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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Sympathien an öffentlichen Orten häusig in höchst rücksichtsloser Art
beachselzuckt und bespöttelt werden. Ueberhaupt überlasse ich den klu¬
gen Männern an der Spree wie an der Jsar zu entscheiden, ob es
rathsam sei, jetzt, wo es sich um das politische Einheitsgefühl Deutsch¬
lands handelt, zwischen Jude und Christ, evangelischen und katholi¬
schen Christen durch das ewige Aufwärmen der religiösen Debatte
neue Scheidungen und Störnisse hervorzubringen. Viel sicherer gehen
die, welche, urlbeirrt vom Tagesgezänk, das Nächstliegende Stamm- und
völkervcrmittelnde Praktische im Auge behalten.

Das einfach Menschliche, welches ich den Münchnern nachrüh¬
men muß, zeigte sich auch nach jenen drei stürmischen Maitagen, als
das Volk mit den hiesigen Brauern wegen des Ausschlages von zwei
Pfennigen auf das Maaß im offenen Kriege lag. Da fiel es Nie¬
mandem ein, wie man in einem hochgebildeten Staate des deutschen
Nordens bei ähnlichen Anlässen zu beabsichtigen schien, die Presse
und die Journalistik für dieses Aufbrausen des Volkes verantwort¬
lich zu machen. Man hat hier gesunden Menschenverstand genug,
solche Ausbrüche der Volksleidenschaft auf ihre nächsten und einfach¬
sten Gründe zurückzuführen, ihnen keine höhere Bedeutung und Wich¬
tigkeit beizulegen, als sie von Hause aus haben, und nach gewon¬
nener Einsicht von dem Zustande der Dinge die nächsten Anlässe
sogleich und radical wegzuräumen. Es wäre auch wirklich ein kaum
als möglich zu denkender Triumph der Presse, wenn sie, selbst mit
preußischer Censur behaftet, dennoch im Stande gewesen wäre, die
ihres furchtsamen und geduckten Wesens halber bekannten schlesischen
Weber den Bajonetten und Flintenkugeln der Soldaten entgegen und
in den Tod zu treiben. Schrieb und las man aufregende Brochüren
und Journalartikel zur Zeit des großen deutschen Bauernaufstandes?
Doch, vielleicht! Götz von Bcrlicyingen verfaßte ja seine Autobiogra¬
phie, die ihn zur Aufnahme in den Leipziger Literatenverein berech¬
tigt hätte; vielleicht redigirte er auch ein jetzt untergegangenes, oder
durch Reichsbeschluß unterdrücktes Journal unter dem Titel: "Der
Bote von Jarthausen" oder "Jarthausener Jahrbücher", oder "Jart-
hausener Modezeitung", oder "Zeitung für die Jarthausener elegante
Welt", um auf die aufständischen Bauern zu wirken. Man lese doch
in den Stadtchronikcn des Mittelalters nach, um sich zu überzeugen,
daß damals städtische Aufstände zu den Alltagsbegebenheiten gehör-


Sympathien an öffentlichen Orten häusig in höchst rücksichtsloser Art
beachselzuckt und bespöttelt werden. Ueberhaupt überlasse ich den klu¬
gen Männern an der Spree wie an der Jsar zu entscheiden, ob es
rathsam sei, jetzt, wo es sich um das politische Einheitsgefühl Deutsch¬
lands handelt, zwischen Jude und Christ, evangelischen und katholi¬
schen Christen durch das ewige Aufwärmen der religiösen Debatte
neue Scheidungen und Störnisse hervorzubringen. Viel sicherer gehen
die, welche, urlbeirrt vom Tagesgezänk, das Nächstliegende Stamm- und
völkervcrmittelnde Praktische im Auge behalten.

Das einfach Menschliche, welches ich den Münchnern nachrüh¬
men muß, zeigte sich auch nach jenen drei stürmischen Maitagen, als
das Volk mit den hiesigen Brauern wegen des Ausschlages von zwei
Pfennigen auf das Maaß im offenen Kriege lag. Da fiel es Nie¬
mandem ein, wie man in einem hochgebildeten Staate des deutschen
Nordens bei ähnlichen Anlässen zu beabsichtigen schien, die Presse
und die Journalistik für dieses Aufbrausen des Volkes verantwort¬
lich zu machen. Man hat hier gesunden Menschenverstand genug,
solche Ausbrüche der Volksleidenschaft auf ihre nächsten und einfach¬
sten Gründe zurückzuführen, ihnen keine höhere Bedeutung und Wich¬
tigkeit beizulegen, als sie von Hause aus haben, und nach gewon¬
nener Einsicht von dem Zustande der Dinge die nächsten Anlässe
sogleich und radical wegzuräumen. Es wäre auch wirklich ein kaum
als möglich zu denkender Triumph der Presse, wenn sie, selbst mit
preußischer Censur behaftet, dennoch im Stande gewesen wäre, die
ihres furchtsamen und geduckten Wesens halber bekannten schlesischen
Weber den Bajonetten und Flintenkugeln der Soldaten entgegen und
in den Tod zu treiben. Schrieb und las man aufregende Brochüren
und Journalartikel zur Zeit des großen deutschen Bauernaufstandes?
Doch, vielleicht! Götz von Bcrlicyingen verfaßte ja seine Autobiogra¬
phie, die ihn zur Aufnahme in den Leipziger Literatenverein berech¬
tigt hätte; vielleicht redigirte er auch ein jetzt untergegangenes, oder
durch Reichsbeschluß unterdrücktes Journal unter dem Titel: „Der
Bote von Jarthausen" oder „Jarthausener Jahrbücher", oder „Jart-
hausener Modezeitung", oder „Zeitung für die Jarthausener elegante
Welt", um auf die aufständischen Bauern zu wirken. Man lese doch
in den Stadtchronikcn des Mittelalters nach, um sich zu überzeugen,
daß damals städtische Aufstände zu den Alltagsbegebenheiten gehör-


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[0492] Sympathien an öffentlichen Orten häusig in höchst rücksichtsloser Art beachselzuckt und bespöttelt werden. Ueberhaupt überlasse ich den klu¬ gen Männern an der Spree wie an der Jsar zu entscheiden, ob es rathsam sei, jetzt, wo es sich um das politische Einheitsgefühl Deutsch¬ lands handelt, zwischen Jude und Christ, evangelischen und katholi¬ schen Christen durch das ewige Aufwärmen der religiösen Debatte neue Scheidungen und Störnisse hervorzubringen. Viel sicherer gehen die, welche, urlbeirrt vom Tagesgezänk, das Nächstliegende Stamm- und völkervcrmittelnde Praktische im Auge behalten. Das einfach Menschliche, welches ich den Münchnern nachrüh¬ men muß, zeigte sich auch nach jenen drei stürmischen Maitagen, als das Volk mit den hiesigen Brauern wegen des Ausschlages von zwei Pfennigen auf das Maaß im offenen Kriege lag. Da fiel es Nie¬ mandem ein, wie man in einem hochgebildeten Staate des deutschen Nordens bei ähnlichen Anlässen zu beabsichtigen schien, die Presse und die Journalistik für dieses Aufbrausen des Volkes verantwort¬ lich zu machen. Man hat hier gesunden Menschenverstand genug, solche Ausbrüche der Volksleidenschaft auf ihre nächsten und einfach¬ sten Gründe zurückzuführen, ihnen keine höhere Bedeutung und Wich¬ tigkeit beizulegen, als sie von Hause aus haben, und nach gewon¬ nener Einsicht von dem Zustande der Dinge die nächsten Anlässe sogleich und radical wegzuräumen. Es wäre auch wirklich ein kaum als möglich zu denkender Triumph der Presse, wenn sie, selbst mit preußischer Censur behaftet, dennoch im Stande gewesen wäre, die ihres furchtsamen und geduckten Wesens halber bekannten schlesischen Weber den Bajonetten und Flintenkugeln der Soldaten entgegen und in den Tod zu treiben. Schrieb und las man aufregende Brochüren und Journalartikel zur Zeit des großen deutschen Bauernaufstandes? Doch, vielleicht! Götz von Bcrlicyingen verfaßte ja seine Autobiogra¬ phie, die ihn zur Aufnahme in den Leipziger Literatenverein berech¬ tigt hätte; vielleicht redigirte er auch ein jetzt untergegangenes, oder durch Reichsbeschluß unterdrücktes Journal unter dem Titel: „Der Bote von Jarthausen" oder „Jarthausener Jahrbücher", oder „Jart- hausener Modezeitung", oder „Zeitung für die Jarthausener elegante Welt", um auf die aufständischen Bauern zu wirken. Man lese doch in den Stadtchronikcn des Mittelalters nach, um sich zu überzeugen, daß damals städtische Aufstände zu den Alltagsbegebenheiten gehör-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/492>, abgerufen am 23.12.2024.