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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Ministeriums des Innern Geltung für die ganze preußische Monar¬
chie.^ Was aber die Wirksamkeit in Bezug auf die Universität be¬
trifft, so fallt sie ziemlich mit jener des Polizeipräsidenten zusammen.
Die Polizei ist ihrer Natur nach eine Anstalt, die nicht treibt und
bewegt, sondern hemmt und hält, und als solche wird sie immer mit
dem strebsamen Geiste, der nur in sich selbst Grenzen kennt, in Col-
lision gerathen. Universität und Polizei sind Gegensätze, die so weit
als möglich aus einander gehalten werden müssen. Daß die Vu^i-iiw,
an einer so sichtbaren Abspannung aller Kräfte leidet, daran ist zum
Theil ihre Präventivbedachung Schuld. So oft einzelne geistig rüstige
Studirende es versuchten, dem total faulen Corporationswesen einen
anderen sittlichen Grund zu geben, fanden sie an dem conservirenden
Schild einen hartnäckigen Widerstand und bekamen Zeit, fern von
Madrid über ihre reformatorische Narrheit nachzudenken. Die Ele¬
mente zur Neugestaltung des socialen Lebens unter den Studirenden
sind vorhanden, es fehlt ihnen nur die Freiheit der Entwickelung, um
die kindischen Spielereien der Landsmannschaften auszukehren. Bis
jetzt aber haben letztere noch inne^eine thatsächliche Bevorzugung er¬
fahren, und sobald ihre Gegenpartei^Mfahrlich zu werden drohte, fan-
'den sich Mittel, die schwerer wiegende Schale zu erleichtern. Das ist
nun freilich eine Arie, die in ganz Deutschland zum tausendsten Male
von schlechten Musikanten "In c.'ipn gesungen wird, ohne von den er¬
sten Ranglogen gehört zu werden, aber schadet Nichts, Gesang bringt
die Luft in Schwingung, und durch Luftschwingungen verziehen sich
schlechte Dünste. Ach ja, die Dünste! Die lagern sich immer dich¬
ter über unser schönes Schlesien. Wie wollten wir sie fortsingen,
wenn uns nur die Streichinstrumente zu Worte kommen ließen! Seit¬
dem das Ober-Censurgericht anfängt, bei seiner Entscheidung über ge¬
strichene Artikel die "besonderen Umstände" zu berücksichtigen und mit
dem kam-unreell- kärglicher zu werden, vergeht den hiesigen Publizisten
vollends alle Lust zum Schreiben. Ich spreche es ungern aus, weil
ich damit meiner früheren Meinung entgegentrete: das Vertrauen zu
dieser Behörde verliert sich immer mehr. Seit einiger Aelt behält
sie viele von den ihr zur Entscheidung eingesandten, auch von ihr nicht
zum Druck zugelassenen Artikeln und schickt den Verfassern blos das
Erkenntniß zu. Wenn es nun gar keine Frage sein kann, daß ein
geistiges Eigenthum auch ein Eigenthum ist, und zwar eins, das auch
einen materiellen Werth hat, wo nicht auf preußischen, so doch aus
"ausländischen" Stapelplätzen, so ist dies Verfahren des Obercensur-
gcrichts wirklich unbegreiflich, um so mehr, als der Eigenthümer die
Kosten der Remission ganz allein zu tragen hat. Ich wünsche von
Herzen, daß jene Behörde aus diesen Worten die Veranlassung nehme,
sich über diese Angelegenheit in ihrem eigenen und im Interesse so
vieler Betheiligten auszusprechen.


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Ministeriums des Innern Geltung für die ganze preußische Monar¬
chie.^ Was aber die Wirksamkeit in Bezug auf die Universität be¬
trifft, so fallt sie ziemlich mit jener des Polizeipräsidenten zusammen.
Die Polizei ist ihrer Natur nach eine Anstalt, die nicht treibt und
bewegt, sondern hemmt und hält, und als solche wird sie immer mit
dem strebsamen Geiste, der nur in sich selbst Grenzen kennt, in Col-
lision gerathen. Universität und Polizei sind Gegensätze, die so weit
als möglich aus einander gehalten werden müssen. Daß die Vu^i-iiw,
an einer so sichtbaren Abspannung aller Kräfte leidet, daran ist zum
Theil ihre Präventivbedachung Schuld. So oft einzelne geistig rüstige
Studirende es versuchten, dem total faulen Corporationswesen einen
anderen sittlichen Grund zu geben, fanden sie an dem conservirenden
Schild einen hartnäckigen Widerstand und bekamen Zeit, fern von
Madrid über ihre reformatorische Narrheit nachzudenken. Die Ele¬
mente zur Neugestaltung des socialen Lebens unter den Studirenden
sind vorhanden, es fehlt ihnen nur die Freiheit der Entwickelung, um
die kindischen Spielereien der Landsmannschaften auszukehren. Bis
jetzt aber haben letztere noch inne^eine thatsächliche Bevorzugung er¬
fahren, und sobald ihre Gegenpartei^Mfahrlich zu werden drohte, fan-
'den sich Mittel, die schwerer wiegende Schale zu erleichtern. Das ist
nun freilich eine Arie, die in ganz Deutschland zum tausendsten Male
von schlechten Musikanten «In c.'ipn gesungen wird, ohne von den er¬
sten Ranglogen gehört zu werden, aber schadet Nichts, Gesang bringt
die Luft in Schwingung, und durch Luftschwingungen verziehen sich
schlechte Dünste. Ach ja, die Dünste! Die lagern sich immer dich¬
ter über unser schönes Schlesien. Wie wollten wir sie fortsingen,
wenn uns nur die Streichinstrumente zu Worte kommen ließen! Seit¬
dem das Ober-Censurgericht anfängt, bei seiner Entscheidung über ge¬
strichene Artikel die „besonderen Umstände" zu berücksichtigen und mit
dem kam-unreell- kärglicher zu werden, vergeht den hiesigen Publizisten
vollends alle Lust zum Schreiben. Ich spreche es ungern aus, weil
ich damit meiner früheren Meinung entgegentrete: das Vertrauen zu
dieser Behörde verliert sich immer mehr. Seit einiger Aelt behält
sie viele von den ihr zur Entscheidung eingesandten, auch von ihr nicht
zum Druck zugelassenen Artikeln und schickt den Verfassern blos das
Erkenntniß zu. Wenn es nun gar keine Frage sein kann, daß ein
geistiges Eigenthum auch ein Eigenthum ist, und zwar eins, das auch
einen materiellen Werth hat, wo nicht auf preußischen, so doch aus
„ausländischen" Stapelplätzen, so ist dies Verfahren des Obercensur-
gcrichts wirklich unbegreiflich, um so mehr, als der Eigenthümer die
Kosten der Remission ganz allein zu tragen hat. Ich wünsche von
Herzen, daß jene Behörde aus diesen Worten die Veranlassung nehme,
sich über diese Angelegenheit in ihrem eigenen und im Interesse so
vieler Betheiligten auszusprechen.


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[0387] Ministeriums des Innern Geltung für die ganze preußische Monar¬ chie.^ Was aber die Wirksamkeit in Bezug auf die Universität be¬ trifft, so fallt sie ziemlich mit jener des Polizeipräsidenten zusammen. Die Polizei ist ihrer Natur nach eine Anstalt, die nicht treibt und bewegt, sondern hemmt und hält, und als solche wird sie immer mit dem strebsamen Geiste, der nur in sich selbst Grenzen kennt, in Col- lision gerathen. Universität und Polizei sind Gegensätze, die so weit als möglich aus einander gehalten werden müssen. Daß die Vu^i-iiw, an einer so sichtbaren Abspannung aller Kräfte leidet, daran ist zum Theil ihre Präventivbedachung Schuld. So oft einzelne geistig rüstige Studirende es versuchten, dem total faulen Corporationswesen einen anderen sittlichen Grund zu geben, fanden sie an dem conservirenden Schild einen hartnäckigen Widerstand und bekamen Zeit, fern von Madrid über ihre reformatorische Narrheit nachzudenken. Die Ele¬ mente zur Neugestaltung des socialen Lebens unter den Studirenden sind vorhanden, es fehlt ihnen nur die Freiheit der Entwickelung, um die kindischen Spielereien der Landsmannschaften auszukehren. Bis jetzt aber haben letztere noch inne^eine thatsächliche Bevorzugung er¬ fahren, und sobald ihre Gegenpartei^Mfahrlich zu werden drohte, fan- 'den sich Mittel, die schwerer wiegende Schale zu erleichtern. Das ist nun freilich eine Arie, die in ganz Deutschland zum tausendsten Male von schlechten Musikanten «In c.'ipn gesungen wird, ohne von den er¬ sten Ranglogen gehört zu werden, aber schadet Nichts, Gesang bringt die Luft in Schwingung, und durch Luftschwingungen verziehen sich schlechte Dünste. Ach ja, die Dünste! Die lagern sich immer dich¬ ter über unser schönes Schlesien. Wie wollten wir sie fortsingen, wenn uns nur die Streichinstrumente zu Worte kommen ließen! Seit¬ dem das Ober-Censurgericht anfängt, bei seiner Entscheidung über ge¬ strichene Artikel die „besonderen Umstände" zu berücksichtigen und mit dem kam-unreell- kärglicher zu werden, vergeht den hiesigen Publizisten vollends alle Lust zum Schreiben. Ich spreche es ungern aus, weil ich damit meiner früheren Meinung entgegentrete: das Vertrauen zu dieser Behörde verliert sich immer mehr. Seit einiger Aelt behält sie viele von den ihr zur Entscheidung eingesandten, auch von ihr nicht zum Druck zugelassenen Artikeln und schickt den Verfassern blos das Erkenntniß zu. Wenn es nun gar keine Frage sein kann, daß ein geistiges Eigenthum auch ein Eigenthum ist, und zwar eins, das auch einen materiellen Werth hat, wo nicht auf preußischen, so doch aus „ausländischen" Stapelplätzen, so ist dies Verfahren des Obercensur- gcrichts wirklich unbegreiflich, um so mehr, als der Eigenthümer die Kosten der Remission ganz allein zu tragen hat. Ich wünsche von Herzen, daß jene Behörde aus diesen Worten die Veranlassung nehme, sich über diese Angelegenheit in ihrem eigenen und im Interesse so vieler Betheiligten auszusprechen. 48 «

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/387>, abgerufen am 25.08.2024.