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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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worden? Weil's eine geheime Ordre ist. Und weshalb gelangt sie
nun doch zu unserer Kenntniß? Weil das Ober-Ccnsurgericht seine
Inkonsequenz damit rechtfertigen mußte. Diese Antworten liegen auf
der Hand. Schwerer dürften sie aber auf folgende Fragen sein > da
kein Gesetz eine rückwirkende Kraft haben soll, warum findet die
Ordre vom 14. Juli auf einen Artikel Anwendung, der bereits vor
dieser Zeit vom Ober-Censurgerichte die Druckerlaubnis; erhalten hatte?
Da in Berlin ebenfalls die Fabrikarbeiter gegen ihre Herren aufgestan¬
den sind, wird diese Ordre auch für die Provinz Brandenburg Gel¬
tung erhalten? Wird man überhaupt in dem Maße die Presse be¬
schränken, in welchem die Gährungen und die Unzufriedenheit in den
unteren Volksclassen zunimmt? Wer ist, der Antwort gibt? -- Hier
zeigt sich übrigens recht deutlich, was für eine Ansicht man noch von
der Presse und ihrer Wirksamkeit hat. Man betrachtet sie wie ein
Spielzeug, wie eine bunte Rüstung, die man unmündigen Knaben
schenkt, damit sie zur Kurzweil logische Gedankenreihen sorniiren und
gegen ihre eigenen Schatten kämpfen. Kommt aber der Hofhund, der
ihnen das Vesperbrod stiehlt, so müssen die Kleinen ihre Säbel ab¬
schnallen und ruhig zusehen. Grade wenn die Presse ihre Macht be¬
währen könnte, wenn sich Gelegenheit bietet, wo sie zeigen kann,
was sie ist, grade dann wird sie in Fesseln gelegt. Worüber sollen
die schlesischen Publicisten nun schreiben? Politische Fragen werden
sie nicht behandeln tonnen, ohne in der vierten Zeile auf die socialen
Verhältnisse zurückzukommen; folglich müssen sie Litaneien componiren,
christlich-germanische Lieder singen, Morgen- und Abendbctrachrungen
anstellen. Ich bitt' Euch, Herrn, geht zu Bett, 's ist Schlafenszeit!

Der rothwangige Polizeidirecror Duncker weilt noch immer in
unseren Mauern, man meint aus Theilnahme für seinen Univcrsitärs-
freund und Bruder E. Pelz. Zwischen Beiden muß in der That ein
intimes, wahrhaft sympathetisches Verhältniß bestehen, denn je röther
sich die Backen des berühmten Inquirenten vom Champagner färben,
desto blässer wird das Antlitz des nicht minder berühmten Jnguisiten
von der Gefängnißluft. 'S ist doch schön, solchen hochgestellten und
tiefsichtigen Mann zum Freunde zu haben. Die Vreslauer können
gar nicht mehr froh werden, seitdem Duncker sich hier aufhält. Wenn
sie des Abends gemüthlich beim Biere sitzen und eine fremde Physio¬
gnomie erblicken, stürzen sie alsbald die "Halbe" hinunter und ren¬
nen davon. "Mir wird dunkerlich vor den Augen" ist eine Stadt¬
phrase geworden. Dort und dort ist er gewesen, das und das hat
er erspäht, so und so hat er gesagt. Es ist erschrecklich, was für eine
Angst man vor dem gemüthlichen Duncker besitzt! Man begreift gar
nicht, wie Berlin in seiner Anwesenheit so viel "kühle Blonde" con-
sumiren kann. Und trotzdem hatte sich in der Hauptstadt dieser Tage
das Gerücht verbreitet, wir hätten ein Attentat auf das Leben unse-


worden? Weil's eine geheime Ordre ist. Und weshalb gelangt sie
nun doch zu unserer Kenntniß? Weil das Ober-Ccnsurgericht seine
Inkonsequenz damit rechtfertigen mußte. Diese Antworten liegen auf
der Hand. Schwerer dürften sie aber auf folgende Fragen sein > da
kein Gesetz eine rückwirkende Kraft haben soll, warum findet die
Ordre vom 14. Juli auf einen Artikel Anwendung, der bereits vor
dieser Zeit vom Ober-Censurgerichte die Druckerlaubnis; erhalten hatte?
Da in Berlin ebenfalls die Fabrikarbeiter gegen ihre Herren aufgestan¬
den sind, wird diese Ordre auch für die Provinz Brandenburg Gel¬
tung erhalten? Wird man überhaupt in dem Maße die Presse be¬
schränken, in welchem die Gährungen und die Unzufriedenheit in den
unteren Volksclassen zunimmt? Wer ist, der Antwort gibt? — Hier
zeigt sich übrigens recht deutlich, was für eine Ansicht man noch von
der Presse und ihrer Wirksamkeit hat. Man betrachtet sie wie ein
Spielzeug, wie eine bunte Rüstung, die man unmündigen Knaben
schenkt, damit sie zur Kurzweil logische Gedankenreihen sorniiren und
gegen ihre eigenen Schatten kämpfen. Kommt aber der Hofhund, der
ihnen das Vesperbrod stiehlt, so müssen die Kleinen ihre Säbel ab¬
schnallen und ruhig zusehen. Grade wenn die Presse ihre Macht be¬
währen könnte, wenn sich Gelegenheit bietet, wo sie zeigen kann,
was sie ist, grade dann wird sie in Fesseln gelegt. Worüber sollen
die schlesischen Publicisten nun schreiben? Politische Fragen werden
sie nicht behandeln tonnen, ohne in der vierten Zeile auf die socialen
Verhältnisse zurückzukommen; folglich müssen sie Litaneien componiren,
christlich-germanische Lieder singen, Morgen- und Abendbctrachrungen
anstellen. Ich bitt' Euch, Herrn, geht zu Bett, 's ist Schlafenszeit!

Der rothwangige Polizeidirecror Duncker weilt noch immer in
unseren Mauern, man meint aus Theilnahme für seinen Univcrsitärs-
freund und Bruder E. Pelz. Zwischen Beiden muß in der That ein
intimes, wahrhaft sympathetisches Verhältniß bestehen, denn je röther
sich die Backen des berühmten Inquirenten vom Champagner färben,
desto blässer wird das Antlitz des nicht minder berühmten Jnguisiten
von der Gefängnißluft. 'S ist doch schön, solchen hochgestellten und
tiefsichtigen Mann zum Freunde zu haben. Die Vreslauer können
gar nicht mehr froh werden, seitdem Duncker sich hier aufhält. Wenn
sie des Abends gemüthlich beim Biere sitzen und eine fremde Physio¬
gnomie erblicken, stürzen sie alsbald die „Halbe" hinunter und ren¬
nen davon. „Mir wird dunkerlich vor den Augen" ist eine Stadt¬
phrase geworden. Dort und dort ist er gewesen, das und das hat
er erspäht, so und so hat er gesagt. Es ist erschrecklich, was für eine
Angst man vor dem gemüthlichen Duncker besitzt! Man begreift gar
nicht, wie Berlin in seiner Anwesenheit so viel „kühle Blonde" con-
sumiren kann. Und trotzdem hatte sich in der Hauptstadt dieser Tage
das Gerücht verbreitet, wir hätten ein Attentat auf das Leben unse-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/478>, abgerufen am 23.07.2024.