Hoch und Niedrig, Arm und Reich, Alt und Jung mit Freuden des
Festes wartete. Er fuhr da ganz mutterseelenallein unter dem hüll¬
ten Haufen herum und sah mit vielem Vergnügen die tausend schö¬
nen Frauen und Mädchen, die sangen, scherzten und lachten nach
Herzenslust, Da kam er an ein Schiff, das so hoch und prächtig
war, wie wenig andere. Und wie er nun an dem hinausschaute, sah
er ein Ä ädchen mit langen schwarzen Locken, in denen der Wind
spielte, als wäre es ihm eine rechte Lust, und ihr Gesicht war wie
ein Maimorgen, so mild und erquicklich, aber ihr Auge glich einer
Mondscheinnacht.

Wenn Einem die Nacht im Schlafe der Mond auf das Gesicht
scheint, so bekommt man eine solche Sehnsucht nach dem Monde, daß
man keine Ruhe mehr hat unten auf der Erde, sondern man möchte
hinauf und weiß doch, daß man nicht hinauf kann; es ist aber, als


und die Geschwister sehr, und der Wale, der den Brief brachte,
mußte bei ihnen bleiben und wurde nicht müde zu erzählen, was für
ein feiner junger Herr Georg geworden wäre.

Als nun Georg ein Jahr in dem Hause des guten Venetianers
gelebt hatte, so bat er, daß er ein Kaufmann werden dürfte. Darüber
freute sich nun sein Pflegevater sehr, denn er hatte schon lange im
Stillen gewünscht, Georg mochte sich dazu entschließen, und gab ihm
auch sogleich eine Stelle in seinem Geschäfte. Weil nun die Deut¬
schen in dem Rufe stehen, daß sie brave, ehrliche Leute sind, so wurde
von dem Herrn ihm Alles anvertraut, und Georg machte diesem Zu¬
trauen alle Ehre. Wie er nun Alles genau gelernt hatte, fuhr er
mit den Schiffen seines Patrons über das Meer und sah viele
fremde Länder. Da er seine Geschäfte stets mit Glück und Geschick
ausrichtete, so schenkte ihm sein Pflegevater viel Geld, so daß er sich
bald ein eigenes Geschäft hätte gründen können, wenn es ihm nicht
zu weh gethan hätte, sich von dem Hause seines Wohlthäters, mit
dessen Kindern er in der größten Freundschaft lebte, zu trennen.

Da kam nun einstmals der Tag wieder, wo der Herzog von
Venedig seine Vermählung mit dem Meer feierte. Georg war nach
seiner Gewohnheit in einer Gondel allein hinausgefahren und sah
das Meer bedeckt von unzähligen hohen Schiffen und Tausenden und
aber Tausenden von Gondeln und Kähnen, auf denen ganz Venedig,
.Hoch und Niedrig, Arm und Reich, Alt und Jung mit Freuden des
Festes wartete. Er fuhr da ganz mutterseelenallein unter dem hüll¬
ten Haufen herum und sah mit vielem Vergnügen die tausend schö¬
nen Frauen und Mädchen, die sangen, scherzten und lachten nach
Herzenslust, Da kam er an ein Schiff, das so hoch und prächtig
war, wie wenig andere. Und wie er nun an dem hinausschaute, sah
er ein Ä ädchen mit langen schwarzen Locken, in denen der Wind
spielte, als wäre es ihm eine rechte Lust, und ihr Gesicht war wie
ein Maimorgen, so mild und erquicklich, aber ihr Auge glich einer
Mondscheinnacht.

Wenn Einem die Nacht im Schlafe der Mond auf das Gesicht
scheint, so bekommt man eine solche Sehnsucht nach dem Monde, daß
man keine Ruhe mehr hat unten auf der Erde, sondern man möchte
hinauf und weiß doch, daß man nicht hinauf kann; es ist aber, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/548>, abgerufen am 23.07.2024.