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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Rußland, Graf Orloff, ein, man spricht von einer Verheirathung ei¬
nes österreichischen Prinzen mit einer russischen Prinzessin, in Schön¬
brunn werden Vorbereitungen zum Empfang des Czaren gemacht, der
im Juni hier eintreffen soll. Aber der Juni kommt und kein Mensch
spricht mehr von russisch-österreichischen Hochzeiten. In Schönbrunn
wird die Tochter Ludwig Philipps empfangen, und ein Befehl des
Kaisers gebietet, daß ihr alle Ehren einer österreichischen Erzherzogin
erzeigt werden sollen. Der Czar aber geht statt nach Wien ^ nach
London, drückt dem Tory-Minister Peel freundschaftlichst die Hand,
umarmt auf der Rückreise seinen Schwager auf der Eisenbahnstation
von Potsdam vor den Augen Hunderter von Zuschauer, und das Car-
tel wird erneuert. Statt des Czaren aber wird in Wien und Ischl
der König von Preußen zum Besuche angesagt. Die Times, die fein¬
riechende, sendet zwei Eorrespondenten, wovon der eine in Wien, der
andere in Ischl sich auspostirt. Von London aber kommt ein Courier
an die hiesige englische Gesandtschaft mit der Nachricht, daß Lord
Palmerston, der Whigministcr, der Juli-Tractatmann, der einst gegen
Rußland das Portfolio dirigiere, sich aussöhnte und wieder erboßte,
nach Ischl kommen werde, und wenige Tage darauf begibt sich Sir
Gordon, der hiesige englische Gesandte, statt nach Kissingen, wie er
beabsichtigte, nach Ischl, wo die Fäden vielfacher Combinationen ihre
Lösung von der Hand des Fürsten Metternich zu erwarten scheinen;
obschon die Auflösung dieses verschlungenen Rebus weder in der Jl-
lustrirten, noch in der Theaterzeitung sich finden wird. >--

, Das Attentat gegen den König von Preußen ist hier so richtig
beurtheilt worden, daß nicht ein Mal die Börse eine Aenderung der
Fonds verspürte. Merkwürdig ist, daß die fünf Großmächte in dieser
Beziehung einander gleich stehen, und daß sowohl die Königin von
England, als der Czar von Rußland, Kaiser Ferdinand (gegen den ein
Hauptmann einst ein Pistol losdrückte), wie Louis Philipp, und end¬
lich auch der König von Preußen dem Meuchelmorde als Ziel dienten;
wunderbarer aber noch ist die Hand der Vorsehung, welche alle diese
Häupter schützte.

Die Juli-Tage, welche sonst eine Stagnation an der hiesigen
Börse hervorzubringen pflegten, sind dieses Mal, so wie auch im vo¬
rigen Jahre, spurlos vorübergegangen. Man glaubt nicht mehr an
Revolutionen -- wie es scheint. Wenn nur Böhmen diesen Glau¬
ben nicht unterbricht. Es sind viele fremde Hände dort im Spiele,
und der Verfasser der Plön-e na Reoellu (Lieder auf die Rebellen),
welche auf so kühne als räthselhafte Weise vertheilt wurden, ist ge¬
wiß kein Anhänger des österreichischen Hauses. Die böhmischen Ex¬
cesse scheinen gefährlicher in ihrer Nachwirkung, in ihren dumpf ver¬
hallenden Klängen, als in ihrem Ausbruche zu sein. Es gibt viele
Partisane der alten Blutthcorie unter den hiesigen Geldphilistern. Diese


Rußland, Graf Orloff, ein, man spricht von einer Verheirathung ei¬
nes österreichischen Prinzen mit einer russischen Prinzessin, in Schön¬
brunn werden Vorbereitungen zum Empfang des Czaren gemacht, der
im Juni hier eintreffen soll. Aber der Juni kommt und kein Mensch
spricht mehr von russisch-österreichischen Hochzeiten. In Schönbrunn
wird die Tochter Ludwig Philipps empfangen, und ein Befehl des
Kaisers gebietet, daß ihr alle Ehren einer österreichischen Erzherzogin
erzeigt werden sollen. Der Czar aber geht statt nach Wien ^ nach
London, drückt dem Tory-Minister Peel freundschaftlichst die Hand,
umarmt auf der Rückreise seinen Schwager auf der Eisenbahnstation
von Potsdam vor den Augen Hunderter von Zuschauer, und das Car-
tel wird erneuert. Statt des Czaren aber wird in Wien und Ischl
der König von Preußen zum Besuche angesagt. Die Times, die fein¬
riechende, sendet zwei Eorrespondenten, wovon der eine in Wien, der
andere in Ischl sich auspostirt. Von London aber kommt ein Courier
an die hiesige englische Gesandtschaft mit der Nachricht, daß Lord
Palmerston, der Whigministcr, der Juli-Tractatmann, der einst gegen
Rußland das Portfolio dirigiere, sich aussöhnte und wieder erboßte,
nach Ischl kommen werde, und wenige Tage darauf begibt sich Sir
Gordon, der hiesige englische Gesandte, statt nach Kissingen, wie er
beabsichtigte, nach Ischl, wo die Fäden vielfacher Combinationen ihre
Lösung von der Hand des Fürsten Metternich zu erwarten scheinen;
obschon die Auflösung dieses verschlungenen Rebus weder in der Jl-
lustrirten, noch in der Theaterzeitung sich finden wird. >—

, Das Attentat gegen den König von Preußen ist hier so richtig
beurtheilt worden, daß nicht ein Mal die Börse eine Aenderung der
Fonds verspürte. Merkwürdig ist, daß die fünf Großmächte in dieser
Beziehung einander gleich stehen, und daß sowohl die Königin von
England, als der Czar von Rußland, Kaiser Ferdinand (gegen den ein
Hauptmann einst ein Pistol losdrückte), wie Louis Philipp, und end¬
lich auch der König von Preußen dem Meuchelmorde als Ziel dienten;
wunderbarer aber noch ist die Hand der Vorsehung, welche alle diese
Häupter schützte.

Die Juli-Tage, welche sonst eine Stagnation an der hiesigen
Börse hervorzubringen pflegten, sind dieses Mal, so wie auch im vo¬
rigen Jahre, spurlos vorübergegangen. Man glaubt nicht mehr an
Revolutionen — wie es scheint. Wenn nur Böhmen diesen Glau¬
ben nicht unterbricht. Es sind viele fremde Hände dort im Spiele,
und der Verfasser der Plön-e na Reoellu (Lieder auf die Rebellen),
welche auf so kühne als räthselhafte Weise vertheilt wurden, ist ge¬
wiß kein Anhänger des österreichischen Hauses. Die böhmischen Ex¬
cesse scheinen gefährlicher in ihrer Nachwirkung, in ihren dumpf ver¬
hallenden Klängen, als in ihrem Ausbruche zu sein. Es gibt viele
Partisane der alten Blutthcorie unter den hiesigen Geldphilistern. Diese


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[0382] Rußland, Graf Orloff, ein, man spricht von einer Verheirathung ei¬ nes österreichischen Prinzen mit einer russischen Prinzessin, in Schön¬ brunn werden Vorbereitungen zum Empfang des Czaren gemacht, der im Juni hier eintreffen soll. Aber der Juni kommt und kein Mensch spricht mehr von russisch-österreichischen Hochzeiten. In Schönbrunn wird die Tochter Ludwig Philipps empfangen, und ein Befehl des Kaisers gebietet, daß ihr alle Ehren einer österreichischen Erzherzogin erzeigt werden sollen. Der Czar aber geht statt nach Wien ^ nach London, drückt dem Tory-Minister Peel freundschaftlichst die Hand, umarmt auf der Rückreise seinen Schwager auf der Eisenbahnstation von Potsdam vor den Augen Hunderter von Zuschauer, und das Car- tel wird erneuert. Statt des Czaren aber wird in Wien und Ischl der König von Preußen zum Besuche angesagt. Die Times, die fein¬ riechende, sendet zwei Eorrespondenten, wovon der eine in Wien, der andere in Ischl sich auspostirt. Von London aber kommt ein Courier an die hiesige englische Gesandtschaft mit der Nachricht, daß Lord Palmerston, der Whigministcr, der Juli-Tractatmann, der einst gegen Rußland das Portfolio dirigiere, sich aussöhnte und wieder erboßte, nach Ischl kommen werde, und wenige Tage darauf begibt sich Sir Gordon, der hiesige englische Gesandte, statt nach Kissingen, wie er beabsichtigte, nach Ischl, wo die Fäden vielfacher Combinationen ihre Lösung von der Hand des Fürsten Metternich zu erwarten scheinen; obschon die Auflösung dieses verschlungenen Rebus weder in der Jl- lustrirten, noch in der Theaterzeitung sich finden wird. >— , Das Attentat gegen den König von Preußen ist hier so richtig beurtheilt worden, daß nicht ein Mal die Börse eine Aenderung der Fonds verspürte. Merkwürdig ist, daß die fünf Großmächte in dieser Beziehung einander gleich stehen, und daß sowohl die Königin von England, als der Czar von Rußland, Kaiser Ferdinand (gegen den ein Hauptmann einst ein Pistol losdrückte), wie Louis Philipp, und end¬ lich auch der König von Preußen dem Meuchelmorde als Ziel dienten; wunderbarer aber noch ist die Hand der Vorsehung, welche alle diese Häupter schützte. Die Juli-Tage, welche sonst eine Stagnation an der hiesigen Börse hervorzubringen pflegten, sind dieses Mal, so wie auch im vo¬ rigen Jahre, spurlos vorübergegangen. Man glaubt nicht mehr an Revolutionen — wie es scheint. Wenn nur Böhmen diesen Glau¬ ben nicht unterbricht. Es sind viele fremde Hände dort im Spiele, und der Verfasser der Plön-e na Reoellu (Lieder auf die Rebellen), welche auf so kühne als räthselhafte Weise vertheilt wurden, ist ge¬ wiß kein Anhänger des österreichischen Hauses. Die böhmischen Ex¬ cesse scheinen gefährlicher in ihrer Nachwirkung, in ihren dumpf ver¬ hallenden Klängen, als in ihrem Ausbruche zu sein. Es gibt viele Partisane der alten Blutthcorie unter den hiesigen Geldphilistern. Diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/382>, abgerufen am 23.07.2024.