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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Der Fremde wendete noch dies und jenes ein, aber Georg
weinte und bat so lange, bis er versprach, ihn mitzunehmen.

Am nächsten Morgen war Georg heiter und guter Dinge, und
die Mutter freute sich sehr, daß er sich beruhigt hatte und nicht
mehr an das Fortgehen zu denken schien. Doch stille Wasser sind
tief. Der Venetianer wollte nur noch wenige Tage bleiben, und
Georg wurde doch ein wenig sonderbar zu Muthe, wenn er dachte,
daß er nun bald auf lange Zeit von seinen Eltern und Geschwistern
sich trennen sollte. Er hoffte, der Venetianer werde mit Vorstellun¬
gen die Seinen zur Einwilligung bewegen, es war aber Nichts da¬
von bemerkbar. Georg baute fest auf seinen Freund, als dieser aber
eines Tages seine Kisten in die Stadt Oelsnitz hatte fahren lassen
und selbst mitgegangen war, um Pferde an seinen Reisewagen zu
kaufen, den er in der Stadt stehen hatte, wurde Georg doch ängst¬
lich und meinte, er werde am Ende gar nicht wiederkommen, lief
also gegen Abend auf die Straße hinaus ihm entgegen. Nach einer
Weile sah Georg ihn kommen, stürzte in seine Arme und rief: Um
Gottes Willen, lieber Herr, verlaßt mich nicht, vergeßt nicht, was
Ihr versprochen habt!

-- Georg, sprach der Wale geheimnißvoll, ziehe heute Abend,
ehe Du schlafen geh'se, Deine Sonntagsjacke an und halte Dich
bereit, wenn ich Dich rufe. Denn diese Nacht müssen wir fort.

-- Jetzt schon? fragte Georg etwas erschreckt, ich denke erst
übermorgen!

-- Ich habe das Deinen Eltern nur gesagt, entgegnete der
Wale, weil es mir schien, als glaubten sie doch, ich könnte Dich
heimlich mit fortnehmen. Sie könnten leicht in dieser Furcht die letzte
Nacht schlaflos bleiben, und Du dürftest nicht mit fort. So aber
werden wir sie überraschen, zumal wir bis Oelsnitz gehen und dort
erst in den Wagen streigen. Es thut mir weh, daß ich Deine El¬
tern so hintergehen muß, aber es bleibt kein anderes Mittel übrig,
weil sie auf vernünftige Gründe doch niemals hören würden, und
ich thue es doch nur aus Liebe zu Dir!

-- Nun, es bleibt dabei! rief Georg, ich gehe lieber heute
als morgen.

So kamen sie in das Dorf. Abends wurde noch Viel von


Der Fremde wendete noch dies und jenes ein, aber Georg
weinte und bat so lange, bis er versprach, ihn mitzunehmen.

Am nächsten Morgen war Georg heiter und guter Dinge, und
die Mutter freute sich sehr, daß er sich beruhigt hatte und nicht
mehr an das Fortgehen zu denken schien. Doch stille Wasser sind
tief. Der Venetianer wollte nur noch wenige Tage bleiben, und
Georg wurde doch ein wenig sonderbar zu Muthe, wenn er dachte,
daß er nun bald auf lange Zeit von seinen Eltern und Geschwistern
sich trennen sollte. Er hoffte, der Venetianer werde mit Vorstellun¬
gen die Seinen zur Einwilligung bewegen, es war aber Nichts da¬
von bemerkbar. Georg baute fest auf seinen Freund, als dieser aber
eines Tages seine Kisten in die Stadt Oelsnitz hatte fahren lassen
und selbst mitgegangen war, um Pferde an seinen Reisewagen zu
kaufen, den er in der Stadt stehen hatte, wurde Georg doch ängst¬
lich und meinte, er werde am Ende gar nicht wiederkommen, lief
also gegen Abend auf die Straße hinaus ihm entgegen. Nach einer
Weile sah Georg ihn kommen, stürzte in seine Arme und rief: Um
Gottes Willen, lieber Herr, verlaßt mich nicht, vergeßt nicht, was
Ihr versprochen habt!

— Georg, sprach der Wale geheimnißvoll, ziehe heute Abend,
ehe Du schlafen geh'se, Deine Sonntagsjacke an und halte Dich
bereit, wenn ich Dich rufe. Denn diese Nacht müssen wir fort.

— Jetzt schon? fragte Georg etwas erschreckt, ich denke erst
übermorgen!

— Ich habe das Deinen Eltern nur gesagt, entgegnete der
Wale, weil es mir schien, als glaubten sie doch, ich könnte Dich
heimlich mit fortnehmen. Sie könnten leicht in dieser Furcht die letzte
Nacht schlaflos bleiben, und Du dürftest nicht mit fort. So aber
werden wir sie überraschen, zumal wir bis Oelsnitz gehen und dort
erst in den Wagen streigen. Es thut mir weh, daß ich Deine El¬
tern so hintergehen muß, aber es bleibt kein anderes Mittel übrig,
weil sie auf vernünftige Gründe doch niemals hören würden, und
ich thue es doch nur aus Liebe zu Dir!

— Nun, es bleibt dabei! rief Georg, ich gehe lieber heute
als morgen.

So kamen sie in das Dorf. Abends wurde noch Viel von


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[0540] Der Fremde wendete noch dies und jenes ein, aber Georg weinte und bat so lange, bis er versprach, ihn mitzunehmen. Am nächsten Morgen war Georg heiter und guter Dinge, und die Mutter freute sich sehr, daß er sich beruhigt hatte und nicht mehr an das Fortgehen zu denken schien. Doch stille Wasser sind tief. Der Venetianer wollte nur noch wenige Tage bleiben, und Georg wurde doch ein wenig sonderbar zu Muthe, wenn er dachte, daß er nun bald auf lange Zeit von seinen Eltern und Geschwistern sich trennen sollte. Er hoffte, der Venetianer werde mit Vorstellun¬ gen die Seinen zur Einwilligung bewegen, es war aber Nichts da¬ von bemerkbar. Georg baute fest auf seinen Freund, als dieser aber eines Tages seine Kisten in die Stadt Oelsnitz hatte fahren lassen und selbst mitgegangen war, um Pferde an seinen Reisewagen zu kaufen, den er in der Stadt stehen hatte, wurde Georg doch ängst¬ lich und meinte, er werde am Ende gar nicht wiederkommen, lief also gegen Abend auf die Straße hinaus ihm entgegen. Nach einer Weile sah Georg ihn kommen, stürzte in seine Arme und rief: Um Gottes Willen, lieber Herr, verlaßt mich nicht, vergeßt nicht, was Ihr versprochen habt! — Georg, sprach der Wale geheimnißvoll, ziehe heute Abend, ehe Du schlafen geh'se, Deine Sonntagsjacke an und halte Dich bereit, wenn ich Dich rufe. Denn diese Nacht müssen wir fort. — Jetzt schon? fragte Georg etwas erschreckt, ich denke erst übermorgen! — Ich habe das Deinen Eltern nur gesagt, entgegnete der Wale, weil es mir schien, als glaubten sie doch, ich könnte Dich heimlich mit fortnehmen. Sie könnten leicht in dieser Furcht die letzte Nacht schlaflos bleiben, und Du dürftest nicht mit fort. So aber werden wir sie überraschen, zumal wir bis Oelsnitz gehen und dort erst in den Wagen streigen. Es thut mir weh, daß ich Deine El¬ tern so hintergehen muß, aber es bleibt kein anderes Mittel übrig, weil sie auf vernünftige Gründe doch niemals hören würden, und ich thue es doch nur aus Liebe zu Dir! — Nun, es bleibt dabei! rief Georg, ich gehe lieber heute als morgen. So kamen sie in das Dorf. Abends wurde noch Viel von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/540>, abgerufen am 23.07.2024.