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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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kein Anderer, als der noble Herr Mir mit seiner Emilie, Ihrer Haus-
genossin. Haben heute Abend gewiß viel verdient, und nun geht'S
noch spät auf den Ball. Sehen Sie nur, wie eilig sie's haben, wie
sie dort schon tanzen! Mit diesen Worten hüpfte sie schnell zu ihrem
Begleiter zurück, ohne daß ich noch mit ihr sprechen konnte. In der
That sah ich Alir mit Emilien sich schon im wüthenden Tanze dre¬
hen. Um mich von dem Tumult etwas zu erholen, stieg ich in die
stilleren, kühleren Säle der Galerie hinauf. Hier saßen nur einige
verliebte Paare, ohne Masken, auf den Divans umher. Ich hatte
mich eben, ermüdet, in einen Winkel gedrückt, um ein wenig auszu¬
ruhen, als ich neben mir einige sehr laute Küsse fallen hörte. Ich
schlage die Augen auf, und wen erblicke ich? Wieder einen Haus¬
genossen, den sentimentalen, ewig verliebten Schreiber in rosafarbe¬
nen Domino, der den Arm fest um den Hals einer Fledermaus ge¬
schlungen hatte und mit aller Gluth das hohe Glück genoß, das
ihm heute Abend zu Theil geworden. Die Holde, die er gefunden,
mochte wohl etwas weit über die dreißig hinaus sein, hatte von Lie-
besgluth oder Schminke auffallend geröthete Wangen, lange, blonde
Locken, und erwiederte seine stürmischen Liebkosungen züchtig und mit
wahrhaft jungfräulicher Schüchternheit. ES machte mir unendlichen
Spaß, unerkannt und unbemerkt dieser komischen Scene zuzuschauen!
Endlich sagte die Schöne ganz verschämt, daß sie hinuntergehen und
ihren Bruder suchen wolle, da sie Hunger habe. Ich sah den Schrei¬
ber ängstlich in seine Taschen greifen. Nach einer Pause meinte er,
sie solle nur einstweilen hinuntergehen, er werde ihr gleich nachfolgen.
Der arme, galante Schreiber saß wieder trübsinnig, allein und ver¬
lassen da. Doch hatte mich der Hunger der Dame an ein ähnliches
Bedürfniß erinnert, das ich zu spüren begann; ich stieg wie¬
der in den Tunnel hinab, meine Freunde aufzusuchen und mit ihnen
zu speisen. Diejenigen, die ich vorhin hier so munter gesehen hatte,
waren schon stiller geworden, aber neue Lärmmacher an ihre Stelle
gerückt, das ganze Bacchanal war nur noch bunter und mannichfalti-
ger geworden Die meisten der Mädchen, die früher hier gesessen
hatten, waren entweder trunken wieder hinauf in den Tanz gestürmt,
oder lagen an die Schulter ihrer Begleiter gelehnt und schliefen.
Doch mußten sie so gewöhnlich den sich immer neu Hcrzudrängenden
nach heftigen Debatten den Platz räumen. Auch Mathilde sah ich


kein Anderer, als der noble Herr Mir mit seiner Emilie, Ihrer Haus-
genossin. Haben heute Abend gewiß viel verdient, und nun geht'S
noch spät auf den Ball. Sehen Sie nur, wie eilig sie's haben, wie
sie dort schon tanzen! Mit diesen Worten hüpfte sie schnell zu ihrem
Begleiter zurück, ohne daß ich noch mit ihr sprechen konnte. In der
That sah ich Alir mit Emilien sich schon im wüthenden Tanze dre¬
hen. Um mich von dem Tumult etwas zu erholen, stieg ich in die
stilleren, kühleren Säle der Galerie hinauf. Hier saßen nur einige
verliebte Paare, ohne Masken, auf den Divans umher. Ich hatte
mich eben, ermüdet, in einen Winkel gedrückt, um ein wenig auszu¬
ruhen, als ich neben mir einige sehr laute Küsse fallen hörte. Ich
schlage die Augen auf, und wen erblicke ich? Wieder einen Haus¬
genossen, den sentimentalen, ewig verliebten Schreiber in rosafarbe¬
nen Domino, der den Arm fest um den Hals einer Fledermaus ge¬
schlungen hatte und mit aller Gluth das hohe Glück genoß, das
ihm heute Abend zu Theil geworden. Die Holde, die er gefunden,
mochte wohl etwas weit über die dreißig hinaus sein, hatte von Lie-
besgluth oder Schminke auffallend geröthete Wangen, lange, blonde
Locken, und erwiederte seine stürmischen Liebkosungen züchtig und mit
wahrhaft jungfräulicher Schüchternheit. ES machte mir unendlichen
Spaß, unerkannt und unbemerkt dieser komischen Scene zuzuschauen!
Endlich sagte die Schöne ganz verschämt, daß sie hinuntergehen und
ihren Bruder suchen wolle, da sie Hunger habe. Ich sah den Schrei¬
ber ängstlich in seine Taschen greifen. Nach einer Pause meinte er,
sie solle nur einstweilen hinuntergehen, er werde ihr gleich nachfolgen.
Der arme, galante Schreiber saß wieder trübsinnig, allein und ver¬
lassen da. Doch hatte mich der Hunger der Dame an ein ähnliches
Bedürfniß erinnert, das ich zu spüren begann; ich stieg wie¬
der in den Tunnel hinab, meine Freunde aufzusuchen und mit ihnen
zu speisen. Diejenigen, die ich vorhin hier so munter gesehen hatte,
waren schon stiller geworden, aber neue Lärmmacher an ihre Stelle
gerückt, das ganze Bacchanal war nur noch bunter und mannichfalti-
ger geworden Die meisten der Mädchen, die früher hier gesessen
hatten, waren entweder trunken wieder hinauf in den Tanz gestürmt,
oder lagen an die Schulter ihrer Begleiter gelehnt und schliefen.
Doch mußten sie so gewöhnlich den sich immer neu Hcrzudrängenden
nach heftigen Debatten den Platz räumen. Auch Mathilde sah ich


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[0402] kein Anderer, als der noble Herr Mir mit seiner Emilie, Ihrer Haus- genossin. Haben heute Abend gewiß viel verdient, und nun geht'S noch spät auf den Ball. Sehen Sie nur, wie eilig sie's haben, wie sie dort schon tanzen! Mit diesen Worten hüpfte sie schnell zu ihrem Begleiter zurück, ohne daß ich noch mit ihr sprechen konnte. In der That sah ich Alir mit Emilien sich schon im wüthenden Tanze dre¬ hen. Um mich von dem Tumult etwas zu erholen, stieg ich in die stilleren, kühleren Säle der Galerie hinauf. Hier saßen nur einige verliebte Paare, ohne Masken, auf den Divans umher. Ich hatte mich eben, ermüdet, in einen Winkel gedrückt, um ein wenig auszu¬ ruhen, als ich neben mir einige sehr laute Küsse fallen hörte. Ich schlage die Augen auf, und wen erblicke ich? Wieder einen Haus¬ genossen, den sentimentalen, ewig verliebten Schreiber in rosafarbe¬ nen Domino, der den Arm fest um den Hals einer Fledermaus ge¬ schlungen hatte und mit aller Gluth das hohe Glück genoß, das ihm heute Abend zu Theil geworden. Die Holde, die er gefunden, mochte wohl etwas weit über die dreißig hinaus sein, hatte von Lie- besgluth oder Schminke auffallend geröthete Wangen, lange, blonde Locken, und erwiederte seine stürmischen Liebkosungen züchtig und mit wahrhaft jungfräulicher Schüchternheit. ES machte mir unendlichen Spaß, unerkannt und unbemerkt dieser komischen Scene zuzuschauen! Endlich sagte die Schöne ganz verschämt, daß sie hinuntergehen und ihren Bruder suchen wolle, da sie Hunger habe. Ich sah den Schrei¬ ber ängstlich in seine Taschen greifen. Nach einer Pause meinte er, sie solle nur einstweilen hinuntergehen, er werde ihr gleich nachfolgen. Der arme, galante Schreiber saß wieder trübsinnig, allein und ver¬ lassen da. Doch hatte mich der Hunger der Dame an ein ähnliches Bedürfniß erinnert, das ich zu spüren begann; ich stieg wie¬ der in den Tunnel hinab, meine Freunde aufzusuchen und mit ihnen zu speisen. Diejenigen, die ich vorhin hier so munter gesehen hatte, waren schon stiller geworden, aber neue Lärmmacher an ihre Stelle gerückt, das ganze Bacchanal war nur noch bunter und mannichfalti- ger geworden Die meisten der Mädchen, die früher hier gesessen hatten, waren entweder trunken wieder hinauf in den Tanz gestürmt, oder lagen an die Schulter ihrer Begleiter gelehnt und schliefen. Doch mußten sie so gewöhnlich den sich immer neu Hcrzudrängenden nach heftigen Debatten den Platz räumen. Auch Mathilde sah ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/402>, abgerufen am 23.07.2024.