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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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seinen eigenen Kindern und der Magd hinausgehen in das Him¬
melreich. Ich hatte von meinem Vater oft gehört, auf welche Weise
unsere Familie dorthin verpflanzt worden sei, und betrat die Gegend,
deren Namen mir schon so schon klang, mit einem Gefühl von Ehr¬
furcht. Ich ging sogar in die Mühle, die mein Ahn einst von sei¬
nem Schwiegervater geerbt hatte, und bat um einen Trunk Wasser,
um dieses classische Haus im Innern sehen zu können. Meine
Schwester war mit den andern Kindern unterdessen an dem Bäch¬
lein den Berg hinausgegangen, und Alle pflückten schon eifrig die
schönen rothen Beeren, die so schalkhaft in Träubchen zwischen den
kleinen grünen Blättern hervorlugten. Man wettete, wer am Ersten
sein Körbchen füllen würde, und ich fing nun an, unermüdlich zu
beeren. ES dauerte gar nicht lange, so rufte ich frohlockend: "Voll!"
Die Andern staunten, denn sie hatten ihre Körbchen kaum halb ge¬
füllt. Sie kamen her und schlugen ein Gelächter auf, wie sie mein
Körbchen sahen, denn ich hatte die Träubchen von den Sträuchen
abgestreift, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie reif waren oder
nicht, und so hatte ich fast nur weiße Beeren, die kaum an einer
Seite roth waren, während die Uebrigen lauter schöne, purpurrothe
hatten. Das verdroß mich denn, und ich war jetzt so gewissenhaft,
daß ich fast jede Beere besonders ansah, ehe ich sie pflückte. Das
ging nun freilich langsamer von Statten. Jetzt waren wir hinauf¬
gekommen bis zur Elsterquelle, die aus hölzerner Einfassung hervor¬
plätschert. Da sahen wir erst unsere Lust, der ganze Boden war
grün und roth von PreißelSbeeren, und die Körbchen wurden oft
in den Tragkorb geleert, den die Magd meines Vetters trug. Ich
aber war von dem unablässigen Bücken müde geworden und setzte
mich endlich, ohne auf daS Gespött der andern Kinder zu achten,
an die Quelle und pflückte die umherstehenden Beeren nur in mei¬
nen Mund.

Ich war zwar ein wilder Bube, aber dann doch zu gewissen
Zeiten so still in mich hineinträumend, daß ich schier Alles vergaß,
was um mich her vorging. So saß ich auch dort an der Quelle
und schaute dem davoneilenden Bach kein nach, den Berg hinunter,
und erzählte mir selbst die Geschichte meines Urahns, der dort unten
im Thale gelebt und hier wohl oft gesessen hatte. Ich merkte kaum,
daß eine alte Frau in ärmlicher Kleidung, aber mit einem Gesicht,


seinen eigenen Kindern und der Magd hinausgehen in das Him¬
melreich. Ich hatte von meinem Vater oft gehört, auf welche Weise
unsere Familie dorthin verpflanzt worden sei, und betrat die Gegend,
deren Namen mir schon so schon klang, mit einem Gefühl von Ehr¬
furcht. Ich ging sogar in die Mühle, die mein Ahn einst von sei¬
nem Schwiegervater geerbt hatte, und bat um einen Trunk Wasser,
um dieses classische Haus im Innern sehen zu können. Meine
Schwester war mit den andern Kindern unterdessen an dem Bäch¬
lein den Berg hinausgegangen, und Alle pflückten schon eifrig die
schönen rothen Beeren, die so schalkhaft in Träubchen zwischen den
kleinen grünen Blättern hervorlugten. Man wettete, wer am Ersten
sein Körbchen füllen würde, und ich fing nun an, unermüdlich zu
beeren. ES dauerte gar nicht lange, so rufte ich frohlockend: „Voll!"
Die Andern staunten, denn sie hatten ihre Körbchen kaum halb ge¬
füllt. Sie kamen her und schlugen ein Gelächter auf, wie sie mein
Körbchen sahen, denn ich hatte die Träubchen von den Sträuchen
abgestreift, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie reif waren oder
nicht, und so hatte ich fast nur weiße Beeren, die kaum an einer
Seite roth waren, während die Uebrigen lauter schöne, purpurrothe
hatten. Das verdroß mich denn, und ich war jetzt so gewissenhaft,
daß ich fast jede Beere besonders ansah, ehe ich sie pflückte. Das
ging nun freilich langsamer von Statten. Jetzt waren wir hinauf¬
gekommen bis zur Elsterquelle, die aus hölzerner Einfassung hervor¬
plätschert. Da sahen wir erst unsere Lust, der ganze Boden war
grün und roth von PreißelSbeeren, und die Körbchen wurden oft
in den Tragkorb geleert, den die Magd meines Vetters trug. Ich
aber war von dem unablässigen Bücken müde geworden und setzte
mich endlich, ohne auf daS Gespött der andern Kinder zu achten,
an die Quelle und pflückte die umherstehenden Beeren nur in mei¬
nen Mund.

Ich war zwar ein wilder Bube, aber dann doch zu gewissen
Zeiten so still in mich hineinträumend, daß ich schier Alles vergaß,
was um mich her vorging. So saß ich auch dort an der Quelle
und schaute dem davoneilenden Bach kein nach, den Berg hinunter,
und erzählte mir selbst die Geschichte meines Urahns, der dort unten
im Thale gelebt und hier wohl oft gesessen hatte. Ich merkte kaum,
daß eine alte Frau in ärmlicher Kleidung, aber mit einem Gesicht,


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[0534] seinen eigenen Kindern und der Magd hinausgehen in das Him¬ melreich. Ich hatte von meinem Vater oft gehört, auf welche Weise unsere Familie dorthin verpflanzt worden sei, und betrat die Gegend, deren Namen mir schon so schon klang, mit einem Gefühl von Ehr¬ furcht. Ich ging sogar in die Mühle, die mein Ahn einst von sei¬ nem Schwiegervater geerbt hatte, und bat um einen Trunk Wasser, um dieses classische Haus im Innern sehen zu können. Meine Schwester war mit den andern Kindern unterdessen an dem Bäch¬ lein den Berg hinausgegangen, und Alle pflückten schon eifrig die schönen rothen Beeren, die so schalkhaft in Träubchen zwischen den kleinen grünen Blättern hervorlugten. Man wettete, wer am Ersten sein Körbchen füllen würde, und ich fing nun an, unermüdlich zu beeren. ES dauerte gar nicht lange, so rufte ich frohlockend: „Voll!" Die Andern staunten, denn sie hatten ihre Körbchen kaum halb ge¬ füllt. Sie kamen her und schlugen ein Gelächter auf, wie sie mein Körbchen sahen, denn ich hatte die Träubchen von den Sträuchen abgestreift, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie reif waren oder nicht, und so hatte ich fast nur weiße Beeren, die kaum an einer Seite roth waren, während die Uebrigen lauter schöne, purpurrothe hatten. Das verdroß mich denn, und ich war jetzt so gewissenhaft, daß ich fast jede Beere besonders ansah, ehe ich sie pflückte. Das ging nun freilich langsamer von Statten. Jetzt waren wir hinauf¬ gekommen bis zur Elsterquelle, die aus hölzerner Einfassung hervor¬ plätschert. Da sahen wir erst unsere Lust, der ganze Boden war grün und roth von PreißelSbeeren, und die Körbchen wurden oft in den Tragkorb geleert, den die Magd meines Vetters trug. Ich aber war von dem unablässigen Bücken müde geworden und setzte mich endlich, ohne auf daS Gespött der andern Kinder zu achten, an die Quelle und pflückte die umherstehenden Beeren nur in mei¬ nen Mund. Ich war zwar ein wilder Bube, aber dann doch zu gewissen Zeiten so still in mich hineinträumend, daß ich schier Alles vergaß, was um mich her vorging. So saß ich auch dort an der Quelle und schaute dem davoneilenden Bach kein nach, den Berg hinunter, und erzählte mir selbst die Geschichte meines Urahns, der dort unten im Thale gelebt und hier wohl oft gesessen hatte. Ich merkte kaum, daß eine alte Frau in ärmlicher Kleidung, aber mit einem Gesicht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/534>, abgerufen am 23.07.2024.