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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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trachte ein Glas Münchner Bier: welche dicke, schwere, materielle
Feuchtigkeit! Dies fällt zuerst in die Augen. Aber diese Feuchtigkeit
ist von Atomen durchzuckt, glänzend wie Funken, zart und flockig wie
Seidenfaden, und ein Schaum, leicht, durchsichtig, vergoldet wie eine
Wolke im Orient, perlt oben auf dem Glase. -- Hier lernt' ich zu¬
erst begreifen, wie eine Nation einige Aehnlichkeit mit ihrem gewöhn¬
lichen Getränk haben kann. In dieser goldenen Feuchtigkeit ertränkt
der Münchner seinen Gram über die Spöttereien der norddeutschen
Jung- und Altklugheit.

Man betrachtet in der Regel München als eine Einsiedelei, ganz
geeignet für capriciöse, wunderliche und mystische Personen, welche
mit den Entwickelungen der neueren Zeit abgeschlossen haben und sich
wie eine ihres Wärter- und Krautlebens überdrüssige Raupe ver-
puppen wollen. Es ist indeß eine doch ziemlich lebhafte und mun¬
tere Einsiedelei von etwa hunderttausend hier seßhaften Einsiedlern
und Einsiedlerinnen, denen es in keiner Hinsicht an weltlichen Be-
gchrnissen fehlt, ausgestattet mit Kunstschätzen allerlei Art, Journal¬
zirkeln, Leihbibliotheken, Gesellschaften, Liedertafeln, Universität, Thea¬
ter u. s. f., besucht von vielen Tausend Reisenden aus aller Herren
Ländern, so daß man sich, wenn auch nicht mitten in der Zeitströmung,
doch um so gewisser an ihrem Ufer befindet und dem Treiben der
Wogen um so ruhiger und unparteiischer zusehen kann. Namentlich
dürfte einem norddeutschen Literaten wohl zu empfehlen sein, hier ein¬
mal sein nomadisches Zelt aufzuschlagen, um sich zu sammeln und
zum Genusse und ruhigen Betrachtung seiner selbst zu kommen. ES
ist gewiß schon ein sehr großer Vortheil für ihn, hier Tage lang um¬
herwandern zu dürfen, ohne befürchten zu müssen ,daß er an der nächsten
Straßenecke mit einem literarischen College" unvermuthet zusammentreffe.
Wer in Leipzig ein Manuscript unter dein Arme trägt, dabei etwas hastig
einherschreitet und in seiner Physiognomie einige Anwandlungen von
Verdrießlichkeit blicken läßt, von dem ist gewiß anzunehmen, er sei ein
Schriftsteller, der nach mehrerlei mißlungenen Versuchen, sein Manuseript
an den Mann zu bringen, fast verzagten Muthes einen abermaligen
Sturm auf das hartnäckige Herz irgend eines Buchhändlers wagen
will. Wer steht mir dafür, daß nicht morgen in einem collegialiftben Kreise
erzählt wird: Gestern hat man unseren College" A. aus dem Laden
des Buchhändlers X. in den des Buchhändlers XL., von da in den


trachte ein Glas Münchner Bier: welche dicke, schwere, materielle
Feuchtigkeit! Dies fällt zuerst in die Augen. Aber diese Feuchtigkeit
ist von Atomen durchzuckt, glänzend wie Funken, zart und flockig wie
Seidenfaden, und ein Schaum, leicht, durchsichtig, vergoldet wie eine
Wolke im Orient, perlt oben auf dem Glase. — Hier lernt' ich zu¬
erst begreifen, wie eine Nation einige Aehnlichkeit mit ihrem gewöhn¬
lichen Getränk haben kann. In dieser goldenen Feuchtigkeit ertränkt
der Münchner seinen Gram über die Spöttereien der norddeutschen
Jung- und Altklugheit.

Man betrachtet in der Regel München als eine Einsiedelei, ganz
geeignet für capriciöse, wunderliche und mystische Personen, welche
mit den Entwickelungen der neueren Zeit abgeschlossen haben und sich
wie eine ihres Wärter- und Krautlebens überdrüssige Raupe ver-
puppen wollen. Es ist indeß eine doch ziemlich lebhafte und mun¬
tere Einsiedelei von etwa hunderttausend hier seßhaften Einsiedlern
und Einsiedlerinnen, denen es in keiner Hinsicht an weltlichen Be-
gchrnissen fehlt, ausgestattet mit Kunstschätzen allerlei Art, Journal¬
zirkeln, Leihbibliotheken, Gesellschaften, Liedertafeln, Universität, Thea¬
ter u. s. f., besucht von vielen Tausend Reisenden aus aller Herren
Ländern, so daß man sich, wenn auch nicht mitten in der Zeitströmung,
doch um so gewisser an ihrem Ufer befindet und dem Treiben der
Wogen um so ruhiger und unparteiischer zusehen kann. Namentlich
dürfte einem norddeutschen Literaten wohl zu empfehlen sein, hier ein¬
mal sein nomadisches Zelt aufzuschlagen, um sich zu sammeln und
zum Genusse und ruhigen Betrachtung seiner selbst zu kommen. ES
ist gewiß schon ein sehr großer Vortheil für ihn, hier Tage lang um¬
herwandern zu dürfen, ohne befürchten zu müssen ,daß er an der nächsten
Straßenecke mit einem literarischen College» unvermuthet zusammentreffe.
Wer in Leipzig ein Manuscript unter dein Arme trägt, dabei etwas hastig
einherschreitet und in seiner Physiognomie einige Anwandlungen von
Verdrießlichkeit blicken läßt, von dem ist gewiß anzunehmen, er sei ein
Schriftsteller, der nach mehrerlei mißlungenen Versuchen, sein Manuseript
an den Mann zu bringen, fast verzagten Muthes einen abermaligen
Sturm auf das hartnäckige Herz irgend eines Buchhändlers wagen
will. Wer steht mir dafür, daß nicht morgen in einem collegialiftben Kreise
erzählt wird: Gestern hat man unseren College« A. aus dem Laden
des Buchhändlers X. in den des Buchhändlers XL., von da in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/490>, abgerufen am 22.12.2024.